Arbeitslosigkeit  
Gedanken zum Sonntagsevangelium am 19. September 1999 (25.S.i.Jk.)
Das Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg (Mt. 20, 1-16) weist unter mancher Hinsicht Bezüge zu aktuellen Situationen auf.
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Das Gleichnis Jesu vom Gutsbesitzer als Arbeitgeber, der hart kalkuliert, und den vielen arbeitslosen Tagelöhnern auf dem Markt war damals so aktuell wie heute: Der Gutsherr damals sparte an den Löhnen, indem er zu wenig Arbeiter einstellte und lieber im letzten Augenblick noch Aushilfskräfte anwarb. Der Arbeitgeber heute spart auf die gleiche Weise, indem er rationalisiert und Überstunden einfordert. 

Das Gleichnis ist äußerst realistisch erzählt - bis auf den Clou: Vollkommen an der Wirklichkeit der Arbeitswelt vorbei geht die Auszahlung des Lohnes. Auch der Letzte bekommt, was alle vor ihm bekamen - einen Denar, d.h. den Lebensunterhalt für einen Tag. Mit diesem überraschenden Schlußpunkt verläßt Jesus unsere Wirklichkeit und schwenkt um auf die Wirklichkeit Gottes: Seine „Gerechtigkeit" orientiert sich an der Not der „Letzten". 
Mit dieser Wendung geht es Jesus nicht nur um den „Lohn im Himmel", sondern sehr wohl auch um unsere menschliche Sozialordnung, die sich nach seinen Vorstellungen am „Letzten" zu orientieren hat.

Das Gleichnis hat jedoch noch eine weitere „Sinnspitze": Indem Jesus von der egoistischen und neidvollen Reaktion jener Arbeiter berichtet, die den ganzen Tag geschuftet haben, geißelt er zugleich deren unsolidarisches Verhalten. Und damit trifft er den Nagel auch heute auf den Kopf: Die glanzvollen Zeiten solidarischer Arbeitnehmerbewegungen sind passé. Den Gewerkschaften, denen wir zu großen Teilen verdankten, daß es jeder bei uns in der Vergangenheit zu einem gewissen Wohlstand bringen konnte, laufen in Scharen die Mitglieder weg. Sie machen unter dieser Rücksicht ähnliche Erfahrungen wie die Kirchen. 

Jeder ist sich selbst der Nächste. Wer mit den Gewerkschaften nichts zu tun haben will, streicht dennoch unbedenklich die von denen ausgehandelten oder gar durch Streiks hart erkämpften Lohnerhöhungen ein, wie diejenigen, die aus den Kirchen ausgetreten sind, bedenkenlos ihre Kinder in kirchlichen Kindergärten anmelden und auch anderweitig die sozialen und kulturellen Leistungen der Kirche in Anspruch nehmen.

All diesen unsolidarischen Individualisten und Schmarotzern gilt heute wie damals die deutliche Kritik des Evangeliums.