Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis (B)
am 22. Januar 2006
Lesung: 1. Kor. 7, 29-31
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Eigentlich sollte sich ja jede Predigt nicht nur an die Gemeinde,
sondern wenigstens ebenso sehr an den Prediger selbst richten.
Das gilt vielleicht in ganz besonderem Maße für die Predigt heute,
die von der Lesung aus dem Korintherbrief ausgeht.

Wie oft habe ich schon die Leute reden hören:
„Der Pfarrer hat überhaupt keine Zeit!"
Nun fühle ich mich da in „guter" Gesellschaft
mit ganz vielen von Ihnen.
Irgendwann hat vermutlich jeder von uns schon einmal
dieses geradezu zeit-typische Wort in den Mund genommen:
„Ich habe keine Zeit!"
 
•    „Ich habe keine Zeit zuzuhören."
•    „Ich habe keine Zeit für den begeisterten Bericht meiner Tochter
    über ihren Schullandheim-Aufenthalt."
•    „Ich habe keine Zeit, ein Bilderbuch anzuschauen
    mit meiner Jüngsten."
•    „Ich habe keine Zeit für ein Gespräch mit meiner Frau."
•    „Ich habe erst recht keine Zeit für ein Gespräch
    mit dem Nachbarn oder der Nachbarin."
•    „Ich habe keine Zeit, mir mal einen freien Tag zu gönnen."
•    „Ich habe schon gar keine Zeit,
    mich ehrenamtlich in der Gemeinde zu engagieren."

Objektiv gesehen haben wir natürlich alle gleich viel Zeit:
nämlich 24 Stunden am Tag.
Die Frage ist nur:
Wie setzen wir unsere Prioritäten?
Was ist uns jeweils wichtiger?
Was ist wirklich wichtig?

Was Paulus schreibt, klingt nun ganz ähnlich:
„Die Zeit ist kurz!"
Das mag durchaus einen aktuellen Hintergrund gehabt haben,
der der Hektik unserer Zeit entspricht.
Korinth war damals ein junger, aufstrebender
und wohl auch hektischer Hafen- und Wirtschaftsstandort.

Auf diesem Hintergrund reicht das Wort des Paulus jedoch
in ganz andere Tiefendimensionen:
Er spricht nicht von knapper Zeit.
Er meint vielmehr, die Zeit sei zusammengedrängt,
die Zeit sei durch die Ansage der Wiederkunft Christi „verdichtet",
die Zeit sei dadurch sagenhaft kostbar
und es sei unvertretbar, diese geschenkte
und so überaus wertvolle Zeit zu verwässern
durch all das, was nur vordergründig wichtig ist,
was aber keinen Gewinn bedeutet
im Blick auf das Wesentliche unseres Lebens,
im Blick auf Ziel und Erfüllung unseres Lebens.

Paulus meint wohl:
All unsere Geschäftigkeit und Wichtigtuerei
werte die Zeit nicht auf, sondern ab.

Was meinen nun die folgenden Formulierungen:
„Wer eine Frau hat,
soll sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine,
wer weint, als weine er nicht,
wer sich freut, als freue er sich nicht,
wer kauft, als würde er nicht Eigentümer,
wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht;
denn die Gestalt dieser Welt vergeht." ?

Vielleicht hat dieser Text in der Vergangenheit dazu beigetragen,
unser Leben hier in dieser Welt abzuwerten:
die Ehe abzuwerten,
menschliche Gefühle abzuwerten,
Besitz abzuwerten,
und insgesamt die Freude am Leben in dieser Welt abzuwerten.

Ich glaube nicht, daß das die Intention des Paulus ist.
Paulus und die Christen seiner Zeit
haben fest damit gerechnet,
daß Jesus Christus wiederkommen und die Welt vollenden werde
noch zu ihren Lebzeiten - jedenfalls sehr bald.
Diese „Naherwartung" der Wiederkunft Christi
gibt Werten wie Ehe, Trauer, Freude und Besitz
verständlicherweise einen ganz neuen Bezugspunkt -
eben die Vollendung der Welt durch Gott.
Dadurch wird das, was uns in diesem Leben erfreut,
keineswegs wertlos - im Gegenteil:
Es bekommt einen ganz neuen Glanz.
Alles wird sozusagen verwandelt
und abgestimmt auf die nahende Herrlichkeit Gottes.

Freude und Leid, Liebe und Ehe
und der rechte Weltgenuß -
für all das ist sehr wohl Zeit!
Aber all das wird zugleich durchdrungen von der Erkenntnis:
Unsere Zeit ist Gottes Zeit!

Im Unterschied zur „Naherwartung" der ersten Christen
haben wir Heutigen gelernt, auf Jesu Wort zu vertrauen:
„Jenen Tag und jene Stunde kennt niemand,
auch nicht die Engel im Himmel,
nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater."
Wir leben und glauben in einer Situation der „Fernerwartung".
Aber auch in dieser Situation kann uns der Paulustext
wertvolle Impulse zur Besinnung geben:
Er kann uns davor bewahren,
die Ehepartnerin oder den Ehepartner
und erst recht den Besitz zu vergötzen.
Paulus ermutigt uns zu einer inneren Freiheit in Christus.
Dieser Lesungstext kann auch die Trauernden
vor einem Versinken im Schmerz bewahren.
Und die Frohen erinnert er an den tragenden Grund aller Freude.

Auf diesem Hintergrund ist es dann allerdings auch möglich,
die Ordensgelübde der Ehelosigkeit
und der „Armut" - als Freiheit von Bindungen durch Besitz -
tiefer zu begründen:
Ein Leben nach diesen Gelübden
ist keineswegs das „bessere" oder empfehlenswertere Leben.
Ein Leben nach den Ordensgelübden (oder auch im Zölibat)
kann und soll vielmehr ein Signal sein,
sich nicht in „vorletzten Sicherheiten" einzurichten,
sondern das ganze Leben auszurichten
auf die Geborgenheit in Gott.

Gelübde und Zölibat sind unter dieser Rücksicht
so aktuell wie kaum jemals zuvor. -
nicht als Abwertung von Ehe und Familie oder auch von Besitz,
sondern als Hinweis darauf,
daß alles Schöne und Wertvolle unseres Lebens hier
seine Erfüllung findet in Jesus Christus
und im kommenden Reich Gottes.

Amen.