Predigt zum Fronleichnamsfest am 19. Juni 2003
Thema: "Die materielle Welt - Göttlicher Bereich"
Autor: P.Heribert Graab S.J.

Wohl zu allen Zeiten hat der Mensch
- wie hier auf diesem alten Holzschnitt dargestellt -
versucht, hinter die Dinge zu schauen,
diese sichtbare und greifbare Welt zu verstehen,
sich selbst und anderen zu erklären, 
wie sie funktioniert.

Mythologische Deutungen der Frühzeit
glaubten auf naive Art und Weise ,
„hinter" dem Himmelsgewölbe befinde sich 
Gottes „jenseitige" Welt,
von der her Gott sozusagen „die Fäden ziehe"
und alles „am Laufen halte".

Die frühe Neuzeit spätestens hat 
diese mytholigische Weltsicht „entzaubert"
und nach und nach die Gesetze entdeckt,
denen Natur und Kosmos gehorchen.
Irgendwann glaubten Naturwissenschaftler dann,
auf die Annahme eines hinter den Dingen 
wirkenden Schöpfergott verzichten zu können.
Sie sahen in diesem schaffenden und erhaltenden Gott
nur noch einen „Lückenbüsser" für menschliches Unwissen,
oder besser: für menschliches Noch-nicht-Wissen",
der durch den „Fortschritt" der Wissenschaften überflüssig würde. 
Sie versuchten eine immanente, 
letztlich eine „materialistische" Welterklärung.

Wir feiern heute am Fronleichnamstag
in einem ganz anderen Sinne ein „materialistisches" Fest.
Man könnte von einer Art „göttlichen Materialismus" sprechen.

Dessen Höhepunkt feiern wir eigentlich schon Weihnachten:
Gott selbst wird Mensch: 
Incarnation - „Fleischwerdung" Gottes.
Gott selbst geht in unsere Materie ein - „nimmt Fleisch an".
Er verwandelt Materie,
heiligt sie,
vergöttlicht sie.

Wir könnten von einer „Konsekration der Materie" sprechen,
von einer „Konsekration der Welt".
In diesem Sinne spricht Teilhard de Chardin
von der „Messe über die Welt".

Jesus Christus - der menschgewordene Gott
wird zum „strahlenden" Zentrum der materiellen Welt.
Dieses Zentrum wirkt in alle Bereiche hinein.
Die ganze Welt wird zum „göttlichen Bereich"
- zum „Milieu Divin".
Teilhard sagt:
„Christus hat durch die Inkarnation die Welt in Brand gesteckt."

Was hat dieser Gedanke mit Fronleichnam zu tun?
Die Eucharistie, die wir hier feiern,
ist so etwas wie die „Verlängerung" 
der Menschwerdung Gottes, Seiner Incarnation.
Und in dieser Eucharistie steckt die Verheißung
einer Umgestaltung, einer Verwandlung 
der ganzen Welt, des ganzen Kosmos.

Noch einmal Teilhard de Chardin im Wortlaut:
„Die Hostie / der Wein gleicht einem glühenden Herdfeuer,
dessen Flamme ausstrahlt und sich ausbreitet."
Vergleichbar ist dieses Geschehen auch
mit der geistigen Ausstrahlung eines Menschen,
deren Zentrum unser Leib ist.

Die ganze sichtbare Schöpfung, diese materielle Welt also,
unterliegt langsam und unwiderstehlich einer großen „Konsekration".

Das hat Konsequenzen!
Teilhard sagt:
„Einst konnte es scheinen,
daß der direkteste Weg zum Himmel der sei,
der am schnellsten die Erde verließ.
Nun läßt uns der universale Christus verstehen,
daß der Himmel nur durch die Vollendung
der Erde und der Welt erreichbar ist."

Ganz praktisch und konkret heißt das zuallererst,
daß Materie nicht etwas Verachtenswertes ist,
wie es lange Zeit in der Kirche gepredigt wurde -
zumal im Bereich der Sexualität.
Im Gegenteil:
Wir dürfen uns dieser materiellen Welt freuen.
Sie ist nicht nur ein Geschenk des Schöpfergottes an uns.
Sie ist darüber hinaus „Milieu Divin",
geheiligt durch Gottes Incarnation.

Sodann ist diese materielle Welt nicht nur
Gottes Schöpferauftrag an uns.
Wir dürfen auch ihre fortschreitende Konsekration miterleben
und daran sogar mitwirken:
Wenn wir das Abendmahl Jesu feiern,
wenn wir das „konsekrierte" Brot, den Wein
in rechter Weise und wirklcih bewußt empfangen,
dann geschieht in uns selbst „Konsekration",
dann werden wir selbst mehr und mehr 
zum Teil des „göttlichen Bereichs".
Dann kann und soll von uns eine Energie ausgehen,
die auch unsere alltägliche Umwelt verwandelt, „vergöttlicht".

Auf diesem Hintergrund verstehen wir auch,
daß ein egoistischer Mißbrauch der Materie
und eine Ausbeutung und Zerstörung der materiellen Welt
Sünde ist und der Konsekration der Schöpfung zuwider läuft.

Insbesondere durch den Mißbrauch des Brotes -
wenn wir es für uns behalten wollen,
wenn wir es vernichten, statt auszuteilen -
setzen wir uns in Widerspruch zur Konsekration,
die wir in der Heiligen Messe feiern.

Gehen wir also
- nachdem wir heute morgen die Fronleichnamsprozession
und heute abend diese Eucharistie gefeiert haben -
als „verwandelte" Menschen in unseren Alltag zurück.
Seien wir in dieser Stadt Menschen „wie die Sonne,
deren Strahlen alles erleuchten und erwärmen".
Tragen wir einfach durch unser verwandeltes
und verwandelndes Dasein als Christen
dazu bei, daß unsere Stadt 
so etwas wie eine „Vewrgöttlichung" erfährt.

Amen.