Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis (B) 
am 9. Februar 2003
Lesung: Ijob 7, 1-4.6-7
Evangelium: Mk. 1, 29-39
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Obwohl die Klage des Ijob 
vor etwa zweieinhalb tausend Jahren niedergeschrieben wurde,
klingt sie in unseren Ohren durchaus aktuell:
Schlägt man die Zeitungen auf,
sind sie voll des Jammerns und der Klage.

Nicht immer haben die, die da wortreich klagen,
wirklich Grund dazu.
Und die Stimme derer, die ein Recht hätten zur Klage,
findet selten in den Medien Beachtung:
die Stimme derer, die einsam alt werden;
die Stimme derer, die todkrank nur noch das Ende erwarten;
die Stimme der Armen, die durch die wirtschaftliche Situation
in ihrer Existenz bedroht sind 
und nicht wissen, wovon sie morgen leben sollen;
die Stimme derer, deren Leben im heraufziehenden Krieg
nichts mehr gilt;
aber auch die Stimme derer, die dermaßen unter Druck und Streß stehen,
daß sie alle Tage gehetzt sind und auch in der Nacht keine Ruhe finden.

Sie alle werden die Klage des Ijob ganz persönlich nachempfinden können:
"Monde voll Enttäuschung" wurden ihr Erbe,
"Nächte voll Mühsal" teilte man ihnen zu.

Ob sie jedoch - wie Ijob - gegen alle Erfahrung der Abwesenheit Gottes
ihre Zuflucht gerade zu Ihm nehmen 
und im Gebet ihre Klage gerade vor Ihn tragen können???

Eins haben wir alle dem Ijob voraus:
Wir haben gerade die Menschwerdung Gottes gefeiert.
Wir haben diesen menschgewordenen Gott kennengelernt.
Wir wissen um Seine Hinwendung gerade zu den Armen, Kranken und Notleidenden,
zu denen also, deren Leben eine einzige stumme Klage ist.
Wir wissen um die Dunkelheit, durch die Jesus selbst
auf Seinem Kreuzweg gegangen ist.
Wir glauben, daß Er vom Tode auferstanden ist
und durch Kreuz und Auferstehung auch unseren Tod überwunden hat.
Deshalb feiern wir Ostern!

Und heute hören wir im Evangelium,
wie Er nicht nur die Schwiegermutter des Petrus "aufrichtet",
sondern unzählige Menschen von alle möglichen Krankheiten heilt,
und viele "Dämonen" austreibt -
"Dämonen", die sicherlich zum einen für psychische Krankheiten stehen,
dann aber auch für alles Lebensfeindliche, 
das Menschen Menschen bedrängt
und sie nicht zu sich selbst finden läßt.

Zu sich selbst finden, zur Mitte des eigenen Lebens,
zu einem Fundament, das trägt - auch in dunklen Zeiten,
ja selbst angesichts des andrängenden Todes.
Es scheint, auch diesem Jesus von Nazareth ist das nicht in den Schoß gefallen.

Gestern wurde im Evangelium erzählt,
Jesus und Seine Begleiter seien von so vielen 
Hilfe und Rat suchenden Menschen bedrängt worden,
daß sie nicht einmal Zeit fanden zum Essen.
Und dann wird von Jesu Reaktion bercihtet:
"Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind,
und ruht ein wenig aus!" (Mk. 6, 30-34)

Und heute haben wir gehört,
Jesus sei schon in aller Frühe, als es noch dunkel war,
aufgestanden und an einen einsamen Ort gegangen,
um zu beten.

Oft ist im Evangelium davon die Rede,
Jesus habe sich in die Stille und in die Einsamkeit zurückgezogen,
um zu beten,
um sich Seiner Nähe zum Vater zu vergewissern
und um so den Kontakt zur eigenen Mitte zu bewahren.

Vielleicht haben wir diese Seite der Lebenspraxis Jesu
zu sehr vernachlässigt
und konnten sie daher auch nicht 
als eine wesentliche Dimension unseres Menschseins
und unseres Christseins in unser eigenes Leben integrieren.

Natürlich brauchen auch wir nach einem harten Tag
und nach einer arbeitsreichen und problemgeladenen Woche
Ruhe und Entspannung.
Aber wir sehen dann fern,
lassen uns mit Musik berieseln
und uns ganz gerne von der Freizeitindustrie betäuben.
Wir lassen uns zerstreuen,
statt unser Leben zu sammeln
und es auf seine Mitte hin zu konzentrieren.

Der französische Naturwissenschaftler und Philosoph Blaise Pascal
hat einmal gesagt:
"Alles Unglück der Menschen entstammt einem,
nämlich daß sie unfähig sind,
in Ruhe allein in ihrem Zimmer bleiben zu können."

Es wäre ein erster Schritt, das wieder neu zu lernen.
Mag sein, daß wir uns nicht gerne mit uns selbst konfrontieren.
Wir würden ja möglicherweise erschrecken
vor der eigenen inneren Leere.
Genau aber darum geht es,
diese Leere zu füllen mit dem,
was allein uns "erfüllen" kann;
genauer: Mit dem, der allein uns erfüllen kann,
der auch Jesus erfüllte und Ihm die Kraft gab,
für andere Heil und Segen zu sein:
Diese Leere zu füllen mit Seinem und unserem Vater, mit Gott.

Wir sollten das Gebet als Raum der Stille und der Gottesbegegnung
wieder neu erlernen!
Wenn uns das gelingt,
dann kann Gott auch uns - wie z.B. die Schwiegermutter des Petrus -
mit der Hand berühren und uns aufrichten.

Dieses Geheimnis gelingenden menschlichen Lebens
hat in der Geschichte christlicher Spiritualität einen Namen.
Es heißt, wir sollten "meditativus in actione" sein:
Aktive, engagierte, heilbringende und friedenschaffende Menschen
aus der Kraft der Stille, des Glaubens, des Gebetes und der Meditation.
Die Mönche von Taizé nennen das
„Kampf und Kontemplation".

Nur am Rande sei noch vermerkt:
Wenn all diejenigen, die heute glauben,
den Frieden nur durch einen neuen Krieg sichern zu können,
sich nicht in purem Aktivismus erschöpfen würden,
sondern bedacht wären auf eine innere Verbundenheit
mit dem Gott des Friedens,
und wenn sie mit Ihm im Gebet verbunden wären,
dann könnten wir alle ruhiger schlafen.

Aber fangen wir bei uns selbst an:
Geben wir Ihm, wenn wir jetzt Eucharistie feiern,
Raum in unserem Inneren.
Er nimmt uns bei der Hand.
Erkann uns aufrichten.
Er ruft uns:
zu uns selbst,
zu sich,
in die Stille,
in das Leben.

Amen.