Predigt zum 6. Sonntag im Jahreskreis (C) 
am 11. Februar 2001 
Predigt zum Sonntagsevangelium: Lk. 6, 17.20-26. 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Mit dem heutigen Evangelium haben wir Probleme.
Jedenfalls tun sich jene Christen,
die z.B. in Asien, Afrika oder Lateinamerika
unter dem Existenzminimum leben,
wesentlich leichter,
die Seligpreisungen Jesu auf sich selbst zu beziehen
und daraus Trost zu schöpfen.
Diese Christen wissen, wer gemeint ist,
wenn Jesus die Armen seligpreist,
und auch wenn Jesus die Reichen unter das „Wehe" stellt.

Wir aber doktern an dem Begriff der Armut herum,
drehen und biegen ihn so lange, bis wir was damit anfangen können:

Arm ist schon, wer ein altes Auto fährt.
Arm ist, wer noch nie auf Mallorca war.
Arm ist, wer sich kein Marken-T-Shirt leisten kann.
Arm ist, wer auf der Aufstiegsleiter im Beruf nicht vorankommt.
Arm sind Kinder, die die Klamotten der älteren Geschwister auftragen müssen.

Eins steht fest:
Diese Art von Armut meint das Lukasevangelium nicht!
Dafür gibt es im Griechischen eine ganz andere Vokabel.

Wirklich arm ist, wer bei einem kranken Partner ausharrt
und keinen Dank zurück bekommt.
Arm ist auch, wer einen lieben Menschen verloren hat,
und nun unter der Einsamkeit leidet.
Arm ist auch, wer keinen Partner für‘s Leben gefunden hat
und allein bleiben mußte,
oder wer von seinem Partner verlassen wurde.

Ich bin überzeugt, die Seligpreisungen Jesu
gelten durchaus für Menschen,
die in diesem sinne „arm" sind.
Aber auch diese Art von Armut meint das Lukasevangelium nicht!

Das Lukasevangelium spricht eine durchaus klare Sprache:
Es sagt und es meint jene, die im wörtlichen Sinne „bettelarm" sind.
Und es preist gerade diese Menschen selig,
obwohl ausgerechnet unter den Adressaten des Lukas
bereits etliche „Wohlstandschristen" waren.

Und die hatten damals schon Probleme
mit der knallharten Botschaft der „Feldpredigt" Jesu,
wie sie Lukas überliefert.
Der schöpft übrigens aus der gleichen Überlieferungsquelle
wie Matthäus.
In dessen „Bergpredigt" sind den gleichen Worten Jesu
bereits „die Zähne gezogen".
Dort heißt es:
„Selig, die arm sind vor Gott!"
Oder nach der älteren Übersetzung:
„Selig, die arm sind im Geiste!"
Und die Wehe-Rufe unterschlägt Matthäus gleich ganz.
In dieser Tatsache spiegeln sich genau die Probleme,
die wir heute mit dem ursprünglichen Text haben,
der bei Lukas mit großer Sicherheit dem, was Jesus wirklich gesagt hat, 
wesentlich näher kommt.

Was also kann uns dieser „radikale" Text sagen,
wenn wir hier in Deutschland - jedenfalls in unserer großen Mehrheit -
nicht zu den Seliggepriesenen gehören?

Zunächst einmal, denke ich,
müssen wir lernen, mit den Augen Jesu zu sehen,
und sensibel zu werden für jene Armut,
die auch heute noch Menschen verhungern läßt,
die sie ausschließt von den Segnungen der modernen Medizin,
die sie zwingt, auf der Straße zu leben
oder gar „auf den Strich" zu gehen.

An solchen Menschen nicht vorbeizuschauen,
sie vielmehr mit der gütigen Liebe Jesu wahrzunehmen -
das ist ein erster notwendiger Schritt.

Jesus nimmt diese Menschen jedoch nicht nur wahr,
er geht vielmehr auf sie zu:
Schon durch seine Zuwendung verändert er ihre Lebenssituation.
Mehr noch: Er heilt sie.
Er treibt die Dämonen ihrer unmenschlichen Lebenssituation aus.
Er nennt auch die Schuldigen beim Namen
und prangert deren Unrecht an.

Und genau darum muß es auch uns heute gehen:
Um unsere persönliche Zuwendung
und zugleich um eine Änderung der Verhältnisse.
Caritas und Politik schließen sich nicht aus!
Beide ergänzen einander.

Die Seligpreisung Jesu gilt den „Armen" -
im wörtlichen Sinn dieses Wortes.
Sie stehen unter Gottes Segen.
Uns aber wird dieser Segen Gottes geschenkt durch die Armen!
In ihnen begegnet uns Gott selbst.
Das wird interessanterweise ausgerechnet im Matthäusevangelium
detailliert ausgeführt - und zwar in der sogenannten Gerichtsrede Jesu:
„Was ihr für einen meiner geringsten (Schwestern und) Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan!"
Und die da konkret aufgezählt werden,
das sind präzise, die Armen, die bei Lukas seliggepriesen werden:
die Hungrigen und Durstigen,
die Fremden und Obdachlosen,
die Nackten und Kranken,
und schließlich die, die im Schuldgefängnis sitzen.
Heute wäre da bei uns vielleicht von denen die Rede,
die in Abschiebehaft sitzen.

Auch bei Matthäus gibt es in dieser Gerichtsrede 
übrigens das „Selig" und das „Wehe".
Das eine wie das andere gilt jedoch hier denen,
die helfen, bzw. denen die nicht helfen.

Wie ernst das Evangelium sowohl die „Seligpreisung" nimmt,
als auch das „Wehe" oder gar den „Fluch",
macht noch einmal Lukas deutlich
mit dem Gleichnis Jesu
vom armen Lazarus und vom reichen Prasser.
Der „Schoß Abrahams", in dem der Arme seinen Frieden und sein Glück findet,
und das „Feuer der Unterwelt", das für den egoistischen Reichen bestimmt ist,
sind zwei radikal getrennte Welten,
zwischen denen es keine Brücke gibt.

Abschließend noch eine notwendige Klarstellung:
Mit den Seligpreisungen will Jesus niemanden vertrösten.
Und die Reichen werden auch nicht zur „Vertröstung" der Armen
sozusagen „in die Pfanne gehauen".

Vielmehr richten sich die Seligpreisungen, 
wie auch die Weherufe an uns alle:
Sie enthalten ganz schlicht Tatsachenfeststellungen
aus der Perspektive Jesu und des Vaters.
Es bleibt uns überlassen, daraus Konsequenzen zu ziehen -
und zwar hier und heute!

Für die Armen jedoch können die Seligpreisungen ein Trost sein - 
und das ist etwas ganz anderes als „Vertröstung".
Die Seligpreisungen sind eine klare Stellungnahme Gottes:
„Ich stehe auf Eurer Seite,
wenn Ihr Euer Schicksal in die eigenen Hände nehmt.
Ihr könnt auf mich rechnen,
wenn Ihr z.B. in Selbsthilfegruppen Eure Situation verändert."

Für die Armen sind diese Seligpreisungen
eine Ermutigung zum „aufrechten Gang";
für uns eine Ermutigung, uns auf die Seite der Armen zu stellen
und damit auf Gottes Seite.

Amen.