Das Thema einer der letzten Glaubens-ver-suche lautete:
„Der Papst - Fels des Anstoßes"
Das große Interesse an diesem Thema zeigte,
wie sehr dieses Thema - gerade im Zeitalter der Ökumene -
vielen Christen auf den Nägeln brennt,
wie groß die Sehnsucht nach einer glaubwürdigen Einheit
der Kirche ist,
und wie sehr - nach dem Eindruck vieler - gerade das Amt des Papstes
dieser Einheit im Wege steht.
Nun ist natürlich dieses Thema - „Der Papst - Fels des Anstoßes"
-
trickreich formuliert:
Da werden zwei geflügelte Worte - beide übrigens biblischen
Ursprungs - miteinander verknüpft und wecken entsprechende Assoziationen:
- das Wort des heutigen Evangeliums von Petrus, dem Fels,
auf den Jesus seine Kirche baut;
- sodann das Jesaja-Wort vom „Stein des Anstoßes".
Umgangssprachlich versteht man unter einem Stein des Anstoßes,
daß irgendetwas oder eben irgend jemand Anlaß zum Ärger
gibt.
Und genau so haben die Teilnehmer an jenen Glaubens-ver-suchen
zunächst einmal das Thema verstanden:
Da wurde gesprochen von der engen Sexuallehre der Kirche,
von der aktuellen Abtreibungs- und Beratungsfrage,
von der Einstellung des Papstes zur Empfängnisverhütung,
vom Unfehlbarkeitsanspruch,
von nicht nachzuvollziehenden Dogmen, wie dem der Aufnahme Mariens
in den Himmel.
Das Jesaja-Wort (Jes. 8, 14 f) allerdings sagt,
Gott selbst werde zum „Stein des Anstoßes" für sein abtrünniges
Volk,
das irgendwelchen Götzen nachläuft.
Jesaja sagt, für dieses Volk werde der Herr selbst zum „Felsen,
an dem man zu Fall kommt".
„Viele stolpern darüber, sie fallen und zerschellen."
Selbst das Wort vom „Stein des Anstoßes" ist also nicht eindeutig:
Es spricht nicht nur in einem negativen Sinn davon, daß Ärger
ausgelöst wird, sondern in einem kritisch-positiven Sinn auch von
der unausweichlichen Alternative zwischen Umkehr und Untergang.
Im modernen Sprachgebrauch gibt es ebenfalls „Anstöße" in
positiver Bedeutung:
- Ein Fußballspiel wird z.B. angestoßen - und dann
beginnt in der Regel eine lebendige, spannende und interessante Auseinandersetzung;
- auch ein Einzelner kann Denk"anstöße" geben oder
hilfreiche Anstöße zum Handeln.
Es ist schon interessant, daß die Teilnehmer der Glaubens-ver-suche
darauf nicht kamen, obwohl es durchaus Beispiele dafür gibt:
- Gerade von diesem Papst sind nicht zu unterschätzende
Anstöße für die politische Wende zwischen Ost und West
ausgegangen;
- auch die ökumenischen Beziehungen zwischen der römischen
und der orthodoxen Kirche verdanken ihm wichtige Impulse;
- immer und immer wieder gehen theoretische und praktische Anstöße
zur sozialen Gerechtigkeit, zur Einhaltung der Menschenrechte, zur Versöhnung
und zum
Frieden von Johannes Paul II. aus;
- und selbst seine vielen Reisen gaben Anstöße für
den Zusammenhalt der Katholiken in aller Welt.
Wenden wir uns aber nun dem Felsenwort des heutigen Evangeliums zu:
Es ist isoliert, kurzschlüssig und apodiktisch in der katholischen
Kirche
herangezogen worden als Argument für den Jurisdiktionsprimat,
für die Unfehlbarkeit und für eine Machtstellung des Papstes,
die sehr zeitbedingt und so jedenfalls nicht biblisch waren und sind.
Anders ausgedrückt: Dieser Text ist nicht selten mißbraucht
worden.
Sowohl evangelische, als auch katholische Exegeten sind sich heute weitgehend
darüber einig,
- daß das Felsenwort nicht von Jesus selbst stammt,
- daß Jesus nicht die Gründung einer Kirche in unserem
Sinne beabsichtigte,
- daß er deshalb auch nicht an ein Papsttum dachte, wie
es sich in Folgezeit entwickelte.
Dennoch ist dieses Kapitel des Matthäus-Evangeliums von großer
Bedeutung
für die Entwicklung der Kirche in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft -
vorausgesetzt, wir betrachten dieses Kapitel und zumal das Felsenwort
nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit anderen Einzeltexten und vor
allem im Kontext
der gesamten Heiligen Schrift des Alten und des Neuen Testamentes.
Da ist zunächst einmal wichtig, daß Jesus in der Kategorie
des alttestamentlichen „Volkes Gottes" dachte.
Und daß es ihm um die endzeitliche Erneuerung dieses Gottesvolkes
ging.
„Volk Gottes" aber ist keine starre Wirklichkeit,
sondern ein lebendiger Organismus, der ständig in Entwicklung
begriffen ist.
Und diese Entwicklung ist in dieser Welt zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen:
Sie war nicht am Pfingsttag abgeschlossen und ebensowenig zu jenem
Zeitpunkt,
als der Kanon der Heiligen Schriften endgültig festgelegt war.
Sie war erst recht nicht abgeschlossen,
als die Kirche unter Konstantin Staatskirche wurde,
und schon gar nicht mit dem 1. Vatikanischen Konzil.
Unseren evangelischen Freunden sei gesagt, daß sie mit Martin
Luther
und der Reformation natürlich ebenso wenig abgeschlossen ist.
Kardinal Jean-Marie Lustiger von Paris sagte
vor einigen Jahren sogar einmal sehr zugespitzt:
„Das Christentum fängt erst an. Es steigt gerade aus den Kinderschuhen.
Es beginnt überhaupt erst. Es hatte noch keine Chance, sich zu
entwickeln."
Wie jeder lebendige Organismus braucht allerdings auch das Gottesvolk
so etwas wie eine „Erb-Information", um sich entwickeln zu können.
Diese Erb-Information steckt in der jesuanischen
und dann in der apostolischen Tradition.
Und die ist in ihren frühesten Entwicklungsstadien
im Neuen Testament sozusagen gespeichert.
Von ihr gehen alle weiteren Entwicklungsimpulse aus.
Auch für die Klärung der heftig umstrittenen Amtsfrage in
der Kirche gilt das.
Wir müssen also auf die apostolischen Schriften zurückgreifen
-
und zwar auf alle, auch auf die sogenannten Spätschriften des
Neuen Testamentes, die manche gerade wegen der Amtsfrage ausklammern wollen,
obwohl sie zum Kanon gehören.
Unumstritten ist inzwischen, daß dem Petrus schon durch Jesus
selbst
eine führende Rolle zugewiesen wurde, daß er eindeutig der
Erste der Apostel ist. Um der Kontinuität in Einheit willen haben
er,
wie auch Paulus und alle anderen Apostel
Nachfolger mit der Sorge um die Gemeinden beauftragt.
Und wenigstens der Epheserbrief macht deutlich,
daß es bei dieser Amtsnachfolge nicht nur um Einzelgemeinden,
sondern sehr wohl um den „Aufbau des Leibes Christi" (Eph. 4, 12) insgesamt
geht.
Auch kann man aus dem Neuen Testament aufzeigen,
daß die Gestalt des Petrus sozusagen als „Typus" des Amtsträgers
dargestellt ist.
Ein Typus aber ist eine Art „Modell", ein „Muster"
für später sich entfaltende Wirklichkeiten.
Solche Entwicklungen brauchen jedoch Zeit.
Es ist also keineswegs verwunderlich,
daß es nach dem Tod des Petrus für lange Zeit kein Petrusamt
im strengen Sinn des Wortes gab.
Die Kirche hatte im Neuen Testament zunächst nur Bilder vor Augen:
Das Bild eines Amtsträgers, der seine Brüder im Apostelamt
festigt;
das Bild des Hirten, der die ganze Kirche weidet.
Es war ein Prozeß von Jahrhunderten, diesen Bildern eine konkrete
Gestalt zu geben.
Die Kirche mußte all ihre Ämter, obwohl sie ihr eingestiftet
sind, erst finden.
Daher dürfen wir davon ausgehen,
daß auch das Amt des Papstes noch formbar und entfaltbar ist.
Für die Frage, wie diese Entwicklung weitergehen kann,
ist dann allerdings das, was im heutigen Evangelium und an vielen anderen
Stellen z.B. über Petrus gesagt wird, von ausschlaggebender Bedeutung.
Hier seien nur einige wenige Gesichtspunkte genannt,
die wir dabei im Auge behalten müssen:
- Es geht zuerst und vor allem um einen Dienst an der Einheit
der Kirche.
- Es geht darum, daß auch Petrus ein schwacher Mensch ist,
der immer wieder der Umkehr und der Vergebung bedarf.
- Umkehr und Vergebung vorausgesetzt, geht es darum,
die Brüder (und Schwestern) im Glauben zu stärken.
- Und schließlich ist es wichtig, daß Petrus zwar
der Erste der Apostel ist,
aber eben auch nur der Erste unter Mehreren.
Amen. |