Predigt zum
28. Sonntag im Jahreskreis B am 14. Oktober 2018 |
Lesung: 1. Kor. 11,
23-26 (Predigttext) Evangelium von Sonntag Autor: P. Heribert Graab SJ |
Die italienische Künstlerin Rossella Biscotti hat aktuell für unsere Kirche Sankt Peter eine Installation von Skulpturen gestaltet. Diese Skulpturen haben einen inneren Bezug zu dieser Kirche - zu diesem Raum und zu seiner Geschichte, zu den Menschen, die die Kirche besuchen, die in dieser Kirche beten und ein Stück weit auch mit dieser Kirche leben. Die Skulpturen - Kugeln, Kuben und Quader - nehmen die farbliche Gestaltung der Kirche auf. Den wesentlichen Grundstoff der Skulpturen bilden jedoch ganz unterschiedliche Textilien: Shirts, blue pants, blue jeans, a towel und vieles andere mehr. (Daher der Name der Ausstellung.) Wichtig ist: All diese Textilien haben Menschen aus Sankt Peter der Künstlerin für ihr Werk zur Verfügung gestellt. Mehr noch: Mit all diesen Textilien sind persönliche Erlebnisse und Geschichten verbunden. Und teilweise reichen diese Geschichten auch bis in alte Zeiten zurück: Erinnerungen an längst Verstorbene erzählen z.B. Geschichten von früher und längst ausrangierte liturgische Gewänder geben Zeugnis von Gottesdiensten früherer Generationen. Kurz: Die Skulpturen von Rossella Biscotti wecken im Zusammenklang mit dem Kirchenraum Erinnerungen, lassen Geschichten von Menschen, die hier leben oder gelebt haben, anklingen und deuten die Geschichte von Jahrhunderten an. Nehmen wir uns ein wenig Zeit, die Geschichte dieser Kirche und die vielen Geschichten konkreter Menschen in unserer Vorstellung lebendig werden zu lassen: • Viele Generationen haben hier gebetet, • Gottesdienste gefeiert und Menschen zu Grabe getragen. • Peter Paul Rubens und viele vor ihm und nach ihm wurden hier getauft. • Wer weiß, wie viele Hochzeiten und frohe Feste hier gefeiert wurden. • Wieviel Not und Leid wurde hierher gebracht, um all das im Gebet zu verarbeiten. • Unter der Kirche und auf dem Kirchhof haben unzählige Tote ihre letzte Ruhestätte gefunden. • Die Spuren der Zerstörung während der Nacht von Peter und Paul am 29. Juni 1943 erinnern an weit mehr als 3000 Bombenopfer der Gemeinde in wenigen Stunden… Stille
Für mich persönlich und für meinen Glauben auch in schwierigen Zeiten ist die Erinnerung an eigene frühere Glaubenserfahrungen sehr, sehr hilfreich. Ich orientiere mich dann gerne am Psalm 77: „Am Tag meiner Not… denke ich an die Taten des Herrn: Ich will denken an deine früheren Wunder. Ich erwäge all deine Werke und will nachsinnen über deine Taten. Du hast mit starkem Arm dein Volk befreit… Durch das Meer ging dein Weg, dein Pfad durch gewaltige Wasser… Du führtest dein Volk wie eine Herde durch die Hand von Mose und Aaron.“ Besinnen Sie sich doch einmal auf Ihre eigene Geschichte: Inwiefern kann die in dunklen Zeiten hilfreich sein, neuen Mut, neue Zuversicht, neue Glaubenskraft und neue Lebensenergie zu gewinnen? Und kann ich vielleicht sogar neue Kraft schöpfen aus den Geschichten anderer und aus der Geschichte des Volkes Gottes? Stille
Nicht nur Israel als Volk Gottes lebt seinen Glauben bis auf den heutigen Tag vor allem aus der Erinnerung an das befreiende Handeln Gottes in seiner Geschichte. Auch unser christlicher Glaube steht und fällt mit den überlieferten Geschichten des ersten (jüdischen) Testamentes und dann vor allem der Evangelien von Jesus Christus. Diese Geschichten bilden den Kern unseres Glaubens; diese Geschichten erzählen wir weiter; diese Geschichten feiern wir in unseren Gottesdiensten. In der Feier der Eucharistie wird die erzählte Geschichte von Tod und Auferstehung Jesu Christi sogar aktuell gegenwärtige Wirklichkeit, an der wir selbst Anteil haben. Wir haben es in der Lesung gehört. Und im Großen Dankgebet machen wir uns immer wieder diese Vergegenwärtigung von Geschichte bewußt: „Darum, gütiger Vater, feiern wir das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung deines Sohnes und bringen dir so das Brot des Lebens und den Kelch des Heiles dar.“ Besinnen wir uns in der Stille darauf, wie sehr wir schon als Menschen - ob wir wollen oder nicht - eingebunden sind in die Geschichte der Menschheit und als Christen erst recht in die Geschichte Gottes mit uns Menschen. Stille
Die Installation von Rossella Biscotti hat uns zu diesen Überlegungen angeregt. Man könnte ihre Komposition von 24 Skulpturen in Sankt Peter auch einfach „Erinnerung“ oder „Gedächtnis“ nennen. Jedenfalls macht uns die Künstlerin auf einen wesentlichen Aspekt unseres Menschseins aufmerksam: Wir sind geschichtliche Wesen und würden uns selbst aufgeben, wenn wir unsere Geschichte verdrängen und darauf verzichten würden, uns zu „erinnern“. Amen. |