Predigt zum 18. Sonntag im Jahreskreis (B) 
am 3. August 2003
Aus aktuellem Anlaß keine Predigt zu einem der Lesungstexte,
sondern einige "Erwägungen" im Blick auf die "Erwägungen" der Glaubenskongregation "zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen". 
In den vergangenen Tagen hat ein Schriftstück aus dem Vatikan
einen ziemlichen Wirbel in der Öffentlichkeit verursacht.
Dieses Papier trägt den etwas umständlichen, aber zurückhaltend formulierten Titel:
„Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung
der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen". 

Es geht also im Kern um die staatliche Gesetzgebung zu dieser Frage.
Die eigentliche Problematik liegt jedoch tiefer:
Da geht es um die grundlegende Frage einer ethischen Einschätzung
von menschlicher Homosexualität. 
Diesbezüglich enthält der Text der Glaubenskongregation
keine neuen Lehraussagen, 
sondern ruft die traditionellen Positionen der Kirche in Erinnerung.
Etwas anderes war sicher nicht zu erwarten.
Insofern wirkt die öffentliche Aufregung auch ein wenig inszeniert.

Gott-sei-Dank dreht die Kirche ihre Fähnchen nicht nach dem Wind!
Gerade in einer fast grenzenlos liberalen Gesellschaft,
der mehr und mehr die sie selbst tragenden Werte abhanden kommen,
hat die Kirche die unverzichtbare Aufgabe,
den Menschen durch klare Positionen Orientierung zu ermöglichen.

Dennoch muß es immer wieder erlaubt sein,
solche Positionen in Frage zu stellen
und sie auf die Tragfähigkeit ihrer Fundamente neu abzuklopfen.
Denn auch moralische Urteile haben es nicht nur 
mit unwandelbaren Prinzipien zu tun,
sondern ebenso mit sich verändernden Situationen und Erkenntnissen.

Die römischen „Erwägungen" wollen vor allem
auf der Basis des „natürlichen Sittengesetzes" argumentieren.
Und sicherlich ist das Prinzip weitgehend unumstritten:
Es kann nicht erlaubt sein,
gegen die Natur des Menschen, also „widernatürlich" zu handeln.
Die Auseinandersetzungen beginnen erst bei der Frage:
Was entspricht denn der menschlichen Natur?
Und was ist „widernatürlich"?
Gerade im Bereich menschlicher Sexualität
sind das ganz schwierige Fragen.
Da spielen unterschiedliche Kulturen eine Rolle;
da sind durchaus auch wissenschaftliche Erkenntnisse
und gesellschaftliche Entwicklungen von Belang.

In früheren Zeiten hat man vor allem geheiratet,
um den Bestand der Familie und auch der Gesellschaft zu sichern;
vielleicht noch, um den Familienbesitz zusammenzuhalten oder gar zu mehren.
Dementsprechend galt die Fortpflanzung als erster Ehezweck,
dem alles andere nachgeordnet wurde.
Ausgerechnet in seiner umstrittenen Enzyklika „Humanae Vitae"
hat Papst Paul VI. zum ersten Mal
den Ehezweck der „gegenseitigen personalen Hingabe"
auf die gleiche Stufe gestellt mit dem der Fortpflanzung.
Und eigentlich war damals schon die Frage,
ob unter den veränderten Bedingungen einer Welt,
in der Überbevölkerung die Zukunft der Menschheit
mehr gefährdet als der Mangel an Nachwuchs,
nicht eine Umkehr der Prioritäten angebracht gewesen wäre:
Personale Hingabe vor Fortpflanzung.
Und ebenso war damals schon die Frage:
Muß die Ehe insgesamt offen sein für Kinder?
Oder muß jeder einzelne sexuelle Vereinigung dafür offen sein?
Katholische Christen in ihrer Mehrheit haben das längst
anders entschieden, als es die Kirche traditionell und offiziell vorgibt.

Damit sind wir bei einem Knackpunkt
auch der „Erwägungen" zur Homosexualität.
Natürlich ist Fortpflanzung bei sexuellen Handlungen Homosexueller ausgeschlossen.
Aber reicht das heute aus,
um sexuelle Handlungen Homosexueller grundsätzlich
als „widernatürlich" und sündhaft zu brandmarken,
wie es die römischen Erwägungen und die Kirche seit jeher tun?
Gibt es nicht möglicherweise eine „personale Hingabe"
und eine liebende Beziehung unter Homosexuellen,
die man nicht in Analogie zur Ehe,
wohl aber durchaus als eigenständigen Wert betrachten kann?

Damit stellt sich zugleich die Frage nach der Einschätzung 
der homosexuellen Veranlagung eines Menschen.
Handelt es sich dabei wirklich um eine „Anomalie",
die - wenn sie denn in einer Beziehung gelebt wird -
notwendigerweise gegen das „natürliche" Sittengesetz verstößt?

Es ist unbestritten, daß in den Paulusbriefen der Heiligen Schrift
homosexuelle Beziehungen als schwere Verirrungen verurteilt werden.
Die Frage jedoch ist, welcher Sachverhalt 
und welches Verständnis von Homosexualität
Paulus zu seinem scharfen Urteil veranlaßt haben?

In seiner hellenistischen Umwelt war der sexuelle Zeitvertreib
von - ansonsten durchaus heterosexuellen - Männern mit Männern
und vor allem mit Jugendlichen 
zu einer zweifelsohne abartigen Mode geworden.
Mit Recht brandmarkt Paulus dies Verhalten als „widernatürlich".
Und es mag ja durchaus sein,
daß es heute Vergleichbares gibt.
Aber darum geht es nicht bei den römischen „Erwägungen".
Es geht um sehr dauerhafte Beziehungen
zwischen homosexuell veranlagten Menschen,
die miteinander ihr Leben teilen wollen.
Und das ist etwas anderes!

Von solchen Veranlagungen aber und von den dafür ursächlichen Genen
konnte Paulus damals keine Ahnung haben.
Wir aber wissen sehr wohl darum
und müßten aus diesem Wissen doch wohl auch Konsequenzen ziehen.
Wir wissen seit langem, daß eine homosexuelle Tendenz
- jedenfalls in der Regel -
nicht aus Verführung und nicht aus eigenem „sündhaften" Verhalten resultiert.
Wir wissen inzwischen auch, daß eine homosexuelle Tendenz
nicht „krankhaft" ist, wie zwischenzeitlich angenommen.

Auch die Kirche wird wohl auf Dauer davon ausgehen müssen,
daß eine homosexuelle Veranlagung 
eine der vielen Variationen des Menschseins darstellt
und in diesem Sinne durchaus natürlich ist.
Auch die Pädagogik hat lange Zeit gebraucht,
um zu erkennen, daß man Linkshänder nicht 
zu Rechtshändern „umfunktionieren" kann;
und daß die eine Veranlagung - obwohl in der Minderheit -
so „natürlich" ist wie die andere.
Was „natürlich" ist, läßt sich nicht statistisch erheben.

Die Kirche hat noch länger gebraucht,
um zu erkennen, daß die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse
eines Galileo Galilei sehr wohl mit der Schöpfung Gottes im Einklang stehen,
obwohl sie dem Wortlaut der biblischen Schöpfungsberichte
zu widersprechen scheinen.

Ist es also wirklich so sicher, wie es die „Erwägungen" voraussetzen, 
daß homosexuelle Beziehungen immer und in jedem Fall
unter das Verdikt des Paulus fallen,
obwohl das nach dem Wortlaut auf den ersten Blick so scheinen mag?

Wenn da dicke Fragezeichen angebracht sind,
dann hat das selbstverständlich Konsequenzen für die sittliche Beurteilung
nicht nur homosexueller Beziehungen selbst,
sondern auch der sie betreffenden politischen und rechtlichen Regelungen,
um die es vor allem in den „Erwägungen" der Glaubenskongregation geht.

Alles, was die „Erwägungen" zur Institution der Ehe darlegen,
ist voll und ganz zu unterschreiben -
und das obwohl und gerade weil die Realität der Ehe
in unserer Gesellschaft unter vieler Rücksicht
sehr weit entfernt ist von dem aufgezeigten Ideal.
Die Institution Ehe und Familie braucht mehr denn je
den Schutz und eine massive Unterstützung 
durch Staat und staatliche Gesetzgebung -
und das nicht um kirchlicher Idealsvorstellungen willen,
sondern im existentiellen Interesse der Gesellschaft selbst
und ihrer nachwachsenden Generation.

Es erscheint mir bedenkenswert,
wenn die „Erwägungen" eine Analogie
homosexueller Lebensgemeinschaften zur Ehe verneinen und ablehnen.
Das hindert jedoch nicht daran,
der Frage nachzugehen, welche rechtliche Rahmenordnung homosexueller Beziehungen 
als andersartiger und eigenständiger zwischenmenschlicher Partnerschaften
diesen angemessen, möglich und sogar notwendig ist - 
um der Gerechtigkeit und um der Kultur menschlichen Miteinanders willen.
 

Die Glaubens-ver-suche dieser Woche,
deren Thema aus terminlichen Gründen,
dann aber auch aus aktuellem Anlaß
geändert wurde,
bieten Gelegenheit, über die Erwägungen der Glaubenskonkgregation
und über die Gedanken dieser „Predigt"
ins Gespräch zu kommen.