Predigt zum Christkönigsfest (C)
am 21. November 2004
Lesungen: 1. Sam. 8, 1 - 9 und Ko. 1, 12 - 20
Evangelium: Lk. 23, 35b - 43
Autor: P.Heribert Graab S.J.
„Wilde Gesellen vom Sturmwind durchweht,
Fürsten in Lumpen und Loden..."
Vielleicht weckt dieses Lied bei einigen von Ihnen Jugenderinnerungen.
Dieses Lied stammt aus der Jugendbewegung
um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Die, die es damals begeistert gesungen haben,
fühlten sich als „Fürsten in Lumpen und Loden".

Gerade diese Zeile von den „Fürsten in Lumpen und Loden"
fiel mir bei der Einstimmung auf das Christkönigsfest ein.
Die Jugendbewegung war eine Alternativbewegung (Protestbewegung)
gegen den herrschenden, innerlich ausgehöhlten,
bürgerlichen Lebensstil der damaligen Zeit
und gegen die entsprechende Mentalität und Wertvorstellung.

Solche Alternativbewegungen
gab‘s in der Geschichte immer wieder -
vor allem dann,
wenn die gesellschaftlichen Zustände
zu wachsender Kritik herausforderten,
und immer mehr Menschen sagten:
„So kann‘s nicht weitergehen!"

In unserer Zeit war etwa die „grüne" Bewegung
eine solche Alternative - lang, lang ist‘s her.
In biblischer Zeit war z.B. Samuel
der Sprecher einer solch kritisch-wachen Opposition.
Unter dem Eindruck aktueller Bedrohung durch die Philister
forcierten politisch einflußreiche Kreise in Israel
eine starke Zentralinstanz:
Sie wollten einen König haben.

Nun gab es aber schon damals Menschen,
die aus der Erfahrung der Geschichte wußten:
Menschliche Macht ist um so mehr
der Korruption, egoistischem Gewinnstreben
und dem Mißbrauch ausgesetzt,
je mehr sie auf einige wenige
oder gar auf einen Einzelnen konzentriert ist.
Sie erinnerten sich der alten Tradition Israels,
die besagt:
Gott allein ist unser König!,
Und menschliche Leitungsvollmacht
ist nur auf begrenzte Zeit und für konkrete Projekte
von Gott her legitimiert.

Diejenigen also, die nach einer starken Zentralinstanz schreien,
haben aus der Sicht des Samuel
„Gott verworfen, als sie sagten: Gib uns einen König".


Den Einspruch des Samuel und der königskritischen Kreise
müssen wir zeitübergreifend und also auch für heute
wohl so übersetzen:
Niemand hat letzlich Macht über unser Leben als Gott allein!
•    Das gilt für die Politik, für die Wirtschaft,
    für die Medien und immer wieder auch für die Kirche.
•    Das gilt aber auch am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft,
    und nicht zuletzt in Ehe und Familie.

Natürlich bestimmen in vielen Situationen andere über uns.
Sie üben Autorität aus, vielleicht sogar Macht.
Menschlicher Autorität und erst recht menschlicher Macht
sind jedoch enge Grenzen gesetzt.
Die letzte Macht liegt ausschließlich bei Gott.
Seine Herrschaft relativiert
alle menschliche Machtausübung.
Seine Herrschaft setzt auch Maßstäbe,
an denen sich jede menschliche Autorität messen lassen muß.
Das ist die Botschaft dieses letzten Sonntags im Kirchenjahr.

Da steckt eine enorme emanzipatorische Kraft drin!
Diese Botschaft befreit
von jeder selbstherrlich ausgübter Macht.
Ich denke, diese Botschaft hat auch Martin Luther im Sinn,
wenn er von der „Freiheit des Christenmenschen" sprícht.

Andererseits allerdings ist nicht alles Emanzipation oder „Befreiung",
was sich als solche ausgibt.
Wo man Freiheit absolut setzt
und alle Maßstäbe, Normen und Werte in Frage stellt -
dort gerät diese sogenannte Freiheit zur Beliebigkeit
und endet letztendlich im Chaos.

Wie oft wurde uns in der Vergangenheit
die Offenheit und Liberalität der niederländischen Gesellschaft
als erstrebenswert vor Augen gestellt!
Die Probleme jedoch,
vor die sich die Niederländer augenblicklich gestellt sehen,
ergeben sich nicht aus einer erstrebenswerten Freiheit,
und auch nicht aus der Offenheit für viele Kulturen und Religionen -
diese Probleme ergeben sich einzig und allein
aus einer grenzenlosen Beliebigkeit in Wertfragen!
Demokratie z.B. ist noch kein Wert an sich.
Es kommt vielmehr an auf das Menschenbild,
das die Demokratie als Gesellschaftsform inhaltlich füllt.
Weit weniger als 50 % der Menschen in den Niederlanden
bezeichnen sich heute noch als Christen.
Damit sind konsequenterweise auch
christliche Wertvorstellungen und das christliche Menschenbild
weitgehend verloren gegangen.
Und was ist an die Stelle getreten ???

Wir hinken hier bei uns der Entwicklung in den Niederlanden
nur wenig hinterher,
und viele forcieren bei uns das Tempo einer solchen Entwicklung.
Nach den Ereignissen bei unseren Nachbarn
wird jedoch auch bei uns über notwendige Konsequenzen diskutiert -
jedenfalls so lange, bis dieses Thema durch ein neueres
und aktuelleres Thema in den Hintergrund gedrängt wird.

Der Christkönigssonntag könnte uns bei dieser Diskussion helfen,
wenigstens die Straßengräben zu vermeiden:

•    Der eine Straßengraben, der auch uns droht,
    ist der Neoliberalismus.
    Das ist nicht nur eine wirtschaftspolitische Irrlehre,
    die Wachstum und Profit absolut setzt,
    anstatt vom Menschen her zu denken.
    Das ist vielmehr eine alles umfassende Irrlehre,
    weil sie schlichtweg alle anderen Werte
    dem wirtschaftlichen Wachstum unterordnet,
    sie damit relativiert und beliebig macht.

•    Der andere Straßengraben ist jedweder Fundamentalismus -
    keineswegs nur der Fundamentalismus muslimischer Prägung.
    Genauso gefährlich ist ein christlicher Fundamentalismus
    oder irgendein anderer ideologischer Fundamentalismus -
    erst recht, wenn er sich parteipolitisch artikuliert.
    Selbst die Verteufelung einer multikulturellen
    und multireligiösen Gesellschaft
    hat fundamentalistische Züge.

    Da wird mit der eigenen kulturellen Tradition etwas absolut gesetzt,
    was aus der Perspektive der Gottesherrschaft
    nur einen relativen Wert hat.
    Daß wir unter den heutigen Bedingungen einer globalen Welt
    multikulturell und multireligiös leben müssen -
    daran führt kein Weg vorbei.
    Das aber kann nur gelingen,
    wenn wir selbst unserer eigenen Identität sicher sind.
    Der Verzicht auf einen Gottesbezug
    und auf christliche Traditionen
    im europäischen Verfassungsentwurf
    läßt Schlimmes erahnen.

Nach den Kriterien der Botschaft vom kommenden Reich Gottes
sind wohlgemerkt nicht die Muslime unsere Gegner,
und schon gar nicht unsere Feinde.
Mit ihnen verbindet uns als Christen nicht nur der Glaube an den einen Gott.
Vielmehr haben wir mit ihnen auch viele Werte gemeinsam,
die sich aus diesem Gottesglauben ergeben.

Unsere gemeinsamen Gegner sind viel mehr
jene Kräfte in unserer Gesellschaft,
die nicht nur Gott aus ihrem Vokabular gestrichen haben,
sondern als Folge davon letztlich auch den Menschen gering achten.
Mit dem christlichen Glauben sehe ich auch
die darauf fußenden humanen Werte den Bach hinunter gehen.

Wir sollten also nicht darüber klagen,
daß der Islam in der Welt augenblicklich eine Art Renaissance erlebt.
Klagen sollten wir und uns selbst an die Brust klopfen,
weil wir Wischi-Waschi-Christen sind,
weil wir zwar Christus als unseren König feiern,
aber im Alltag nicht dazu stehen.

Abschließend möchte ich noch einmal
jene Liedzeile des Anfangs aufgreifen:
„Fürsten in Lumpen und Loden".
Als solche fühlten sich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts
junge Menschen:
frei von all den Fesseln eines innerlich ausgehöhlten Lebensstils.

Wenn das, was diesen jungen Menschen das Gefühl gab,
„Fürsten in Lumpen und Loden" zu sein
- alternativ zu den Vorstellungen ihrer Zeit -
dann ist erst recht alternativ,
was uns das Evangelium heute
von diesem König am Kreuz verkündet:
Er allein konnte und kann auch heute
nicht nur dem „guten" Schächer neben sich am Kreuz,
sondern uns allen das „Paradies" verheißen -
die Zugehörigkeit zu Seinem Reich der Wahrheit,
der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe -
und das „heute noch"!

Amen.