Predigt zum Dreifaltigkeitssonntag 
am 15. Juni 2003
"Wandlung"
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Wie schon am Pfingstfest
so feiern wir auch heute 
am Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit
das unfaßbare Geheimnis Gottes selbst.
Wir feiern Gottes unermeßliche Größe und Herrlichkeit.
Wir feiern den Ur-Einen und Allumfassenden.
Wir feiern den absolut Seienden und die Fülle des Lebens in Gott.

Es kann nicht angehen,
mit mathematischen Kriterien an das Mysterium Gottes heranzugehen.
Zahlen haben in der Überlieferung der Menschheit und der Religionen
eine viel tiefer reichende symbolische und mythische Bedeutung.
Viele Zahlen - und gerade auch die „eins" und die „drei" -
sind „heilige" Zahlen.
Wer davon keine Ahnung hat,
verbohrt sich in sinnlose Fragen:
Wie kann der eine Gott zugleich „drei" sein?
Wie ist das Bekenntnis zur Dreifaltigkeit Gottes
mit einem strikten Monotheismus vereinbar?

Aus der Bedeutungsfülle des heutigen Festgeheimnisses
möchte ich nur einen einzigen Aspekt herausgreifen:
Wenn wir Gott „Vater", „Sohn" und „Heiligen Geist" nennen,
dann bringen wir damit zum Ausdruck,
daß „Beziehung" zum Wesen der göttlichen Lebensfülle gehört.
Beziehung aber bedeutet „Entäußerung":
„Aus-sich-herausgehen" ohne sich zu verlieren.
Beziehung bedeutet immer auch „Verwandlung":
sich selbst verwandeln - und doch derselbe bleiben;
andere verwandeln und sie gerade dadurch zu sich selbst bringen.

Dieser Entäußerungs- und Verwandlungprozeß
beginnt aus unserer menschlichen Perspektive
mit der Schöpfung dieser Welt:
Aus dem Nichts schafft Gott das All.
Das „wüste und leere" Chaos verwandelt Er in Kosmos.
Totes erfüllt Er mit Leben.

Den Menschen schafft Er „nach Seinem Bild und Gleichnis":
Der Materie haucht Er Seinen Geist ein.
Kein Verwandlungskünstler würde auf diese faszinierende Idee kommen:
Das Geschöpf erhält Anteil am Wesen des Schöpfers!

Immer wieder jedoch sperrt sich der Mensch 
gegen diesen Verwandlungsprozeß,
der ihn eigentlich erst zu sich selbst bringen würde.
Unüberbietbar Gottes Antwort auf diese Selbstzerstörung des Menschen:
Er selbst wird Mensch;
das Urbild des Menschen geht ein in unsere Materie,
„nimmt Fleisch an" - wie der christliche Glaube bekennt:
„Incarnation" - wie die Theologen sagen,
„Verwandlung" - und doch „Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott".

„Incarnation" - Vergöttlichung von Materie.
Die gesamte materielle Welt, 
die ja in ihren elementarsten „Teilchen"
auf das engste miteinander verwoben ist, 
wird zum „Göttlichen Bereich",
wie ein bedeutender Naturwissenschaftler und Theologe,
Teilhard de Chardin, dies Geheimnis ausdrückt.

Diese Verwandlung der Materie
findet bis heute Tag für Tag ihren Ausdruck in dem,
was sich unzählige Male auf den Altären der Welt ereignet:
Brot und Wein werden verwandelt in den Leib und das Blut Jesu Christi,
des menschgewordenen, des incarnierten Gottes.
Er selbst - gegenwärtig in diesen „Stückchen Materie" -
ausstrahlend in die ganze materielle Wirklichkeit.
„Messe über Brot und Wein" -
Teilhard nennt das „Messe über die Welt".

Messe - Verwandlung.
Da kommt mir ein Text von Lothar Zenetti in den Sinn:

Frag hundert Katholiken
was das Wichtigste ist
in der Kirche.
Sie werden antworten:
Die Messe.

Frag hundert Katholiken
was das Wichtigste ist
in der Messe.
Sie werden antworten:
Die Wandlung.

Sag hundert Katholiken
daßs das Wichtigste in der
in der Kirche die Wandlung ist.
Sie werden empört sein:
Nein, alles soll bleiben,
wie es ist!

Recht hat er, der Lothar Zenetti!
Immer noch - 30 Jahre nachdem er diesen Text aufgeschrieben hat.
Wie ließe sich sonst erklären,
daß ausgerechnet vor acht Tagen, am Pfingstfest,
unsere Kirche sehr leer war - und vermutlich nicht nur unsere Kirche.

Dazu noch einmal Lothar Zenetti:

Die Autobahnen sind verstopft
Alle fahren heut ins Grüne
Die Kirche dagegen bleibt
bei Rot: Feuer und Blut
Komm heilger Geist
oder besser: Komm nicht
Mach deine Revolution
lieber wenn es regnet.

Ostern haben wir gefeiert: Christus lebt!
Pfingsten feiern wir: 
Der auferstandene Christus wirkt weiter in dieser Welt.
Er verwandelt sie in der Kraft Seines Geistes.

Im Hochgebet der Heiligen Messe
hat neben dem Einsetzungsbericht
das Gebet um die verwandelnde Kraft des Gottesgeistes
einen zentralen Platz:
„Heilige unsere Gaben durch Deinen Geist!"
Und dann heißt es kurz darauf:
„Stärke uns durch den Leib und das Blut Deines Sohnes
und erfülle uns mit seinem Heiligen Geist!"

Es geht also in der Eucharistiefeier 
nicht nur um die Wandlung der Gaben,
sondern viel mehr um unsere Wandlung
und um die Wandlung der ganzen Kirche.
Das Brot und der Wein - die wehren sich nicht.
Wir aber sperren uns immer wieder 
gegen die verwandlende Kraft des Heiligen Geistes -
obwohl gerade damit die Zukunft der Welt steht und fällt:
daß wir uns vom Geist Gottes durchdringen und verwandeln lassen.

Im Römerbrief des Paulus heißt es:
„Gleicht euch nicht dieser Welt an,
sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, 
damit ihr prüfen und erkennen könnt, 
was der Wille Gottes ist: 
was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist."

In dem Maße, in dem wir uns jetzt schon verwandeln lassen
und aus der Kraft des Gottesgeistes diese Welt verwandeln,
werden in der Fülle der Zeit auch wir „in Sein eigenes Bild verwandelt, 
von Herrlichkeit zu Herrlichkeit,
durch den Geist des Herrn." (Röm. 12, 2)

Amen.