"Maria - Knotenlöserin"
am Sonntag, dem 25. Mai 2008
Zu einem Bild in St.Peter am Perlach, Augsburg (um 1700)
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Dreifaltigkeitssonntag
und Fronleichnam haben in den ersten Wochen des Mai
diesen Monat ein wenig als den Monat der Gottesmutter
in Vergessenheit geraten lassen.

Erst im Anschluß an diese Festtage haben wir
zu Ehren der Gottesmutter noch eine neue Krippenszene geschaffen.
Die orientiert sich an dem mittelalterlichen Motiv
der „Maria im Rosengarten" oder auch „Maria im Rosenhag".
Die bekanntesten Gemälde dieses Motivs
haben Stefan Lochner und Martin Schongauer geschaffen.
Unsere Krippenszene steht in diesem Jahr
anstelle eines Maialtares.

Ein ganz anderes Marien-Motiv hat einer unserer Familienkreise
ausgewählt für diesen abendlichen Gottesdienst.
Es stammt aus der Barockzeit
und ist um 1700 entstanden für die Augsburger Kirche
St.Peter am Perlach.
Sein Titel: „Maria, die Knotenlöserin".

Nach 22 Jahren in Göttingen und nach vielen Besuchen
auf dem Göttinger Stadtfriedhof
assoziiere ich mit dem Bild der Knotenlöserin
spontan die Darstellung des Nornenbrunnens auf diesem Friedhof.

Drei Nornen - germanische Schicksalsgöttinnen also -
sind dort dargestellt:
•    Die erste - die jüngste der Nornen - spinnt den Lebensfaden an.
•    Die zweite - im mittleren Alter - spinnt ihn weiter.
•    Die dritte - ein Greisin - schneidet ihn ab.

Dieser germanische Schicksalsglaube ist nicht unser Glaube.
Dennoch ist das Bild vom Lebensfaden
ein treffendes Bild auch für unser Leben.
Manchmal haben wir den Eindruck,
unser Lebensfaden sei verwirrt,
habe sich verschlungen und verknotet.
Erst recht empfinden viele von uns,
der Faden der Menschheitsgeschichte sei in Unordnung geraten.
                                            
Solche höchst aktuellen Eindrücke und Empfindungen
greift das Bild der Knotenlöserin auf.
Maria wird dargestellt zwischen Himmel und Erde
als Zeichen des Heils, als Zeichen eines Neubeginns
der Menschheitsgeschichte
und auch unserer eigenen Lebensgeschichte.
„Du bist voll der Gnade" - heißt es von ihr.

Zu ihren Füßen jedoch die „alte Schlange",
die sich um den Mond (Zeichen der Unbeständigkeit) windet, verknotet.
Maria tritt mit dem Fuß auf die Schlange:
Vor Wut und Haß schreit sie auf.
Aber der Knoten der Schuld und des Ungehorsams wird gelöst.
Natürlich ist letztlich Jesus Christus der Erlöser, der „Knotenlöser".
Maria jedoch hat sich durch ihr „Ja"ganz und gar in Seinem Dienst gestellt:
„Ich bin die Magd des Herrn!"

Diese Dienstfunktion hat sie gelebt:
Sie ist den Weg ihres Sohnes mitgegangen -
auch unter schwierigen Umständen,
und manchmal ohne zu verstehen, wohin sie dieser Weg führen würde.
Am Karfreitag stand sie schließlich unter Seinem Kreuz.
Aber auch den Ostermorgen hat sie gläubig erlebt
und war aufnahmebereit für die Sendung des Pfingstgeistes -
wie sie ganz am Anfang in Nazareth für diesen Gottesgeist
schon aufnahmebereit war
wie eine höchst empfindsame Antenne.

In ihrem eigenen Leben war sie nicht selten mit „Knoten" konfrontiert:
Denken Sie etwa an die Weissagung des greisen Simeon:
„Ein Schwert wird deine Seele durchdringen."
Oder denken Sie an die Flucht nach Ägypten.
Oder an die rätselhafte Reaktion Jesu bei der Hochzeit zu Kana,
als sie Ihn aufmerksam machte: Sie haben keinen Wein mehr.

Auch ihre Stellung in der eigenen Familie
zwischen Jesus und den unverständigen Verwandten
war voller „Knoten".
Und vor allem dann die Erfahrung von Kreuz und Auferstehung.
 
Seit nahezu zwei Jahrtausenden wenden sich nun
unzählige Menschen an Maria in den Verknotungen ihres Lebens:
Als „Heil der Kranken" wird sie angerufen,
als „Zuflucht der Sünder", als „Trösterin der Betrübten",
als „Helferin der Christen", als „Mutter des guten Rates",
oder eben zusammenfassend als „Löserin aller Knoten".

Noch einmal: In all dem steht Maria ganz und gar im Dienst Gottes.
„Siehe, ich bin eine Magd des Herrn."
Der Maler weiß das:
Über Maria schwebt der Geist Gottes.
Auch die beiden Engel stehen für Gott selbst:
Er ist es, der Maria in Seinen Dienst nimmt
und ihr die verknoteten Lebensfäden anvertraut.

Ganz unten im Bild richtet der Maler unsere Aufmerksamkeit
noch auf einen speziellen Aspekt des Knotenlösens:
Ganz unten ist Tobias darsgestellt, der auf seinem Weg
geführt wird durch den Engel Raphael.
Im Buch Tobit des Alten Testamentes
geht es um eine Beziehungsgeschichte
und um die Lösung eines Beziehungsknotens.
Offenkundig ist auch das nicht nur ein Problem unserer Zeit:
In Beziehungen müssen oft eine Menge Knoten gelöst werden.

Gerade im Hinblick darauf,
daß ein Familienkreis diesen Gottesdienst vorbereitet hat,
möchte ich schließen mit einem Gebet:
„Maria, Knotenlöserin, bitte auch für uns und unsere Familien,
und nicht zuletzt für die vielen Eheleute,
die es schwer haben miteinander."

Amen