Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis (A)
am 21. September 2008
Evangelium:  Mt. 20, 1 - 16
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Für viele Menschen ist dieses Evangelium unverständlich
oder sogar ärgerlich.
Ich lade Sie ein, mit mir den Text ein wenig genauer anzuschauen.

Diese Betrachtung sollten wir auf zwei Ebenen anstellen:
•    Erstens auf der Ebene des Bildes
    vom Weinbergbesitzer und seinen Erntearbeitern.
•    Zweitens auf der Deutungsebene,
    bei der es um das „Himmelreich" geht:
    um das Verhältnis Gottes zu den Menschen
    und um das Verhältnis von Menschen untereinander.

Schon bei einer Betrachtung der Bildebene
geht es nicht nur darum,
dieses Bild aus den Verhältnissen der damaligen Zeit zu verstehen.
Denn bereits in der Wahl der Bilder und Gleichnisse Jesu
steckt nicht selten eine kritische Auseinandersetzung
mit den Verhältnissen Seiner Zeit.
Daher müssen wir auch das Bild selbst
und nicht nur seine Ausdeutung befragen:
Was ist damit für unsere Zeit heute und für uns gesagt?

Es gab zur Zeit Jesu eine bedrückende Arbeitslosigkeit.
Die vielen Arbeitslosen drängten sich auf den Marktplätzen,
um wenigstens einen Job als Tagelöhner zu erhaschen.
An dem einen Denar, den sie so verdienen konnten,
hing nicht nur ihr eigenes Überleben,
sondern vielfach auch das Überleben einer ganzen Familie.
Gewiß ist bei uns in letzter Zeit die Zahl derer gesunken,
die sich ohne Arbeit auf dem „Arbeitsmarkt" drängen.
Und doch sind immer noch knapp vier Millionen Menschen
von dieser Not betroffen.

Auch im Verhalten des biblischen Unternehmers
fallen zunächst deutliche Parallelen auf
zur betriebswirtschaftlichen Personalpolitik
großer Unternehmen heute:
Die Planung von Arbeitsabläufen in den Weinbergen
ist daran orientiert, Personalkosten zu sparen.
Es geht darum, möglichst wenig Arbeiter einzustellen.
Erst wenn klar ist, daß das Produktionsziel des Tages
mit diesem Minimum an Arbeitskräften
auf gar keinen Fall zu erreichen ist,
stellt der Weinbergbesitzer weitere Mitarbeiter ein –
und zwar gleich mehrfach,
weil er zu jeder Stunde darauf bedacht ist,
die Lohnkosten so gering wie möglich zu halten.

Heute heißt die Devise:
Lieber Überstunden kloppen lassen,
als neue Arbeitsplätze schaffen.
Nach Möglichkeit Maschinen und Komputer einsetzen,
um so möglichst unabhängig zu werden von menschlicher Arbeitskraft.
Und gegebenenfalls Produktionsstätten
in Billiglohnländer verlagern.

Soweit also – auch nach 2000 Jahren:
Nichts Neues unter der Sonne!
Dann aber läßt das Evangelium aufmerksam werden:
Alle Arbeiter des Tages erhalten den gleichen Lohn –
Die, die Last des ganzen Tages getragen haben,
erhalten – wie vertraglich vereinbart – einen Denar;
die jedoch, die nur eine einzige Stunde gearbeitet haben,
werden  genauso entlohnt.
Ist das gerecht?

Für den Gutsherrn des Evangeliums
ist an erster Stelle der Mensch wichtig
und das, was er und seine Familie zum Leben brauchen.
Nicht um Leistungsgerechtigkeit geht es in erster Linie,
sondern um ausgleichende Gerechtigkeit.
Der eine Denar ist dafür das Maß –
offenkundig ein Betrag, mit dem sich leben läßt.

Die Botschaft dieses Evangeliums bringt Bruce Marshall
in einem Romantitel auf den Punkt:
„Keiner kommt zu kurz oder Der Stundenlohn Gottes".
Das Evangelium will alle Menschen
auf das richtige (= gerechte) Maß bringen:
Die Reichen vom himmelschreienden Reichtum herunterholen
und die Armen aus der himmelschreienden Armut heraus -
auf ein für alle menschenwürdiges Maß.
Im Mittelpunkt der Botschaft Jesu Christi steht also der Mensch.
Dort steht er in Wirtschaft und Politik noch längst nicht!
Als Gesellschaft sind wir dabei, unsere Chance zu vertun
eine gerechte und menschenfreundliche Welt zu gestalten.
Auf diesem Hintergrund müssen wir wirklich
auf den Stundenlohn Gottes hoffen
und darauf vertrauen, daß bei Ihm keiner zu kurz kommt -
auch wir nicht, die wir im Wohlstand leben.

Der „Stundenlohn Gottes" ist nun das Stichwort
für eine Betrachtung der zweiten, der Deutungsebene des Gleichnisses.
Diesem Gleichnis geht im Evangelium eine Frage des Petrus voraus:
„Herr, wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt.
Was werden wir dafür bekommen?"

Wenn nun Matthäus diese Frage
in seinem Evangelium zum Thema macht,
dann hat er dabei gewiß auch die Adressaten
dieses Evangeliums vor Augen:
Die Menschen der frühchristlichen Gemeinden.
Die stellten sich wahrscheinlich - wie wir auch - die Frage:
Was bringt mir eigentlich mein Christsein?
Was habe ich davon, mich in der Gemeinde zu engagieren?

Jesus antwortet dem Petrus:
Was auch immer einer, der mir nachfolgt, verlassen hat,
er wird das „Hundertfache" dafür erhalten
und das ewige Leben gewinnen.
Diese Antwort eröffnet also eine ganz andere Dimension,
als sie der Fragesteller erwartet.
Der möchte vermutlich eine sehr handgreifliche Antwort erhalten:
Innerweltliche Vorteile soll Jesus ihm aufzeigen.
Und genau das tut Jesus nicht:
Er verspricht nur das Eine, Wesentliche -
Gottes Nähe.
Ein bekannter Gesang aus Taizé bringt das auf den Punkt:
„Gott allein genügt!"

Und dann entfaltet Jesus Seine Antwort,
indem Er das Gleichnis vom Weinbergbesitzer erzählt.
Dieser Weinbergbesitzer steht für Gott selbst.
Und der „Weinberg" steht in der Heiligen Schrift
immer wieder als Bild für Gottes Volk.
Gott beruft also Menschen in den Dienst an Seinem Volk.
In Seiner Nähe und mit Ihm dürfen sie sich engagieren
für das, was Ihm - Gott - vor allem am Herzen liegt:
für Sein Volk, für Gottes Volk.

Den „Denar", den alle bekommen,
nennt ein Kommentator den „Ein-und alles-Denar":
Der Dienst am Menschen, der Dienst an Gottes Volk,
in der Nähe Gottes und in Gemeinschaft mit Ihm
ist der eigentliche und unüberbietbare „Lohn".
Mehr noch:
Dieser Dienst und diese Gemeinschaft mit Gott
sind das „Ein-und alles" unseres Lebens.
In Gottes Nähe Sinn und Erfüllung des Lebens zu finden,
ist das Geschenk schlechthin,
das wir durch nichts, aber auch gar nichts verdienen können.
Neid und Eifersucht haben da keinen Platz!
Jedem, der dem Ruf Gottes folgt,
- wann auch immer er ihm folgt -, ist Gott selbst nahe,
und vom ersten Augenblick an wird Er für ihn
zum „Ein-und-alles".
Da kann es keinen Unterschied geben
für Erste und für Letzte!

Abschließend muß nun noch deutlich werden,
daß die Deutungen beider Ebenen dieses Gleichnisses
auf das engste miteinander verknüpft sind:

Im Hier und Heute geht es Gott um den Menschen.
Im Hier und Heute geht es auch um das Kommen des Reiches Gottes.
Gottes Ruf in den Dienst am Seinem „Weinberg"
ist hier und heute also auch der Ruf
zu einer menschlichen Gestaltung
der politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten -
und das mit Ihm und in Seiner Gemeinschaft.
Nichts kann erfüllender und letztlich beglückender sein
als dieses „Mit Gott im Dienst an den Menschen" -
das „Ein-und-alles" auch unseres Lebens.

Amen.