Ganz am Anfang stand im Mittelpunkt des christlichen Glaubens
fast
ausschließlich Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi als das
eigentliche Erlösungsgeschehen. Später reflektierte man dann
- von Ostern her - auch auf die Kindheitsgeschichte des Erlösers,
so daß erst im 4.Jahrhundert das Weihnachtsfest, welches
zunächst
als "Erscheinung des Herrn" am 6. Januar gefeiert wurde, eine
größere
Bedeutung gewann. Aus dieser Zeit stammen auch die ältesten
Darstellungen
der "Krippe". Sie zeigten das gewickelte Kind im Futtertrog mit Ochs
und
Esel und evtl. noch mit einem Hirten als Vertreter der auf
Erlösung
wartenden Menschen.
Obwohl Ochs und Esel in den neutestamentlichen
Erzählungen von
der Geburt Jesu nicht erwähnt werden, gehören sie allein von
Anfang an zur Krippe. Das haben sie sogar der Mutter Jesu voraus.
Warum?
Diese alte Krippendarstellung geht zurück auf einen Vers beim
Propheten
Jesaja: "Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines
Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht."
(Jes. 1 , 3).
Erst nach dem bedeutenden Konzil von Ephesus im Jahre 431 ,
auf dem
über die Gottheit Jesu nachgedacht wurde und seine Mutter den
Ehrentitel
"Gottesgebärerin" erhielt, bekam auch sie einen festen Platz an
der
Krippe.
In der Orthodoxie wurde und wird bis heute die Geburt Jesu in
einer
Felshöhle dargestellt: Damit wird die Geburtshöhle mit der
Grabeshöhle
und also die Geburt Jesu mit seinem Tod in Beziehung gesetzt. Geburt
und
Tod sind Ausdruck seiner "Erniedrigung". Der gleiche Zusammenhang
klingt
in der mittelalterlichen Malerei des Westens an, wenn hier und da
bereits
im Stall der Geburt das Kreuz an der Wand hängt. (So auch in
unserer
Krippe.) Überhaupt ist die Armut des Stalles ein Vorzeichen des
kommenden
Leidens.
Die figürlich-dramatische Darstellung der Geburt Jesu hat
neben
den Darstellungen der Bildhauerei und der Malerei noch eine zweite
Wurzel:
Die spielerische Darstellung von Ereignissen der Heilsgeschichte, die
in
ihren Anfängen einen Platz im Gottesdienst hatte und sich erst im
16. Jahrhundert verselbständigte (Weihnachtsspiele,
Passionsspiele...).
Unsere "Krippen" heute sind also "gestellte" Spielhandlungen. Sie gehen
zurück auf Franz von Assisi, für den diese Krippenszenen eine
Art "biblia pauperum" war, also eine Bibel für die vielen
Menschen,
die nicht lesen und schreiben konnten. Auch diese "Krippen" erlebten
erst
im 16. Jahrhundert ihre Blütezeit, als sie - wie auch das
geistlich-religiöse
Schauspiel - im Zuge der Gegenreformation von den Jesuiten
gefördert
wurden.
Immer wieder in der Geschichte der Krippendarstellung geht es
wie in
den biblische Erzählungen nicht um historische Genauigkeit,
sondern
um theologische Verkündigung und um lebendige Frömmigkeit. So
tragen die Figuren der verschiedenen Krippendarstellungen z.B. die
Kleidung
nach der Mode der jeweiligen Zeit. In einer afrikanischen Krippe sind
Maria,
Josef und die Hirten Afrikaner, in einer asiatischen Krippe sind sie
Asiaten.
Es geht also immer um die Menschen, die in Andacht die Krippe
betrachten.
Sie sollen sich im Geschehen der Weihnacht wiedererkennen und
verstehen,
daß sie selbst die handelnden Personen bei der Ankunft des Herrn
sind. So ist auch jene aktuelle Krippendarstellung zu verstehen, die
das
Geschehen der Geburt Jesu in Zusammenhang bringt mit dem ausgebrannten
Haus einer türkischen Familie hier bei uns in Deutschland.
Unsere Krippe in St. Michael...
ist geprägt vom volkstümlichen Stil der ersten
Hälfte
unseres 20. Jahrhunderts. Wie sehr sogar einzelne Figuren die
Vorstellungen
der jeweiligen Zeit und des geschichtlichen und kutturellen Umfeldes
wiederspiegeln,
konnte man noch 1996 an den "Königen" ablesen: Die
verkörperten
"typisch deutsche" Könige, wie wir sie aus unseren
Geschichtsbüchern
oder aus deutschen Märchen kennen. An ihre Stelle sind inzwischen
prachtvolle orientalische "Fürsten" getreten, während die
alten
Könige "degradiert" wurden: Die beiden "weißen" Könige
wurden zu Hirten ("Kleider machen Leute!"), während aus dem
Schwarzen
ein Elefantentreiber wurde.
Die "Könige" repräsentieren seit eh und je die
Völker
und Nationen der ganzen Welt, für die Gott Mensch wurde, und den
universalen
Anspruch der Reich-Gottes-Verkündigung. Sie repräsentieren
zugleich
aber auch die verschiedenen Generationen. Nachdem in den vergangenen
Jahren
Kinder entdeckten, daß "nur Männer" und "nur Erwachsene" zum
Stall nach Betlehem kommen, wurde inzwischen der Kreis unserer Hirten
ergänzt:
durch eine palästinensische Hirtin, ein palästinensisches
Mädchen
und andere Kinder. Alle zusammen stehen sie für die ganze
Menschheit
in ihrer bunten Vielfalt.
Aber nicht nur die Menschen, sondern "die ganze Schöpfung
wartet
sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes... Auch die
Schöpfung
soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und
Herrlichkeit der Kinder Gottes". (Röm. 8, 19 und 21 ). So haben
inzwischen
neben Ochs und Esel und den Schafen auch andere Tiere Platz an der
Krippe
gefunden.
Unsere Krippe ist nicht nur für Kinder gedacht. Auch wir
Erwachsenen
sind nicht nur mit unserem Intellekt begabt, sondern ebenso mit
Eindrucksfähigkeit
unserer Sinne. Über die Sinne sprechen uns Bilder an, spricht uns
auch diese Krippe an. Über die Sinne vermittelt sie uns auch das
Verständnis
theologischer Hintergründe und Zusammenhänge. Die
"Wüste",
aus der die "Könige" kommen, ist mehr als die jemenitische
Wüste
Saba, das fließende (lebendige) Wasser ist mehr als ein modischer
Gag. "Wüste" und "Wasser sind sehr ursprüngliche
allgemein-religiöse
und insbesondere christliche Symbole, die sich in der Betrachtung und
theologischen
Deutung der Krippe erschließen. Die folgenden Seiten möchten
dazu ein paar Schlüssel in die Hand geben.
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