Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis (C) 
am 4. Februar 2001
Predigt zum Sonntagsevangelium: Lk. 5, 1 - 11. 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Zwei ganz unterschiedliche Gedanken kamen mir in dieser Woche 
bei der Betrachtung des heutigen Sonntagsevangeliums:

1) Jesus sendet seine ersten Jünger,
Menschen zu gewinnen.
Und diese Sendung verknüpft er
mit einem Zeichen der Fülle:
„Sie fingen eine so große Menge Fische,
dass ihre Netze zu reißen drohten." 

Bischof Wanke von Erfurt beginnt einen Brief an die Christen heute
mit der folgenden Feststellung:
„Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt etwas.
Es ist nicht das Geld.
Es sind auch nicht die Gläubigen.
Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt die Überzeugung,
neue Christen gewinnen zu können.
Das ist derzeit ihr schwerster Mangel."

Fürwahr - wir starren resigniert und wie gebannt
auf Statistiken, die die Zahl der Kirchenaustritte dokumentieren.
Viele von uns lassen sich davon deprimieren,
dass die Kirche scheint‘s immer kleiner wird:
„Der letzte mache das Licht aus!"

Wir lassen uns gefangen nehmen von einer öffentlichen Meinung,
die die Kirche als eine Kirche von gestern darstellt,
als eine Kirche ohne Zukunft.

Die Sendung Jesu hatte auch keine Zukunft:
Sie ging scheinbar unter im Desaster des Karfreitags.
Und unter dem Eindruck dieses Desasters
erlebten die Jünger Jesu sich
als einen verschwindend kleinen und zersprengten Haufen
im Angesicht einer feindlichen Umwelt.

Und dennoch überliefert Lukas die Berufungsgeschichte
mit dem Zeichen der Überfülle:
„Sie fingen eine so große Menge Fische,
dass ihre Netze zu reißen drohten." 

Hinter dieser zukunftsträchtigen und frohen Botschaft
stand ebenfalls eine Erfahrung:
Die Erfahrung dieser zunächst so verängstigten Jünger,
dass die Botschaft Jesu sich lawinenartig ausbreitete -
angefangen vom ersten Pfingstfest in Jerusalem
bis hin zu den fast unzähligen Gemeinden,
die in kürzester Zeit wie die Pilze
rund um das Mittelmeer aus dem Boden schossen.

Ganz im Sinne des heutigen Evangeliums
schreibt Bischof Wanke:
„Ich habe die Vision einer Kirche in Deutschland,
die sich darauf einstellt,
wieder neue Christen willkommen zu heißen."

Und auch Bischof Wanke knüpft damit an Erfahrungen an,
die er offenkundig gemacht hat,
und die auch wir machen können,
wenn wir uns nicht von einem ungläubigen Pessimismus
den Blick verstellen lassen.
Bischof Wanke schreibt:
„Es gibt keineswegs nur die Menschen,
die die Kirche verlassen.
Es gibt zunehmend (!) Auch Zeitgenossen,
die nach dem ‚Eingang‘ fragen,
der in die Kirche hineinführt."

Ich selbst mache genau diese Erfahrung schon seit einigen Jahren:
Immer wieder suchen Menschen bei uns 
nach einer tragfähigen Grundlage für ihr Leben.
In unserer Stadt, in der wirklich nur jedes zweite Kind,
das das Licht der Welt erblickt, getauft wird,
fragen immer mehr Erwachsene nach der Taufe
oder möchten in die Kirche aufgenommen, bzw. wieder aufgenommen werden.
Unsere Einladung zu einer neuen Gruppe
„Einführung in den Glauben"
hat gerade erst ein ausgesprochen positives Echo gefunden.

Und wir sind gar nicht so weit davon entfernt,
dass bei uns wieder die Zahl der in die Kirche Aufgenommenen
die Zahl derer übersteigt, die durch Austritt oder Tod ausscheiden.

In dieser Situation kommt es auf uns alle als Gemeinde an,
dass wir offen und einladend suchenden Menschen entgegenkommen. 
„Eine verdrossene und von Selbstzweifeln geplagte Kirche
- oder auch Gemeinde - kann das nicht;
auch nicht eine Kirche, die sich vornehmlich mit sich selbst beschäftigt."
Sagt Bischof Wanke.

Gerade als Innenstadtgemeinde sind wir in St.Michael
auch City- und Passantenkirche.
Nicht nur diese Kirche als Gebäude muß den ganzen Tag offenstehen
und für Vorübergehende einladend sein,
so dass sie hier bei uns verweilen.
Auch die ganze Gemeinde und jeder und jede Einzelne von uns
muß diese einladende und auf Menschen zugehende Offenheit leben.
Und wir alle brauchen die glaubwürdige Überzeugung,
dass wir - wenn auch in „irdenen Gefäßen" - 
in unserem Glauben einen Schatz bewahren,
nach dem unzählige andere sehnsüchtig suchen.

Wir sollten uns in der nächsten Zeit intensiv damit auseinander setzen,
wie es uns gemeinsam gelingen kann,
unser Licht nicht „unter den Scheffel" zu stellen,
sondern „auf den Leuchter",
damit sich niemand im dunklen Treppenhaus das Genick bricht.

Für‘s erste empfehle ich Ihnen,
den Brief von Bischof Wanke zu lesen:
In einer sehr gekürzten Fassung im aktuellen „Pfarrbrief St.Michael"
und dann auch den ganzen Brief, 
der leider erst im Laufe dieser Woche 
im Schriftenstand unserer Kirche zur Verfügung stehen wird.

2) Den zweiten - ganz andersartigen - Gedanken zum heutigen Evangelium
möchte ich nur noch kurz anreißen:
Der Bericht vom überreichen Fischfang
weckte in mir die Assoziation mit der Überfülle
von rund 400 000 Rindern, die demnächst „gekeult" werden sollen,
um den Markt zu stabilisieren.

Der überreiche Fischfang des Evangeliums
ist ein unerwartetes Geschenk an Menschen,
die vom Fischfang lebten.
Bei den 400 000 Rindern verrät schon der Sprachgebrauch von „keulen",
dass es um die sinnlose Vernichtung von Lebewesen geht.
Schon das Unwort „Tierproduktion" verrät,
dass wir unsere Mitgeschöpfe zur bloßen Verfügungsmasse gemacht haben.
Wir „produzieren" für einen überfließenden Markt;
und wir vernichten für den Markt.
Und das eine wie das andere unterstützen wir
durch Steuermittel der Allgemeinheit.
Und gleichzeitig sterben weltweit immer noch
täglich unzählige Menschen am Hunger.

Verkehrte Welt!
In dieser Situation - dem Auftrag Jesu entsprechend -
Menschen zu gewinnen,
kann auch und muß wohl auch bedeuten,
sie zu gewinnen für mehr Menschlichkeit
und für einen Umgang mit der Schöpfung
im Sinne des Schöpfers.

Amen.