Predigt zum 17. Sonntag im Jahreskreis (A)
am 24. Juli 2011
Lesung: 1. Kön. 3, 5.7-12
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Einzelne Anregungen von Andreas Ruffing in der Zeitschrift "Gottes Wort" 6 / 2011.
Bis auf den heutigen Tag gilt König Salomo
als der Inbegriff eines gerechten und weisen Herrschers -
und das obwohl er seit nahezu 3000 Jahren tot ist!
Das läßt tief blicken.
Zum einen wurde seine Gestalt
im Laufe dieser langen Geschichte gewiß idealisiert.
Zum anderen scheint es wirklich in der Geschichte
nicht allzu viele Herrscher, Machthaber und Politiker zu geben,
die man weise nennen
und aktuellen, wie zukünftigen Politikergenerationen
als Vorbild vor Augen stellen könnte.

Bei der Lektüre des Lesungstextes fällt schon
die bescheidene Selbsteinschätzung des jungen Königs auf:
“Ich bin noch sehr jung und weiß nicht,
wie ich mich als König verhalten soll.”
Das sagt Salomo, obwohl er am Hof seines Vaters David
eine optimale Ausbildung erhalten hat.
Wer von unseren Politikern
stellt sich heute schon vor die Wähler hin
und spricht von seiner mangelnden Erfahrung
statt von all dem, was er weiß und kann?

Sodann sagt Salomo:
“Dein Knecht steht mitten im Volk.”
Das mag sich auch heute zwar manch einer einbilden;
aber stimmt’s auch?
Vermutlich wäre dann die Politik
den Menschen um einiges näher.

Regelrecht umwerfend ist nun aber
die einzige Bitte des Salomo zu Beginn seiner Regierungszeit:
“Verleihe mir ein hörendes Herz,
damit ich dein Volk zu regieren
und das Gute vom Bösen zu unterscheiden verstehe.”

“Ein hörendes Herz” - das hat nach damaligem Sprachverständnis
nichts mit Gefühl oder Gemüt zu tun,
wie wir heute - zumal als Deutsche - “Herz” verstehen würden.
Im Verständnis biblischer Zeit
meint “Herz” den ganzen Menschen
und zumal den Kern dessen, was wir heute ‘Person’ nennen.
Salomo betet also darum,
ganz und gar und mit allen Sinnen offen zu sein
für das, was die Menschen bewegt.

Dieses Gebet sollte eigentlich am Anfang stehen,
immer wenn jemand Verantwortung für andere übernimmt -
nicht nur in der Politik!
Letztendlich tragen wir ja alle Verantwortung
für andere und füreinander:
Im beruflichen Alltag, im familiären Umfeld,
im Nachbarschafts- und Freundeskreis,
in der Kirche, in der Kommune, in diesem oder jenem Verein
und selbstverständlich auch an der Wahlurne
und bei jedem noch so bescheidenem politischen Engagement.
Immer geht es darum,
ganz und gar und mit allen Sinnen offen zu sein
für das, was die Menschen bewegt.
Versuchen Sie ruhig mal, sich mit all Ihrer Phantasie auszumalen,
wie sehr sich unser Zusammenleben positiv verändern würde,
wenn wir damit wenigstens mal ernsthaft beginnen würden.

Allerdings hat sich wenigstens in der Wirtschaft
und auch in der Sozialpädagogik
während der letzten zwanzig, dreißig Jahre
mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt,
wie unverzichtbar eine kommunikative Offenheit füreinander
und soziale Kompetenz überhaupt ist.
Bei Stellenausschreibungen ist z.B. nicht selten
Teamfähigkeit, Interesse an den Menschen,
Einfühlungsvermögen und Kundenfreundlichkeit gefragt.

In vielen Unternehmen ist kommunikative Fortbildung
inzwischen selbstverständlich:
•    Da geht’s z.B. um Arbeit im Team,
•    um effektives Konfliktmanagement im schwierigen Situationen,
•    um Methoden und Strategien
    konstruktiver und erfolgreicher Kommunikation,
•    und auch um einen offenen und konstruktiven Umgang mit Kritik.

All das müßte für jeden von uns,
erst recht in der Politik und nicht zuletzt in der Kirche
zur alltäglichen Praxis werden.

Füreinander ‘ganz Ohr sein’ -
da gibt’s also durchaus positive Ansätze.
Salomo betet jedoch um mehr:
Er möchte wenigstens ebenso sehr
‘ganz Ohr sein’ für Gottes Wegweisung.
So möchte er vor allem
“das Gute vom Bösen zu unterscheiden” lernen.
Diese Bitte des Salomo ist uns heute eher fremd -
mit all den katastrophalen Folgen, die das weltweit hat.

Ganz Ohr sein für Gott - das setzt zunächst
selbstverständlich eine lebendige Beziehung zu Gott voraus.
Dann aber setzt es - gerade heute - voraus,
Gottes Stimme herauszuhören
aus der verwirrenden Vielzahl von Stimmen in uns und um uns,
aus all den Ideen, Programmen und Ideologien,
die uns wie Fliegenschwärme umschwirren.
Ignatius von Loyola will mit seinen Exerzitien
genau dafür unsere inneren Sinne öffnen:
Gottes Stimme herauszuhören.
Ein wesentliches Element dieser Exerzitien
sind die “Regeln zur Unterscheidung der Geister”.
Sie vor allem können helfen,
Gottes Stimme zu identifizieren,
und - ganz im Sinne des jungen Königs Salomo -
“das Gute vom Bösen zu unterscheiden”.

Dringend sollte man jedem Politiker raten,
sich vor grundlegenden und schwerwiegenden Entscheidungen
wenigstens mal für eine Woche zu Exerzitien zurückzuziehen.
Und selbstverständlich wäre dieser Rat
nicht nur für Politiker, sondern für uns alle hilfreich.
Offenkundig hat Salomo sich
zur Vorbereitung auf seine Regierungszeit
auf so etwas wie ‘Exerzitien’ eingelassen.
Schon seine Bitte um ein ‘hörendes Herz’
dürfte das Ergebnis eines ‘Exerzitien’-Prozesses sein.
Vor allem aber resultiert aus einem solchen Prozeß,
daß Salomo Gottes Antwort auf seine Bitte versteht.
Die nämlich geht weit über die Bitte hinaus:
“Siehe, ich gebe dir (nicht nur ein hörendes,
sondern) ein weises und verständiges Herz.”

‘Weisheit’ - das ist eine liebende Zusammenschau des Ganzen
und ein umfassendes Verständnis innerer Zusammenhänge.
Gottes Schöpfung ist von dieser ‘Weisheit’ geprägt.
Die Heilige Schrift personifiziert die ‘Weisheit’
und sieht sie ganz in Gottes Nähe.
Die ‘Weisheit’ selbst spricht:
“Ehe die Berge eingesenkt wurden,
vor den Hügeln wurde ich geboren...  
Als Er den Himmel baute, war ich dabei,
als Er den Erdkreis abmaß über den Wassern...  
als Er dem Meer seine Satzung gab...
als Er die Fundamente der Erde abmaß,
da war ich als geliebtes Kind bei ihm.
Ich war Seine Freude Tag für Tag
und spielte vor Ihm allezeit.” (Spr. 8, 25 ff)

Ganz ähnlich versteht Johannes
im berühmten Prolog seines Evangeliums
Gottes ‘Wort’ als Person, die er mit Christus identifiziert:
“Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden,
und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.  
In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen.” (Joh. 1, 1-4)

Wenn wir als Christen also
mit Salomo um ein ‘hörendes Herz’ bitten,
dann ist uns bereits durch Christus und in Christus
Gottes Weisheit selbst geschenkt.
Und in dem Maße,
in dem wir uns für Christus und Sein Evangelium öffnen,
gewinnen wir also - wie Salomo -
“ein weises und verständiges Herz”.

Einen Schritt in diese Richtung tun wir,
wenn wir uns jetzt ganz und gar öffnen
für die Einladung zu Seinem Mahl
und für die Begegnung mit Ihm.

Amen.