Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis (B) 
am 22.10.2000
Textgrundlage der Predigt von P.Heribert Graab S.J. ist das Evangelium des Sonntags: Mk. 10, 35-45.
Ganz schön frech, diese beiden: Jakobus und Johannes.
Und ehrgeizig und reichlich egoistisch obendrein.
Und die anderen?
Sie sind verständlicherweise empört - 
aber vielleicht auch mißgünstig und neidisch.
Jedenfalls dokumentieren alle miteinander,
daß es in der nächsten Umgebung Jesu 
sehr menschlich zugeht - oder besser: allzu menschlich.
Dem Jakobus und dem Johannes geht es um „Karriere"
und wahrscheinlich den anderen nicht weniger.
Da verfällt man auch auf Tricks, um einander auszustechen.
Konkurrenz pur!

Obwohl das alles haarscharf ein Spiegelbild
unserer Gesellschaft heute ist und sehr wohl auch unserer Kirche,
sind wir versucht, die Nase zu rümpfen
und selbstgerecht über diese Jünger den Stab zu brechen.
Soweit ist alles nachvollziehbar
und bewegt sich im Rahmen des Üblichen.

Die Reaktion Jesu jedoch ist überraschend anders
und fällt aus dem Rahmen.
Er rümpft nicht die Nase, Er bricht nicht den Stab,
Er kanzelt diesen Jakobus und diesen Johannes nicht ab.
Man hat fast den Eindruck,
in der Antwort Jesu schwingt Zuneigung und Liebe mit:
„Ihr wißt nicht, um was ihr bittet.
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?"
Auch die ärgerliche Empörung der anderen
nimmt er erstaunlich gelassen auf:
Er hält keine Gardinenpredigt,
Er nimmt sich geduldig Zeit für eine einfühlsame Belehrung
über das Wesen des Reiches Gottes.
Durch alle menschliche Schwäche hindurch spürt Er offenkundig,
daß Seinen Freunden im Grunde genommen genau dies am Herzen liegt
- das Reich Gottes -
auch wenn sie noch längst nicht verstanden haben,
worum es dabei geht.
Er schlägt nicht die Hände über dem Kopf zusammen,
Er resigniert nicht,
Er schmeißt die Klamotten nicht hin.
Er bleibt vielmehr fest entschlossen,
mit diesen Leuten Seine Sendung zu Ende zu führen,
mit ihnen das Volk Gottes aufzuwecken,
und - wenn Sie so wollen -
ausgerechnet auf sie Seine Kirche zu bauen.

Und präzise damit haben wir uns im Grunde genommen
bis heute nicht abgefunden.
Für uns ist und bleibt das ein Ärgernis,
obwohl wir selbst - seien wir ehrlich - nicht besser sind.
Aber wir ärgern uns schwarz über diesen Kardinal Ratzinger.
Der ist wahrscheinlich nicht besser als Jakobus und Johannes.
Und sicherlich liegt er mit vielem, was er sagt und tut, falsch.
Er erweckt den Eindruck, 
sich mit seinem Verständnis von Kirche über die anderen zu setzen.
Und die reagieren äußerst ärgerlich
- verständlicherweise -
wie damals die Jünger Jesu auch.

Vermutlich sieht Jesus Christus heute 
die Jakobusse und Johannesse in der Kirche
ebenfalls mit anderen Augen an als wir.
Wahrscheinlich entdeckt Er mit den Augen der Liebe,
daß es ihnen im Grunde ganz und gar um das Reich Gottes geht,
und daß sie mit großer Liebe und großem Engagement dafür arbeiten.
Vielleicht würde Er auch sie fragen:
Wißt ihr eigentlich, was ihr da sagt, 
und vor allem, welche Konsequenzen das hat -
für euch selbst und für die Kirche?

Wie‘s unter den Jüngern damals zuging,
und wie‘ immer noch in der Kirche zugeht,
so geht‘s übrigens auch in unserer Gemeinde zu:
Da gibt‘s Menschen - Gott sei Dank eine ganze Menge -
die sich mit großem Eifer und großer Liebe engagieren. 
Und selbstverständlich machen die auch Fehler
- nur wer nichts tut, macht scheinbar keine Fehler! 
Da sind durchaus menschliche Schwächen im Spiel:
Rechthaberei, Geltungsstreben, Eifersucht, Konkurrenz
oder auch nur Mißverständnisse.
Und dann sind nicht selten gleich andere da,
die ärgerlich reagieren:
„Mit der oder dem kann ich nicht mehr zusammenarbeiten."
Wieder andere ziehen sich wortlos in die Schmollecke zurück,
werfen resigniert und frustriert die Klamotten hin
oder treten sogar aus der Kirche aus.

Das Evangelium zeigt uns:
Jesus geht mit beiden Seiten überraschend anders um.
Er entdeckt auf der einen Seite den guten Willen
und würdigt den Eifer des Engagements.
Nur mit sehr sensiblen Fragen greift Er korrigierend ein.

Und diejenigen, die auf der anderen Seite ärgerlich kritisieren,
- aus ihrer Sicht übrigens durchaus zu Recht -
mahnt Er mit großer Geduld:
Paßt auf, daß in Kirche und Gemeinde
nicht jene zwischenmenschlichen Umgangsformen Platz greifen,
die in dieser Welt zwar üblich sind, 
die aber mit dem Geist des Evangeliums nicht zusammen passen
und dem anbrechenden Reich Gottes zuwiderlaufen. 

Amen.