Predigt zum Abschluß von "Ora et Labora" auf der Neuerburg am Sonntag, dem 12. Juli 2009:
"Burg und Stadt Gottes"
Lesung: Offb. 21, 10 - 27 gekürzt
Evangelium: Tagesevangelium Mk. 6, 7 - 13
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Zur festlichen Messe waren alle Burggäste und die Katholiken von Neuerburg eingeladen. Die Predigt nimmt etliche Gedanken einer früheren Predigt "Visionen für eine Stadt" auf.
Burg und Stadt gehören in Neuerburg zusammen -
nicht nur weil wir heute zusammen Gottesdienst feiern;
sondern vor allem weil Burg und Stadt
als eine Einheit konzipiert und gebaut sind.
„Burg“ und „Stadt“ gehören auch in der Bibel zusammen
und sind zu ganz wichtigen Bildern und Symbolen geworden..

Gott selbst - so heißt es - sei für uns „Zuflucht und Burg“ (Ps.91).
Aber viel lieber verlassen sich Menschen
in der Regel auf ihre eigenen Burgen.
So bauen sie schon in Babel nicht nur eine mächtige Stadt,
sondern vor allem einen Burgturm, der bis an den Himmel reicht.
Babel wird zum Inbegriff einer selbstherrlichen Stadt,
die Gott nicht nötig hat.
Aber gerade deshalb endet sie im Chaos:
Kein Mensch versteht mehr den anderen - Sprachverwirrung.
Ehemals Nachbarn - werden sie nun
füreinander zu reißenden Wölfen.

Auf der anderen Seite gibt‘s da das Bild des neuen Jerusalem,.
die Vision der „himmlischen“ Stadt Gottes.
Die steht für ein Gemeinwesen,
das sich an Gottes Maßstäben von Gerechtigkeit und Liebe orientiert.
In den Evangelien heißt diese Stadt auch
„Reich Gottes“ oder „Himmelreich“.

Wahrscheinlich fällt es uns nicht schwer,
heutige Städte zu nennen, die uns an Babel erinnern.
Welche Stadt aber kommt dem himmlischen Jerusalem
wenigstens andeutungsweise nahe?
Neuerburg vielleicht?
Das wäre keineswegs ganz abwegig!
Immerhin sagt Jesus ganz ernsthaft:
„Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch.“
Warum sollte das nicht konkret erfahrbar sein -
etwa hier in Neuerburg?

Was macht eine Stadt nach Art des „himmlischen Jerusalem“ aus?
Nach welchen Kriterien muß eine solch menschenfreundliche Stadt
politisch gestaltet werden?

1.    Auf der Suche danach blieb ich zunächst hängen an dem Vers
„Ihre Tore werden den ganzen Tag nicht geschlossen!“
Und „Nacht wird es dort nicht mehr geben.“
Das heißt doch:
•    Jeder kann sich in dieser Stadt frei und ohne Angst bewegen.
•    Dunkle und gefährliche Winkel gibt es nicht.
•    Kinder gehen angstfrei zur Schule.
•    Ältere können auch abends unbesorgt ausgehen.
Und dazu bedarf es keiner besonderen Sicherheitsvorkehrungen.
Geschlossene Tore,
strengere Gesetze,
mehr Polizei -
das alles ist überflüssig!

Warum ist das so?
Die Bibel nennt den Grund:
Die Herrlichkeit Gottes erleuchtet diese Stadt
und die in ihr wohnen.
Was das meint, wird vielleicht deutlicher durch ein Beispiel:
Vor vielen Jahren kam ich auf einer
Fahrradfahrt mit Jugendlichen in ein Dorf.
Dort stellten wir für eine Rast unsere Räder an der Kirche ab
und schlossen sie gewohnheitsmäßig mit einer Kette zusammen.
Da kam eine Frau auf uns zu und sagte:
„Hier brauchen Sie Ihre Räder nicht abzuschließen;
hier ist alles evangelisch!“

Ich denke, diese Frau hat das Sicherheitsproblem
auf den Punkt gebracht:
Die selbstverständliche Vermittlung von Werten,
die Hinführung zu einem lebendigen Glauben
und zur Mitte christlichen Glaubens, zu Jesus Christus selbst,
machen die Polizei überflüssig.
So würden wir nicht nur mehr Lebensqualität gewinnen,
wir würden darüber hinaus auch viel Geld sparen.
Vielleicht wäre das ja eine hilfreiche Anregung
für die Innenminister von Bund und Ländern.

6.    Dann fiel mir zweitens auf,
wie transparent diese Stadt Gottes ist:
Die neue Stadt - heißt es - sei eine durchsichtige Stadt.
Alles - selbst die Straßen - durchsichtig wie Glas!
Und erst recht natürlich eine durchsichtige und transparente Politik!
Schließlich kommt das Wort Politik ja von „Polis“,
und dieses griechische Wort heißt „Stadt“.

Also: Eine durchsichtige, der Wahrheit verpflichtete Sprache.
Das krasse Gegenteil von „Babelsprache“,
von Lügensprache,
von Verschleierungssprache.
Eine menschliche, an der Würde des Menschen orientierte Sprache.
Das Wörterbuch des Unmenschen ist gibt‘s da nicht.
Messen Sie doch mal die Sprache unserer Zeitungen
oder auch die Sprache des aktuellen Wahlkampfes
an der Sprache Jesu,
der wie kein anderer
die befreiende, erlösende,
tröstende und lebenerweckende
Sprache der „himmlischen Stadt“ beherrschte.

„Durchsichtig“ ist übrigens nicht gleichbedeutend mit „entlarvend“!
Entlarvende Sprache zerrt in den Dreck.
Wer zu entlarven meint,
„durchschaut“ Menschen mit schmutzigen Augen.
Ein Lehrer, der an einen Schüler glaubt,
durchschaut ihn nicht auf das Schlechte hin.
Er durchschaut den Schüler
und entdeckt in ihm das verborgene Gute
und lockt mit seiner Art zu durchschauen
das Gute geradezu aus dem Schüler heraus.
Stellen Sie sich nur für einen Augenblick vor,
ein Politiker würde seinen Konkurrenten von der anderen Partei
so konstruktiv durchschauen!
Dann hätten Sie so ungefähr eine Vorstellung davon,
was die Bibel meint mit dem scheinbar widersprüchlichen Satz:
die Stadt sei aus reinem Gold, wie aus reinem Glas.

7.    Sodann fiel mir drittens auf,
ein Engel habe die neue Stadt
mit einem goldenen Meßstab neu vermessen.
Genau darum geht es auch heute:
Wir müssen unsere Städte neu vermessen -
mit jenem goldenen Maß,
das uns in Jesus Christus geschenkt ist.
Die Straßen neu vermessen:
ob sie wirklich Verbindungswege sind
zwischen den Menschen.
Unsere Rathäuser neu vermessen:
ob sie durchsichtig sind wie Glas,
oder ob sie Dunkelkammern sind,
in denen sich Menschenverächtliches entwickelt.
Auch unsere Häuser und Wohnungen neu vermessen:
ob Menschen darin atmen und sich freuen können
- alle Menschen -
auch Kinder, Alte, Lahme, Blinde und Minderheiten.

Nicht dann ist eine Stadt schon eine gute Stadt,
wenn alles läuft!
Wenn alles läuft,
werden auch viele überfahren.
•    Gerade Christen in einer Stadt haben die Aufgabe,
    eine neue Stadt zu erfinden.
•    Christen haben in ihren Heiligen Schriften
    jene Vision einer neuen Stadt,
    die regelrecht danach schreit,
    in Politik umgesetzt zu werden.
•    Gerade Christen haben in Jesus Christus
    das Bild des neuen Menschen,
    ohne den es keine neue Stadt geben wird.

So sind wir also mit den Jüngern des Evangeliums berufen,
die Botschaft von Gottes Stadt zu verkünden,
aus unseren Städten alle Dämonen zu vertreiben
und die Menschen, die dort wohnen,
an Leib und Seele zu heilen.

Amen.