Predigt zum Dreifaltigkeitssonntag 
am 18. Juni 2000
P.Heribert Graab S.J.
Immer wieder ist uns gesagt worden:
Gott ist das absolute Geheimnis schlechthin. 
Und dieses Geheimnis übersteigt unendlich all unsere Vorstellungskraft.
An keinem Tag des Kirchenjahres 
wird das so sehr nachvollziehbar
wie gerade heute, am Fest der Dreifaltigkeit Gottes.
Da wird uns einerseits in der ersten Lesung klipp und klar gesagt:
„Jahwe ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten,
keiner sonst."
Das Glaubensbekenntnis Israels ist streng monotheistisch.
Und das Glaubensbekenntnis Israels ist auch das Glaubenbekenntnis Jesu.
Und doch trägt er uns auf, 
Menschen zu taufen „auf den Namen des Vaters 
und des Sohnes und des Heiligen Geistes" -
so als ob das drei wären.
Und unsere Verwirrung wird komplett,
wenn Theologen von dem einen Gott in drei Personen sprechen. 
Nach unserer Mathematik ist 1 + 1 + 1 immer noch 3!
Mit Mathematik jedoch kommen wir dem Geheimnis Gottes
schon gar nicht näher.
Und mit theoretischer Spekulation ebenso wenig.

Schauen wir lieber ganz schlicht auf das,
was uns die Heilige Schrift sagt:
Da ist nicht die Rede von drei Personen.
Wohl aber können wir im Blick auf die Offenbarung erkennen,
daß Gott den Menschen auf dreifache Weise nahegekommen
und nahegeblieben ist:

• Menschen erfahren Gott sozusagen „hinter den Dingen"
als den Schöpfer des Alls 
und als den Herrn „aller Mächte und Gewalten".
Er ist der „Gott-alles-in allem". 

• Und dann gibt es da Menschen, 
die diesem Jesus von Nazareth begegnen.
In der Begegnung mit Ihm erfahren sie:
Seine Gottesbeziehung ist so einmalig,
daß er Gott unbefangen und glaubwürdig
„Vater" nennen kann, ja sogar „Abba, lieber Vater",
oder besser: „Papa".
Er kann sogar überzeugend sagen:
„Ich und der Vater sind eins!"
So bekennen Seine Freundinnen und Freunde:
In diesem Jesus von Nazareth
ist uns Gott selbst begegnet - der eine Gott.
Er wurde einer von uns,
ein Mensch zum Anfassen.
Einer, dessen Sprache wir verstehen.
Einer, dessen Leben Maßstab für unser Leben sein kann.
Dieser Jesus ist der „Immanuel",
der „Gott-mit-uns".

• Nach Seiner Auferstehung machen sie die Erfahrung:
Jesus lebt!
Er ist ihnen auf eine neue Weise ganz nahe.
Er ist in ihnen selbst lebendig.
Er drängt sie dazu,
von Ihm zu erzählen und Seine Botschaft weiterzusagen.
Und sie nennen den, der sie bei all dem führt und leitet:
Heiliger Geist.
Dieser Geist Jesu ist es, der sie - und uns! - in Bewegung bringt.
Es ist der eine Gott, den wir bekennen. 
Es ist der „Gott-in-uns".

Solche Gotteserfahrungen haben in ähnlicher Weise
Menschen aller Zeiten gemacht.
Und in all diesen Erfahrungen erweist sich der eine Gott als dreifaltig:
Gott ist „alles in allem" - Wir sagen mit Jesus: Er ist „Vater".
Derselbe Gott ist in Jesus Christus der „Gott-mit-uns".
Und derselbe Gott ist auch der „Gott-in-uns" - Heiliger Geist.

Und noch etwas erweist sich in all diesen Gotteserfahrungen:
Es gehört zum Wesen Gottes, in Beziehung zu treten.
Gott ruht nicht in sich selbst.
Gott wendet sich nach außen - Er „entäußert" sich. 
Gott „entäußert" sich bereits in der Schöpfung.
Vor allem aber „entäußert" er sich in Seiner Menschwerdung:
„Er entäußerte sich,
und wurde wie ein Sklave
und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen;
er erniedrigte sich
und war gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz." (Phil. 2, 7 f.)
Anders ausgedrückt:
Der eine Gott, der sich dreifaltig zeigt,
ist in Seinem innersten Wesen Liebe,
Liebe schlechthin.

In unserem Glauben bekennen wir,
daß wir selbst als Menschen nach Gottes Bild geschaffen sind -
nach dem Bild des dreifaltigen Gottes.
Der Mensch ist also nicht „Robinson"!
Der Mensch ist nicht als „Single" erschaffen.
Es ist nicht gut, daß der Mensch alleine bleibt,
daß er sich selbst genügt - 
Das sagt schon der Schöpfungsbericht.
Jedes selbstgenügsame Kreisen um sich selbst,
jede Egozentrik,
erst recht jeder Egoismus
pervertiert den Menschen.
Der Mensch ist als Gottes Ebenbild
seinem Wesen nach ein soziales Wesen.
Der Mensch ist „homo politicus".

Wenn das soziale Gefüge unserer Gesellschaft
aus den Fugen zu geraten droht
durch eine zunehmende Individualisierung
nach dem Motto: „Jeder für sich" (und Gott für uns alle?),
dann ist das ein Alarmzeichen
für ein in die Irre gehendes Selbstverständnis des Menschen.

Wenn die politischen Parteien darüber klagen,
daß ihnen der Nachwuchs ausgeht,
daß junge Menschen sich nicht mehr politisch engagieren,
dann sagt das gewiß etwas aus über den desolaten Zustand unserer Parteien.
Aber es sagt letztlich auch etwas über 
ein von Gott entfremdetes Menschenbild.

Da gibt‘s übrigens eine ziemlich genaue Parallele zur Situation der Kirche:
Wenn die über Priestermangel klagt,
ist sie selbst daran gewiß nicht unschuldig.
Aber zugleich ist diese Mangelsituation 
auch die logische Konsequenz
einer Abkehr vieler Menschen unserer Zeit
vom Urbild des dreifaltigen Gottes,
als dessen Ebenbild sie geschaffen sind.
Diese Abkehr von Gott, 
der ganz und gar sich entäußernde Liebe ist,
ist im Letzten auch Abkehr vom Wesen des Menschen.

Wir taufen in dieser heiligen Messe
Kinder auf den Namen des dreifaltigen Gottes.
Damit nehmen wir die Eltern, die Paten und Familien der Kinder
in die Verantwortung dafür,
daß diese Kinder sich als Menschen entfalten können
nach dem Bild des dreifaltigen Gottes.
Und nicht zuletzt übernehmen auch wir alle
und die ganze Gemeinde Mitverantwortung dafür,
daß wir uns im Umgang mit unseren Kindern und Jugendlichen
orientieren am Leitbild des dreifaltigen Gottes.
Nur indem wir dieses an Gott orientierte Menschenbild
selbst glaubwürdig und überzeugend leben,
können wir denen, die nach uns kommen, helfen,
wahrhaft zu Menschen zu werden 
und menschlich zu leben in einer oft so unmenschlichen Zeit.

Amen.