Predigt zum Christkönigssonntag 2000
Grundlage der Predigt von P.Heribert Graab S.J. ist vor allem das Tagesevangelium (Joh.18,33b-37). Benutzte Literatur: J.B.Metz "Unterwegs zu einer Christologie nach Auschwitz" in den "Stimmen der zeit" 11/2000.
Wirklichkeiten dieses Lebens haben in der Regel zwei oder mehr Seiten,
die es zu betrachten gilt.
Die Reduktion auf eine einzige Seite führt zu Schwarz-Weiß-Malerei
und zu einer Art von Fundamentalismus.
Selbstverständlich gilt das auch für die Betrachtung
von Glaubenswirklichkeiten,
z.B. für die Sicht des Christkönigsfestes heute.

Erst 1925 von Pius XI. für die ganze Kirche eingeführt,
hatte es zunächst eine ausgesprochen politische Dimension:
Hintergrund war der heraufziehende Faschismus in Italien
und auch schon in Deutschland.
Hintergrund war wohl auch der Bolschewismus in Rußland.
In dieser Situation Europas sollte klargestellt werden:
Herr der Geschichte, Herr der Welt, Herr aller Herren
ist allein Jesus Christus.
An Ihm hat nicht nur der Einzelne,
an Ihm hat die Politik Maß zu nehmen.
Auch die Politik steht unter Seinem Gericht.
In den katholischen Kirchen der dreißiger und vierziger Jahre
war die Feier des Christkönigsfestes eine Demonstration dieses Bekenntnisses.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde das Fest verlegt:
auf den letzten Sonntag des Kirchenjahres.
Dadurch wurde wie von selbst ein anderer Akzent gesetzt:
Das Fest geriet in den Zusammenhang 
der endzeitlichen Texte des ausklingenden Kirchenjahres
und erhielt so eine eschatologische Dimension.
Die aktuelle politische Situation trat in den Hintergrund.
Das Ziel menschlicher Geschichte als ganzer wurde in den Blick genommen:
„Christus Sieger, Christus König, Christus Herr in Ewigkeit".
In Ihm sind alle Unzulänglichkeiten und Widersprüche 
dieser Welt grundsätzlich überwunden;
alles Leid hat nur noch vorläufigen Charakter;
„Tod und Teufel" sind besiegt;
sie treiben ihr Unwesen sozusagen nur noch „an der kurzen Leine".
Alles Dunkle und Trübe liegt eigentlich schon hinter uns.

An diesem Punkt spätestens muß uns klar werden:
Da fehlt noch eine ganz wesentliche Dimension des Christkönigsfestes.
Jene Dimension nämlich, in deren Kontext das Fest
durch das Tagesevangelium gerückt wird:
Die Dimension des „Königs auf dem Kreuzesthron".
Gerät diese Dimension in Vergessenheit,
dann verkommt unsere Christologie zu einer reinen Sieger-Ideologie,
zu einer triumphalistischen Geschichtstheologie.
Dann kommt uns das Gespür für die Widersprüche und Dunkelheiten
menschlichen Lebens abhanden; 
dann stumpfen wir ab für das zum Himmel schreiende Leid Unschuldiger.
Dann reagieren wir auf Katastrophen nur noch mit der Apathie der Sieger.
Unser Trost für die Opfer wird zur billigen Vertröstung.
Spätestens nach Auschwitz sollten wir gelernt haben:
Der Hinweis auf Ostern, auf den Sieg des Auferstandenen
beantwortet nicht die drängenden Fragen nach Gottes Gerechtigkeit.
Das Christkönigsfest ohne den verzweifelten Ruf 
des erniedrigten Christus:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen???" 
gerät in Gefahr, die Opfer aller Karfreitage zu verhöhnen.

Jesus bekennt vor Pilatus:
„Ich bin ein König" - allerdings ganz anders als diese Welt „König" versteht:
„Ich bin in die Welt gekommen, 
daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege."
Von Theodor W. Adorno stammt der Satz:
„Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen
ist Bedingung aller Wahrheit."
Diese beiden Sätze gilt es zusammenzubringen:
Christus legt Zeugnis für die Wahrheit ab
nur als der Gekreuzigte,
nur als der „König auf dem Kreuzesthron",
nur als der „König der Dornen".

Es gibt keine wohlfeilen Antworten auf den Schrei, 
auf die Fragen der unschuldig Leidenden -
auch heute nicht, am Fest Christi des Königs.
Wir dürfen die ungeheure Spannung zwischen Karfreitag und Ostern
nicht einfach kurzschließen.
Wir müssen den Karsamstag aushalten -
und der kann sehr, sehr lang werden.
Wir müssen einander immer wieder die Katastrophengeschichten
menschlichen Leids erzählen.
Wir müssen darin Gottes Abwesenheit aushalten,
vielleicht sogar - wie Jesus selbst - als Klage hinausschreien.
Vielleicht entdecken wir in dieser oder jener Geschichte,
vor allem aber in der Geschichte Jesu selbst,
in einem Augenblick der Gnade Gottes Solidarität,
Gottes Mitleiden im ganz und gar wörtlichen Sinne.
Vielleicht entdecken wir - Gott möge es geben -
nach Tagen, vielleicht sogar nach Jahren der Dunkelheit
wie die Emmausjünger wenigstens für einen Augenblick
in den Wunden des Gekreuzigten
das Licht des Ostermorgens.
Vielleicht können wir erst dann
wirklich und glaubwürdig Christkönig feiern.

Amen.