Predigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis A
am 7. September 2014 in Sankt Klara, Nürnberg
Evangelium: Mt. 18, 15 - 20
Autor: P.Heribert Graab
Wie schwierig oft das Zusammenleben von Menschen ist,
wissen wir alle.
Probleme gibt’s schon in der Familie, in der Nachbarschaft
und unter Freunden.
In christlichen Gemeinden sieht’s auch nicht besser aus.
Da gab‘s schon in den allerersten Anfängen Streit.
So finden sich schon in den Evangelien
Regeln für das Miteinander von Christen –
teils aus dem Munde Jesu , teils aus dem Erfahrungsschatz der Jünger
und der ganz frühen Gemeinde.
Das klassische Beispiel dafür
ist das 18. Kapitel des Matthäusevangeliums.
Ein Ausschnitt daraus ist das heutige Evangelium.
Dieser Text kann auch heute für unser Zusammenleben
sehr hilfreich sein – und zwar weit über christliche Gemeinden hinaus.

Es geht um die Frage:
Wie gehen wir mit Konflikten um?
In der Regel haben wir für solche Konflikt
ja sehr schnell einen Sündenbock gefunden.
Verärgert, wie wir sind, reden wir dann auch darüber –
der Ärger muß schließlich raus.
Natürlich reden wir dann nicht mit dem Betroffenen selbst,
sondern mit anderen -
nicht selten mit jedem, der es hören will.
Und je mehr wir drüber reden,
um so mehr bauschen wir die Sache auf.

Die Lebensregel des Evangeliums geht in eine andere Richtung:
„Wenn dein Bruder (oder selbstverständlich auch deine Schwester)
[dir Unrecht tut oder gar wirklich] sündigt,
dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht.
Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.“
Das wär‘ doch was?! Oder?
Oder geht es uns etwa gar nicht darum,
den anderen als ‚Bruder‘ oder Freund wiederzugewinnen?
Geht es uns vielleicht mehr darum, den anderen herabzusetzen,
um dann selbst mit weißer Weste zu glänzen?

Was aber, wenn der andere nicht hören will?
Wenn er einem Gespräch unter vier Augen ausweicht?
Dann habe ich doch wirklich getan, was ich tun konnte!
Dann habe ich fürwahr allen Grund sauer zu sein. Oder?
Jesus allerdings gibt so schnell nicht auf.
Er nimmt einen zweiten Anlauf der Versöhnung:
Wenn du’s alleine nicht schaffst,
dann ziehe doch den ein oder anderen mit ins Boot
und versucht’s noch einmal gemeinsam.

Es käme darauf an, zu diesem Zweck jemanden zu finden,
der die Chance hat, gehört zu werden.
Wir wissen ja aus eigener Erfahrung:
Wenn jemand, der mir unsympathisch ist, mit mir reden will,
dann gehen bei mir gleich ‚die Rolläden runter‘,
bevor noch ein ernsthaftes Wort gewechselt ist.
Wenn jedoch ein Freund auf mich zukommt,
sieht’s ganz anders aus:
Auf einen Freund höre ich viel eher -
sogar wenn’s ‚ans Eingemachte geht‘.

Im konkreten Konfliktfall wäre es also erforderlich,
einen Vermittler zu finden (wir sagen heute: einen ‚Mediator‘),
der beim Konfliktpartner einen Vertrauensvorschuß hat
und also Gehör findet.
Ich bin überzeugt: Mit Hilfe eines solchen Menschen
wäre es in ganz vielen Fällen möglich,
Versöhnung zu bewirken und Frieden zu schaffen.

Wenn auch dieser zweite Versuch
- selbst nach mehreren Anläufen - mißlingt,
dann empfiehlt Jesus einen dritten Schritt,
der über den privaten Rahmen hinausgeht,
und der für unser Empfinden einen recht offiziellen Charakter hat.
Jesus sagt also: „Trage das Problem der Gemeinde vor!“

Der Evangelist Matthäus hat dabei natürlich
die kleinen, überschaubaren Gemeinden vor Augen,
in denen man sich kannte,
und in denen es durchaus möglich war,
auch mal offen ein kritisches Wort zu sagen.
In einer Familie wäre da etwa an den ‚Familienrat‘ zu denken.
In unseren  heutigen katholischen Gemeinden
gäbe es dafür verschiedene Ebenen:
kleine, miteinander vertraute Gruppen in der Gemeinde,
dann – ganz offiziell - der Pfarrgemeinderat
und schließlich (jedenfalls theoretisch) die Gemeindeversammlung.
Auf welcher Ebene auch immer - Jesus (bzw. Matthäus) setzt voraus:
In der Gemeinde sollte es möglich sein,
konstruktiv miteinander zu reden, aufeinander zu hören
und schließlich allseits akzeptable Konfliktlösungen zu finden.

Allerdings zieht Jesus oder wenigstens doch der Evangelist Matthäus
auch die allerletzte Möglichkeit in Erwägung:
Nämlich eine ‚gerichtliche‘ Lösung.
Für uns ist es leider selbstverständlich geworden,
daß Christen sogar vor weltlichen Gerichten miteinander streiten -
aus der Sicht des Neuen Testamentes eine sehr fragwürdige Praxis.
Paulus stellt in seinem ersten Korintherbrief ganz empört die Frage:
„Wagt es (wahrhaftig) einer von euch,
der mit einem anderen einen Rechtsstreit hat,
vor ein weltliches Gericht (das ‚Gericht der Ungerechten‘) zu gehen?“
Und weiter fragt Paulus:
„Gibt es denn unter euch wirklich keinen,
der die Gabe hat, zwischen Brüdern zu schlichten?“ (1. Kor. 6, 1-5)

Jesus selbst sagt in der Bergpredigt:
„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! …
Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders,
aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? …
Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem eigenen Auge,
dann kannst du versuchen,
den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.“ (Mt. 7, 1-5)

Das Fazit lautet also: Vermeidet - wenn irgend möglich -
jedwede gerichtliche Auseinandersetzung!
Und wenn’s gar nicht anders geht,
dann soll die Gemeinde richten.
Jesus - oder vielleicht doch erst Matthäus – fügt ausgerechnet hier
einen ausgesprochen juristischen Passus ein:
„Alles, was ihr auf Erden binden werdet,
das wird auch im Himmel gebunden sein,
und alles, was ihr auf Erden lösen werdet,
das wird auch im Himmel gelöst sein.“
‚Binden‘ und ‚lösen‘ – das bedeutet:
‚bannen‘, bzw. ‚den Bann lösen‘,
also ‚ausschließen‘, bzw. ‚wieder aufnehmen‘.

In der katholischen Kirche heute
gibt es einen solchen Ausschluß aus der Kirche nicht!
Wohl aber den Ausschluß von den Sakramenten
(= Exkommunikation).

Juristisches Denken im biblischen Sinne
steckt übrigens schon hinter den Formulierungen
zum zweiten Schritt der Konfliktlösung:
„Nimm zwei oder drei Männer mit,
denn jede Sache muß durch die Aussage
von zwei oder drei Zeugen entschieden werden.“

Dieses ganze juristische Denken,
das sich in dieser Passage der Gemeinderegel breit macht,
und das ja auch in der katholischen Kirche viel Gewicht hat,
wird im letzten Absatz des heutigen Evangeliums
noch einmal relativiert, bzw. sogar in Frage gestellt.
Da taucht wieder die Rede von den ‚Zweien oder Dreien‘ auf,
und zwar in einem Wort, das offenkundig auf Jesus selbst zurückgeht:
„Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten,
werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten.
Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind,
da bin ich mitten unter ihnen.“

Dieses Jesuswort steht also in einem engen Zusammenhang
mit dem Thema ‚Menschliches Zusammenleben
und Konfliktlösung unter Christen‘.
Obwohl es am Ende des Abschnittes steht,
sollten wir es doch als ‚Notenschlüssel‘ für das Ganze lesen:
Nehmen wir unser Miteinander mit all seinen Höhen und Tiefen
mit hinein in unser Beten,
und leben und streiten (!) wir jederzeit in dem Bewußtsein:
Jesus selbst ist mitten unter uns,
Er geht all unsere Wege mit uns
Er zeigt uns in jeder Situation Wege der Versöhnung,
Er möchte unser Miteinander prägen in Seinem Frieden.

Amen.