Anstelle einer Predigt am 17. Juli 2007:
Erfahrungen einer Pastoralreise

Eine „junge Kirche"
fällt nicht vom Himmel

Einige Priester des Dekanates Göttingen haben in der vergangenen Woche vier Tage im oberitalienischen Bistum Brescia verbracht - vor allem um Don Luigi zu besuchen, der mehr als dreißig Jahre Pfarrer der italienischen Gemeinde in Göttingen war, und der alle alten Bekannten grüßen läßt; sodann aber auch um das kirchliche Leben in diesem Bistum Brescia kennenzulernen. Da haben wir nun gemeinsam überraschende und faszinierende Erfahrungen gesammelt.

Nur schwer konnten wir uns vorstellen, daß für ein ganzes Bistum die allererste Priorität die kirchliche Jugendarbeit ist. Aber genau das ist in Brescia der Fall. Flächenmäßig ist Brescia zwar deutlich kleiner als Hildesheim, im Blick auf die Zahl der Katholiken jedoch wenigstens dreimal so groß. So gibt es in Brescia über 840 Pfarreien (Hildesheim: 243). 804 Pfarreien des Bistums Brescia haben jeweils ein eigenes Jugendoratorium. Das Wort „Oratorium" ist mehrdeutig. Hier wird es im Sinne eines berühmten Jugendseelsorges, des hl.Don Bosco, gebraucht. Der versammelte Kinder und Jugendliche, um mit ihnen die Freizeit zu gestalten, Sport zu treiben, zu spielen und auch zu beten und ihnen den christlichen Glauben zu vermitteln. Diese Treffpunkte nannte er Oratorien.

Ein solches Oratorium also gibt es in fast jeder Pfarrei von Brescia: Große und vielfältige Räumlichkeiten, in der Regel mit einem größeren Sportgelände und manchmal sogar mit einem eigenen Kinosaal. Täglich treffen sich dort bis zu 150 Kinder und Jugendliche - während einiger Ferienwochen sogar während des ganzen Tages. Zu verschiedenen Tageszeiten haben wir Oratorien besucht und immer sprühendes Leben angetroffen - bei Spiel und Sport, beim Malen und Gestalten, beim gemeinsamen Essen... Der Tag ist gegliedert durch Morgengebet, Mittaggebet und Abendgebet. Und während der Schulzeit gehört ganz selbstverständlich auch die Glaubenskatechese dazu: Vier (!) Jahre Vorbereitung auf die Erstkommunion und noch einmal vier Jahre Vorbereitung auf die Firmung.

In der Regel ist der jeweilige Kaplan Leiter des Oratoriums, manchmal auch ein Sozialpädagoge. Zur Hand gehen ihm bis zu siebzig Animateure, die sich in ihrem ehrenamtlichen Dienst abwechseln, und die für ihre Aufgabe eigens geschult sind. Im vergangenen Jahr hat das Bistum 1000 (!) solcher Animateure ausgebildet. Von Ehrenamtlichen wird übrigens auch das Essen für die Kinder und Jugendlichen gekocht.

Vom Bistum - konkret vom Diözesanjugendseelsorger mit seinem Team - werden auch hervorragende und gut gestaltete Materialien für die Arbeit in den Oratorien herausgegeben. Wir haben im Generalvikariat von Brescia dieses Team besucht. Bei uns würde man sagen „Bischöfliches Jugendamt". In Brescia jedoch hatte das kaum den Charakter eines „Amtes". Vielmehr gab es da - unabhängig vom Haupteingang des Generalvikariates - ebenerdig einen eigenen offenen Zugang über eine Jugendbuchhandlung und einen Treffpunkt. Ein Treffpunkt ist eigentlich das ganze „Jugendamt". Während unseres Gespräches mit dem Diözesanjugendseelsorger wurden wir immer wieder unterbrochen durch Besucher oder ganzer Besuchergruppen, z.B. einer Gruppe von behinderten Jugendlichen, die sich dort zu Hause zu fühlen schienen.

Unter diesen Voraussetzungen erschien es uns dann auch nicht weiter verwunderlich, daß wir in Brescia kein einziges Wort über Priestermangel hörten. Im Gegenteil: Mehr als 200 Priester des Bistums arbeiten im Ausland: In Lateinamerika, in Afrika oder auch als Seelsorger italienischer Gemeinden in Deutschland. In jedem Jahr wird rund ein Dutzend junger Leute zu Priestern geweiht. Etwa 1500 Ordensschwestern sind vor allem in vielfältigen caritativen Diensten engagiert. Dennoch hatten wir den Eindruck, daß für die kirchliche Arbeit auch deutlich mehr Ehreamtliche zur Verfügung stehen als bei uns.

Aus verschiedenen Gründen läßt sich dieses Modell von Kinder- und Jugendarbeit sicher nicht auf unsere Verhältnisse übertragen. Und dennoch können wir eine Menge davon lernen - nicht zuletzt die Prioritätensetzung.