Predigt zu Fronleichnam
am 15. Juni 2006
Lesung: Gen. 18, 1 - 14
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Seit Jahren steht im Altarraum von St.Michael
eine kleine beleuchtete Ikone,
die berühmte Dreifaltigkeits-Ikone von Rubeljew.
Sie stellt das Gastmahl bei Abraham dar,
dessen Geschichte wir in der Lesung gehört haben.
Die drei Gäste des Patriarchen sind als Engel gemalt -
einer gleicht dem anderen bis ins kleinste Detail.
Der Engel aber ist in der Bibel insgesamt
zugleich Bote Gottes und Bild des lebendigen Gottes selbst.
So war auch dem Abraham schon bald klar,
wer dieser geheimnisvolle Gast ist,
und wer seine alte Verheißung von Nachkommenschaft
jetzt endlich wahr macht.

Der Hebräerbrief des neuen Testamentes
spielt auf diese Szene des Gastmahls bei Abraham an:
„Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige,
ohne es zu ahnen, Engel beherbergt." (13, 2)

Heute, an Fronleichnam, feiern wir nun jenes Gastmahl,
zu dem Jesus Christus, der menschgewordene Gott,
uns alle Sonntag für Sonntag, ja sogar Tag für Tag einlädt.
Im Gastmahl des Abraham ist das Mahl, das wir heute feiern,
unter gewisser Rücksicht vorweggenommen,
zugleich aber auch überboten:

Gott selbst ist bei uns zu Gast -
so wie Er damals bei Abraham zu Gast war;
und zugleich ist Er der Gastgeber,
der uns alle einlädt.
Wenn die mexikanisch Nationalmannschaft
in Göttingen zu Gast ist,
dann steht eine ganze Stadt Kopf.
Wenn Papst Benedikt den Weltjugendtag in Köln besucht,
oder wenn er demnächst Bayern bereist,
dann bringt das Hunderttausende, ja sogar Millionen auf die Beine.
Und wer sind schon diese Mexikaner,
und wer ist schon dieser Benedikt
im Vergleich zu dem, der immer wieder
in diese unscheinbare Kirche einkehrt,
und der heute abend hier draußen unser Gast ist ???
Und wo sind die Hunderttausende?

Der Hebräerbrief mahnt uns:
„Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige,
ohne es zu ahnen, Engel beherbergt."
Der Hebräerbrief spricht jedoch keineswegs
von jener Gastfreundschaft, die Gott selbst uns schenkt;
der Hebräerbrief meint jene Gastfreundschaft,
die wir uns gegenseitig schuldig sind -
nach dem Motto:
Wenn schon Gott, um wieviel mehr wir!
Und: Was ihr dem Geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt,
das habt Ihr mir getan." (Mt. 25, 40)

Wenn wir heute also das Fest der Gastfreundschaft Gottes feiern,
dann ist es mehr als angebracht,
unsere eigene Gastfreundschaft ein wenig unter die Lupe zu nehmen.
Wirksamer als das Evangelium Jesu Christi und die Heilige Schrift überhaupt
scheint da fürwahr diese Fußball-Weltmeisterschaft zu sein.
Beim Eröffnungsspiel und gestern wieder
entdeckten unzählige Nachbarn auf einmal ganz spontan
das Prinzip der Gastfreundschaft:
Ein Fernseher im Garten oder auf dem Hof aufgebaut,
einen Grill daneben, die notwendigen Getränke -
und schon konnte es losgehen.

Das ist ja sonst in einer individualisierten Gesellschaft
nicht ganz so selbstverständlich.
Typisch, wenn auch ein wenig zugespitzt,
ist für unser Nebeneinander eher das architektonische Konzept
eines Wohnblocks, den ich vor einigen Jahren gesehen habe:
Alles Einzelhäuser - so ineinander verschachtelt,
daß sie fast den isolierten Zellen von Kartäusermönchen entsprachen.
Nach außen nur Treppenhaus- und Toilettenfenster;
nach innen zu jedem Haus ein kleiner Garten,
von dem des Nachbarn durch eine Mauer getrennt,
und zwar so, daß keinem auch nur ein Blick
in den Lebensbereich des Nachbarn möglich war,
geschweige denn Kommunikation oder ein Klön über den Zaun.

Das ist unsere Lebenswelt.
In der ist Gastfreundschaft streng reglementiert:
Unangemeldet geht gar nichts!
Eine telefonische Absprache oder eine persönliche Einladung
sind die Minimalvoraussetzungen von etwas,
was den biblischen Namen Gastfreundschaft
nicht im entferntesten verdient.

Erinnern Sie sich an das Wort Jesu:
„Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst,
so lade nicht deine Freunde oder deine Brüder,
deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein;
sonst laden auch sie dich ein,
und damit ist dir wieder alles vergolten.
Nein, wenn du ein Essen gibst,
dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein.
Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten;
es wird dir vergolten werden
bei der Auferstehung der Gerechten." (Lk. 14, 12 ff)

Von einer solchen Gastfreundschaft sind wir Lichtjahre entfernt -
schon im privaten Bereich,
und erst recht im öffentlichen Bereich.
Das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft lautet:
„Die Welt zu Gast bei Freunden".
Wenn jedoch aus wesentlich existentielleren Gründen
Fremde zu uns kommen wollen
und auf unsere Gastfreundschaft hoffen,
dann stoßen sie auf die harten Mauern
europäischen Festungsdenkens,
auf eine abweisende Mauer, an der
- ähnlich wie an der Berliner Mauer -
in den letzten Jahren schon Menschen starben.

Von denen, die diese Festungsmauern überwunden haben,
landen dann viele in der sogenannten Abschiebehaft.
Manche bleiben dort - wie Kriminelle -
bis zu anderthalb Jahren inhaftiert.
Unter ihnen Jugendliche, Schwangere, Eltern von kleinen Kindern,
psychisch und physisch Kranke.
Die Bedingungen, unter denen sie untergebracht sind,
entsprechen weitgehend denen einer Strafhaft.
Die Menschen werden häufig geradezu in Käfigen gehalten:
In den Hafträumen ist ein Meter vor dem Fenster oft noch ein Gitter.
So können sie nicht an die nochmals vergitterten Fester treten,
hinaussehen, sie öffnen oder schließen.

Das ist mehr als Verweigerung von Gastfreundschaft.
Das ist die radikale Umkehrung der von Jesus geforderten Gastfreundschaft
in eine menschenunwürdige Behandlung von Menschen in Not!

Auch darüber sollten wir heute
am Fest der Gastfreundschaft Gottes nachdenken,
anstatt diese Wirklichkeit aus unserem Bewußtsein auszublenden!
Auch all die anderen unsichtbaren Mauern in unserer Gesellschaft
dürfen wir heute nicht ausblenden:
Die Mauern des Rassismus, der Ausbeutung,
der Verachtung, der Besitz- und Einflußsicherung ...

Nur wenn wir selbst umdenken und umkehren,
wenn wir auf ein Umdenken und auf eine Umkehr
in dieser Gesellschaft drängen,
können wir die uns immer wieder unverdient geschenkte
Gastfreundschaft Gottes annehmen,
ohne vor Schamröte im Boden zu versinken.

Amen.