Predigt über die Engel
am Sonntag, dem 3. Oktober 2004
Anläßlich des Schutzengelfestes am 2. Oktober.
Lesung: Ex. 23, 20-22
Evangelium: Mt. 18, 1-5.10 
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Außerhalb der Kirche - häufig in esoterischen Zirkeln -
gewinnen die Engel zunehmend an Bedeutung.
In der Kirche selbst spielen Engel kaum noch eine Rolle.
Vielleicht hat das seinen Grund
einmal in der Verniedlichung der Engel als „Putten" während der Barockzeit,
und dann auch in der naiven - für unsere Begriffe manchmal kitschigen - 
Darstellung der Engel, zumal der Schutzengel, im 19. Jahrhundert.

Ich möchte Sie heute abend einladen
zu einem Blick in die Heilige Schrift.
Dort ist ganz selbstverständlich von Engeln die Rede.
Aus dem facettenreichen Bild, das die Bibel von Engeln zeichnet,
können wir allerdings nur wenige Aspekte betrachten.

Ein Schlüsseltext scheint mir die Erscheinung des Herrn vor Mose
im brennenden Dornbusch zu sein (Ex.3,2-4):

    „Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem
    Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und
    verbrannte doch nicht.
    Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche
    Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht?
    Als der Herr sah, daß Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief
    Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich."

Der Text scheint nahezulegen,
daß der „Engel des Herrn" nichts anderes 
als eine Erscheinungsweise des Herrn selbst ist.

So auch im Psalm 91:

    Der Höchste selbst „rettet dich aus der Schlinge des Jägers 
    und aus allem Verderben.
    Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, 
    unter seinen Schwingen findest du Zuflucht...
    Denn der Herr ist deine Zuflucht... 
    Er befiehlt seinen Engeln, 
    dich zu behüten auf all deinen Wegen.
    Sie tragen dich auf ihren Händen, 
    damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt..."

Das Bild, das wir uns in biblischer Tradition vom Engel machen,
fließt also ineinander mit der menschlichen Vorstellung
vom unvorstellbaren Gott.

In dieser durch und durch biblischen Tradition
hat nun Marc Chagall sein Bild vom 
„Durchzug durch daa Rote Meer" gemalt:

In der biblischen Kurzfassung 
lautet das Glaubensbekenntnis Israels so (Dtn.26,8):

    „Der Herr führte uns mit starker Hand und hoch erhobenem Arm, 
    unter großem Schrecken, unter Zeichen und Wundern aus Ägypten."

Bei Marc Chagall entspricht diesem Bekenntnissatz
ein mit dem Goldglanz Gottes bedeckter Engel vor dem Zug,
der dem Volk den Weg weist.
Er ist gleichsam der ins Bild gesetzte,
Person gewordene Gottesname „Jahwe" - „Ich bin bei euch!".

Wenn diese Darstellung für uns als Christen heute relevant werden soll,
dann müssen wir wohl - ähnlich wie Israel es immer wieder getan hat -
uns unsere eigenen Glaubenserfahrungen in Erinnerung rufen
und auch die Glaubenserfahrungen der Kirche in ihrer ganzen Geschichte.

Dieser Gott hat Sein Volk - damals und zu allen Zeiten und auch heute -
immer wieder befreit.
Auch auf unserem ganz persönlichen Weg war ER unser Wegbegleiter.
Bei allem Auf und Ab der Geschichte
und gerade auch in deren dunkelsten Stunden
hat ER sich letztendlich immer wieder als der Retter erwiesen,
hat ER neue Perspektiven eröffnet,
hat ER die Hoffnung nicht untergehen lassen.

Darüber hinaus hat ER den Auftrag gegeben,
die Botschaft Seiner rettenden Macht, die Botschaft der Erlösung,
ja, die Erlösung und die von Ihm geschenkte Freiheit selbst
an die Menschen aller Zeiten weiterzugeben.
ER hat die Hoffnung gesetzt,
daß eines Tages alle Menschen der Erde
an dieser Freiheit und Gerechtigkeit teilhaben werden. 

Für Gottes heilschaffendes Wirken in der Geschichte,
für Seine Verheißung
und für die von Ihm geschenkte Hoffnung
steht der „Engel des Herrn".

Die Glaubenserfahrung Israels, die sich in der Bibel spiegelt,
weiß aber auch darum,
daß das Heil Gottes auf das engste verknüpft ist
mit Seiner „Weisung" und mit einem Leben,
das dieser Weisung folgt.
Das kommt zum Beispiel zum Ausdruck in der Lesung aus dem Buch Exodus,
die wir soeben gehört haben.
Diese Lesung bildet den Abschluß jener „Weisung" Gottes,
die Exegeten heute das „Bundesbuch" nennen.

Und da heißt es also:
    „Ich werde einen Engel schicken, der dir vorausgeht.
    Er soll dich auf dem Weg schützen
    und dich an den Ort bringen, den ich bestimmt habe.
    Achte auf ihn und höre auf seine Stimme!
    Er würde es nicht ertragen, wenn ihr euch auflehnt;
    denn in ihm ist mein Name gegenwärtig."

Vielleicht ist Ihnen bei der Betrachtung des Chagallbildes aufgefallen,
daß da noch ein zweiter Engel ist:
Der hält die Buchrolle der Weisung Gottes
dem chaotischen Haufen der verfolgenden Ägypter vor Augen
und sagt damit:
Auch euch gilt die Verheißung Gottes,
wenn ihr euch zu Ihm und zu Seinen Weisungen bekehrt.

Sodann fällt bei der Betrachtung es Bildes noch auf,
daß Mose selbst nicht mit seinem Volk zieht,
sondern auf dieser Seite des Meeres
und in der Nähe der Ägypter steht.

Marc Chagall sagt damit:
Mose ist nicht in ferner Zeit durch ein Meer gezogen;
vielmehr steht Mose jederzeit vor uns
und vor jedem neuen Meer, 
durch das wir zu gehen gezwungen werden.
Er redet uns an, er ermutigt uns,
den Gang durch das Meer zu wagen -
im Vertrauen auf IHN, 
dessen Engel uns auch heute vorangeht.

Eine solche Aktualisierung findet sich auch 
z.B. in der Osterliturgie unserer Kirche:
Da heißt es nicht:
„In dieser Nacht denken wir an jene längst vergangene Nacht,
da Israel durch das Rote Meer zog."
Vielmehr heißt es:
„Dies ist die Nacht!"

Im Buch Deuteronomium heißt es 
lange nach dem Exodus Israels aktualisierend:

    „Uns hat ER von dort weggeführt,
    um uns in das Land zu bringen,
    das Er unseren Vätern verheißen hat." (Dtn. 6,23)

Im gleichen Sinne aktualisierend feiern wir Sonntag für Sonntag
in der Eucharstie das Heilswirken Gottes auch in unserer Zeit.
Wir sind daher auch heute zusammengekommen,
um zu danken, zu preisen, zu loben und zu verherrlichen
den, der uns all diese Wunder getan und uns geführt hat 
aus der Knechtschaft in die Freiheit,
aus Kummer zur Freude, aus dem Dunkel ins Licht.
Laßt uns also Ihm danken, der uns zur Hoffnung befreit!

Amen.