Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis (C) 
am 18. November 2001
Evangelium: Lk. 21, 5 - 19; 
Predigtautor: P.Heribert Graab S.J.
Rätselhaft und regelrecht erschreckend
ist dieses Evangelium vom drohenden Ende.
Es will so gar nicht zu unserem Glauben
an den „gütigen und barmherzigen Gott" passen,
dem wir unser ganzes Leben mit Licht und Schatten anvertrauen möchten.

Aber dieser apokalyptische Text ist
- ob wir wollen oder nicht -
unaufgebbarer Bestandteil des Evangeliums,
Bestandteil der „frohen Botschaft" von Jesus -
wirklich „frohe Botschaft"???
Das zu akzeptieren fällt uns schwer.
Dennoch können und dürfen wir einen solchen Text
nicht einfach ausklammern oder verdrängen.
Schauen wir uns also diesen Text ein wenig näher an:

Es hat in der Geschichte Israels immer wieder 
katastrophale Demütigungen, Niederlagen und Zerstörungen gegeben.
Aber immer wieder war auch ein Neubeginn möglich.
Die Propheten wurden nicht müde, daran zu erinnern,
daran mit ihren Visionen anzuknüpfen
und neue Hoffnung zu wecken.

Nun aber war im ersten Jahrhundert nach Christus
die Situation für Israel so hoffnungslos düster und erschütternd,
daß überhaupt keine Perspektive mehr blieb,
daß das Vertrauen in Gottes Verbundenheit mit seinem Volk ins Wanken geriet.
Es stellte sich sogar die Frage nach der Existenz Gottes:
War nicht alles nur Lüge und Wahnsinn?
Viele Christen der Zeit teilten diese „Weltuntergangsstimmung",
zumal sie ihrerseits von einer ersten Welle 
blutiger Christenverfolgungen überrollt wurden.

In solchen Situationen, die übrigens immer mal wieder 
in der Geschichte der Menschheit auftreten 
- nicht nur bei Christen oder Juden -
machen sich apokalyptische Ängste breit:
Alle Sicherheiten des Lebens und der Weltordnung überhaupt 
brechen sozusagen unter den Füßen weg.
Und irgendwann kriecht so ein Gefühl in die Herzen von Menschen:
„Wenn doch möglichst bald alles ein Ende nähme!"

Und doch können Menschen nicht leben ohne Hoffnung.
Die ersten Christen setzten all ihre „Hoffnung wider alle Hoffnung" darein,
daß der Zusammenbruch aller Ordnungen 
bis in den Zusammenhalt der Familien hinein,
selbst die beginnenden Verfolgungen
und das Auftreten verwirrender Irrlehrer,
ja selbst erschreckende Zeichen am Himmel 
oder gar der „Einsturz des Firmamentes"
nur um so schneller und sicherer
die Wiederkunft des Menschensohnes „auf den Wolken des Himmels
mit großer Macht und Herrlichkeit" herbeiführen werde.

Aber wann würde das sein???
Die frühen Christen meinten: Sehr bald!
Heute sprechen Exegeten von der „Naherwartung" der jungen Kirche
und sagen, da habe sich die Kirche -
und vielleicht sogar Jesus selbst - geirrt.
Aber war diese „Naherwartung" wirklich ein Irrtum?
Ich glaube: Genau genommen und in einem hintergründigen Sinn 
hatten diese Christen recht!
Der Zustand einer Welt ist nicht zu halten,
in der statt einer vertrauensvollen Selbstlosigkeit,
wie Jesus sie gelebt und gepredigt hatte,
die blanke Machtgier regiert.
Das müßte uns heute wahrscheinlich
noch um einiges einleuchtender sein
als den Christen damals:
Es kann so nicht weitergehen
mit der Eskalation von Gewalt,
mit der Ausbeutung der Armen dieser Welt,
mit einem Egoismus, der jedwede Beziehung zerstört.

Nicht die frühen Christen haben sich geirrt mit ihrer „Naherwartung";
vielmehr irren sich all diejenigen, die glauben,
es könne alles unverändert so weitergehen wie bisher!
Es geht nicht um das reale Ende dieser materiellen Erde:
Die kann noch Milliarden von Jahren weiterbestehen,
bis sie mit unserer Sonne „stirbt" -
vorausgesetzt, die Menschen vernichten sie nicht selbst,
oder wenigstens alles Leben auf ihr.
Jesus legt auf die Frage nach dem „Wann"
das Schicksal dieser Welt vertrauensvoll in die Hände des Vaters.

Und dennoch geht es drängend um das „Ende" -
genauer: um den Einbruch einer neuen Wirklichkeit,
jener Wirklichkeit, die Jesus das „Reich Gottes" genannt hat,
und von der er sagt, sie sei bereits angebrochen.
Der „alte Äon" und seine Ordnung, 
auf deren Logik sich die menschliche Geschichte stützt,
ist in Wahrheit längst eingestürzt.
Die Geburtsstunde einer neuen Wirklichkeit hat längst geschlagen.
Aber die meisten Menschen haben‘s noch gar nicht gemerkt.

Das ist in etwa so wie 1943 nach der vernichtenden Schlacht von Stalingrad:
Das System des Nationalsozialismus war am Boden zerstört.
Und dennoch haben es viele nicht wahrgenommen
oder auch nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Sie haben immer noch vom „Endsieg" gefaselt
und vielleicht sogar daran geglaubt.

So ähnlich glauben auch heute viele Menschen,
man könne unser Welt- und Gesellschaftssystem 
- mit ein paar Korrekturen vielleicht - noch retten.
Die Botschaft des Evangeliums lautet -
für damals wie für heute: 
Da ist nichts mehr zu retten!
Es mag noch lange so weiter gehen -
vielleicht sogar noch schlimmer werden.
Es werden fundamentalistische Irrlehrer und Fanatiker
religiöse und politische Heilslehren der Vergangenheit verkünden
und die Ängstlichen um sich scharen.
Laßt euch von ihnen nicht noch mehr verwirren!
Lauft ihnen nicht nach!
Selbst wenn sie euch mit Wasserwerfern und Schlagstöcken jagen,
fallt nicht auf sie herein!
Denn das Ende ist unausweichlich.
Neues hat begonnen und bereits den Sieg davon getragen.
Der Karfreitag ist endgültig passé.
An Ostern scheint die neue Wirklichkeit auf.
Und wenn ihr standhaft bleibt,
werdet ihr das österliche Leben der neuen Wirklichkeit gewinnen.

Amen.