Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis (B) 
am 19. November 2000
Grundlage dieser Predigt von P.Heribert Graab S.J. ist das Tagesevangelium: Mk.13, 24-32. Die alttestamentliche lesung dazu: Dan.12, 1-3.
Immer wieder berichtet die Bibel ungeschminkt
von weltgeschichtlichen Katastrophen
und auch von den persönlichen Katastrophen des menschlichen Lebens.
Erinnern Sie sich an die Geschichte der Sintflut:
Da bricht eine ganze Welt zusammen.

Auch für die Zeitgenossen des Abraham und des Lot
brach eine Welt zusammen,
als der Herr auf Sodom und Gomorra Schwefel und Feuer regnen ließ,
als „er von Grund auf jene Städte und die ganze Gegend, 
auch alle Einwohner der Städte und alles, 
was auf den Feldern wuchs, vernichtete." (Gen.19,23 ff).

Auch im persönlichen Leben eines Menschen geschieht es,
daß ihm „eine Welt zusammenbricht" - seine Welt.
Davon erzählt das Buch Ijob.
Den Zusammenbruch ihrer Welt
haben einige von uns erlebt,
als sie z.B. 1945 aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Manch einem bricht heute eine Welt zusammen,
wenn seine Ehe in die Brüche geht.

Von solchen Zusammenbrüchen ist im Markusevangelium
unmittelbar vor dem Ausschnitt des heutigen Evangeliums die Rede:
Von der Zerstörung des Tempels,
also der Zerstörung jüdischer Identität;
Von Kriegen, in denen sich ein Volk gegen das andere,
ein Reich gegen das andere erheben.
Von Erdbeben und Hungersnöten,
von inneren Spaltungen und äußeren Verfolgungen
der jungen Kirche Jesu Christi.
Aber auch von Haß, Selbstzerstörung und sogar Mord
in den Familien.

Aber all das, sagt Jesus, ist erst der Anfang der Wehen.
Nach dieser großen Not - so haben wir eben gehört -
geht‘s erst richtig los:
„Die Sonne wird sich verfinstern, 
der Mond nicht mehr scheinen,
die Sterne werden vom Himmel fallen,
und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden."
Im Bild einer unvorstellbaren kosmischen Katastrophe
spricht Jesus vom Ende dieser Zeit,
vom Zusammenbruch dieser Welt schlechthin.

Wohl gemerkt - im Bild einer kosmischen Katastrophe spricht er. 
Denn es geht ihm nicht um das physikalische Ende,
das Naturwissenschaftler heute glauben, ausrechnen zu können.
Es geht ihm um den Anbruch einer neuen Welt,
der Gotteswelt, des „Reiches Gottes",
dazu zu verkünden, er nie müde geworden ist.
Natürlich kann sich diese neue Welt nur entfalten
im Zusammenbruch des Alten,
das von Egoismus, Macht- und Gewinnstreben,
von Haß und Gewalt geprägt ist.

Natürlich werden diesen Prozeß des Übergangs
all diejenigen als Katastrophe erleben,
die mit der „alten" Welt „verheiratet" sind,
die sich selbst von daher definieren,
deren Götzen Geld und Macht sind,
die von Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung leben.

Zur Zeit Jesu und im frühen Christentum
hatte das Leiden an der Geschichte ein solches Maß erreicht,
daß sich bei vielen nicht nur Angst, sondern Verzweiflung breit machte. 
Es schien ihnen nicht mehr zu genügen,
Gott im Gebet anzuflehen,
er möge sie vor Zerstörung und Unheil bewahren;
vielmehr sehnten sie mit all ihren Kräften das Ende dieser Welt herbei.
Die apokalyptischen Texte dieser Zeit 
sind Ausdruck des Schreckens und der Verzweiflung.
In den Augen der jungen Christenheit
hatte die katastrophale Situation ihren Höhepunkt erreicht
im gewaltsamen Kreuzestod Jesu Christi.
Welchen Sinn konnte danach diese Welt noch haben?
Mußte jetzt nicht wirklich Gott selbst eingreifen
und all dem Schrecken ein Ende machen?
Mußte nicht endlich Sein Reich hereinbrechen?

Gewiß, die apokalyptischen Texte sind Schreckenstexte -
geboren aus der Angst.
Mehr aber noch sind sie Texte der Hoffnung und der Zuversicht.
Da ist kein Zynismus, keine nihilistische Freude am Untergang.
Vielmehr steckt dahinter die Überzeugung:
Gott selbst ist und bleibt der Herr der menschlichen Geschichte,
auch wenn man ihn aus dieser Welt vertreibt.
Der Blick richtet sich auf den, der kommt,
auf Christus, der sich wie ein Phönix aus der Asche des Untergangs erheben wird.
Im Buch Daniel ist es der große Engelfürst, der Erzengel Michael,
der Neues für Gottes Volk heraufführen wird.
Rückblickend ist für das Neue Testament diese Michaelsgestalt
das Bild des „auf den Wolken" kommenden Christus.
Mit Ihm hat für die ganze Menschheit der neue Äon bereits begonnen.

Diese Hoffnungsperspektive findet ihren Ausdruck
in dem überraschenden Bild vom Feigenbaum.
Überraschend - denn auf dem Hintergrund des Vorangehenden
würde man eigentlich ein herbstliches Zeichen erwarten:
„Wenn ihr seht, daß der Feigenbaum seine Blätter abwirft,
dann wißt ihr, daß es kalt wird.
Dann zieht euch warm an!"
Statt dessen aber heißt es:
„Wenn der Feigenbaum sprießt und seine Zweige saftig werden,
dann wißt ihr: Frucht wird er ansetzen und reifen.
Dann ist der Sommer nahe.
Die Zeit der Erfüllung steht bevor."

Nicht die Katastrophen-Bilder sollten wir aus diesem Gottesdienst
mit nach Hause nehmen.
Lassen wir uns ermutigen durch das Bild vom sprießenden Feigenbaum,
durch dieses Bild der Hoffnung und des Vertrauens!
Stimmen wir nicht ein in das Wehklagen derer,
die ständig das Menetekel an die Wand malen.
Unheilspropheten gibt es mehr als genug.
Und manche von ihnen wissen haargenau,
wann‘s mit dieser Welt zu Ende geht.
Für das Evangelium dagegen ist diese Frage belanglos.
Entscheidend ist allein: Gott weiß es.
Sein Ziel ist nichts weniger
als „ein neuer Himmel und eine neue Erde".
In Seine Hand können wir uns fallen lassen -
komme, was da kommen mag.

Wohl aber mahnt uns das Evangelium:
„Seid wachsam!"
Legt die Hände nicht in den Schoß!
Ihr wißt, was zu tun ist:
Arbeitet mitten im Krieg der Leidenschaften und Mächte
in aller Ruhe und Gelassenheit am Frieden -
und zwar hier in dieser Welt.
Ihr braucht auch im Scheitern und in der Erfolglosigkeit nicht zu resignieren.
Der, der am Kreuz gescheitert ist,
hat gerade in diesem Scheitern
die todbringende Welt und den Tod selbst besiegt.

Amen.