Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (C)
am 8. Juli 2007
Lesung: Jes. 66, 10 - 14 c
Evangelium: Lk. 10, 1 - 12 . 17 - 20
Im Sinne einer ganzheitlichen Sicht der Heiligen Schrift
ist es in der Kirche alte Tradition,
Texte des Ersten Testamentes aus dem Blickwinkel
des Zweiten Testamentes zu lesen und zu interpretieren.
Eigentlich geht diese Tradition auf Jesus selbst zurück:
Er sah bereits die Verheißungen des sog. Alten Bundes erfüllt
in Seinem Kommen, in Seiner Sendung,
in Seiner Botschaft vom angebrochenen Reich Gottes.

In diesem Sinne möchte ich es wagen,
die Lesung des heutigen Sonntags noch einmal neu zu lesen -
aus der Perspektive der Kirche Jesu Christi:

„Freut euch mit der Kirche! Jubelt in der Kirche Jesu Christi,
alle, die ihr sie liebt.
Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart.
Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust,
trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum!
Denn so spricht der Herr:
Seht her: Wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr...
wie einen rauschenden Bach.
Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen
und auf den Knien schaukeln.
Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch;
in der Kirche Jesu Christi findet ihr Trost.
Wenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen,
und ihr werdet aufblühen wie frisches Gras.
So offenbart sich die Hand des Herrn
an seinen Dienerinnen und Dienern."

Gewiß läßt sich bei dieser Jesaja-Weissagung
nicht säuberlich unterscheiden
zwischen einer tröstlichen Verheißung für die nahe Zukunft
und endzeitlicher Vision.
Diese Unschärfe gilt natürlich auch
für die übertragene Deutung auf die Kirche.
Dennoch ist da ein wesentlicher Unterschied:
Wir dürfen im Glauben davon überzeugt sein,
daß das verheißene Reich Gottes bereits Wirklichkeit ist.
„Man kann nicht sagen: Seht, hier ist das Reich Gottes!,
oder: Dort ist es!
Denn: Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch",
hat Jesus gesagt. (Lk.17:21)
Auch hat Jesus gesagt:
„Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe,
dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen." (Mt.12:28)

Die alte Jesaja-Verheißung wird kurz nach der Rückkehr Israels
aus dem babylonischen Exil datiert.
Jerusalem ist zerstört, ein trostloses Ruinenfeld.
Die Stadt ist wie eine Mutter,
die über ihre verschleppten und getöteten Kinder weint.
Jesaja dreht dieses Bild nun um
und zeichnet die Stadt als eine Mutter,
die ihre wieder gefundenen Kinder trägt,
sie schaukelt und tröstet.
„Freut euch mit Jerusalem!
Jubelt in der Stadt alle, die ihr sie liebt!
Seid fröhlich mit ihr, alle,
die ihr über sie traurig wart!"

Viele Christen unserer Zeit sind niedergeschlagen und traurig
angesichts des Bildes, das die Kirche heute bietet -
jedenfalls in Europa.
Sie haben sich daran gewöhnt,
zu jammern und zu klagen.
Gerade unter diesem Vorzeichen
ist mir die Jesaja-Verheißung heute wichtig:
„Freut euch mit der Kirche!
Jubelt in der Kirche Jesu Christi,
alle, die ihr sie liebt.
Seid fröhlich mit ihr, alle,
die ihr nichts anderes im Sinne habt,
als zu klagen, zu jammern und zu lamentieren!"
Angesichts der frohmachenden Botschaft Jesu Christi
über die angebrochene Herrschaft Gottes
habt ihr fürwahr Grund dazu!
Macht eure Augen auf,
schaut mit „guten Augen" und entdeckt endlich,
daß sich in dieser Kirche bereits das Neue regt,
daß ihr Gottes Zukunft bereits mit Händen greifen könnt -
wenn ihr nur wollt.

Noch ein zweiter Gedanke ist mir heute wichtig.
Der verknüpft diese Lesung mit dem Evangelium.
Es geht um die Verheißung des Friedens.
„Seht her: Wie einen Strom leite ich den Frieden
in diese Stadt Jerusalem" -
so läßt Jesaja Gott selbst zu Wort kommen.

In Jesus Christus hat dieser göttliche und endgültige Friede
Hand und Fuß bekommen.
Allerdings: Jesus Christus trägt uns selbst auf,
an diesem Frieden mitzuwirken
und ihn in jedes Haus zu bringen, das wir betreten.
„Wenn ihr in ein Haus kommt,
so sagt als erstes: Friede diesem Haus!
Heilt die Kranken, die dort sind,
und sagt den Leuten:
Das Reich Gottes ist euch nahe.
Wenn dort ein Mensch des Friedens wohnt,
wird der Friede, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen.
Wenn nicht, dann wird der Friede zu euch zurückkehren."

In diesem Fall klagt und jammert nicht,
und ruft noch viel weniger Donner, Blitz und Zerstörung
auf diejenigen herab, die sich sperren!
(Bereits am letzten Sonntag hat Jesus die „Donnersöhne"
mehr als deutlich in ihre Schranken gewiesen.)
Heute sagt Jesus: Zieht einfach weiter, woandershin -
allerdings macht denen, die auf ihrer Ablehnung beharren,
durchaus klar, was sie verpassen,
und daß sie die Verantwortung tragen für die Konsequenzen,
für all das Elend dieser Welt,
das auf ihre Friedlosigkeit zurückgeht,
für all die Orientierungslosigkeit unserer Gesellschaft
und nicht zuletzt für die Gewalt,
die sich sogar unter Kindern breitmacht.
All das hat seine Wurzeln in jenem Egoismus,
der nur auf das eigene Wohlergehen achtet,
statt die frohmachende, friedvolle und von der Liebe geprägte
Botschaft Jesu Christi anzunehmen.

Vielleicht würde Jesus heute noch hinzufügen:
Freut euch mit der Kirche!
In ihr steckt all das an Ressourcen,
was die Welt für eine lebenswerte Zukunft braucht.
Macht euch mit den Ressourcen des Evangeliums vertraut!
Steht zum Evangelium! Steht zu dieser Kirche!
Vor allem: Lebt sie!
Damit sie ihre Frieden schaffende Kraft entfalten kann.

Amen.