Predigt zu Allerheiligen
am 1. November 2005
Lesung: Offb. 7, 2 - 4 und 9 - 14
Autor: P. Heribert Graab S.J.
nach Anregungen von Paul Fischer in "GottesVolk" 8 / 2005
Seit eh und je haben mich diese Himmelskuppeln
barocker Kirchen fasziniert.
Nicht etwa weil sie einen traumhaften Einblick gewähren
in die zukünftige Herrlichkeit des vollendeten Gottes,
sondern weil sie diese Welt als eine Einheit sehen:
Diese alltägliche Welt hier, in der wir zu Hause sind,
öffnet sich „nach oben" - hinein in die Fülle der Herrlichkeit Gottes.
Die Grenzen sind fließend.
Wir „hier unten" gehören eigentlich schon dazu!
Wir sind verbunden mit den „Heiligen des Himmels".
Durch die Taufe sind wir selbst „schon" Heilige,
obwohl wir „noch nicht" in dieser Herrlichkeit vollendet sind.

Eine biblische Begründung dieser Zusammenschau
haben wir heute in den Visionen der Lesung
aus der Offenbarung des Johannes gehört:

Im vorausgehenden Kapitel ist vom Untergang unserer Welt die Rede
und vom hereinbrechenden Endgericht Gottes.
Das ist in so erschreckend realistischen Bildern geschildert -
als hätte der Autor schon die Fernseh-Reportagen
aktueller Katastrophen vor Augen gehabt.
Die Schilderung schließt mit den Worten:
„Der große Tag des Zorns ist gekommen. Wer kann da bestehen?"

„Wer kann da bestehen?"
Diese bedrängende Frage findet in unserer Lesung
eine sehr tröstliche Antwort - und das in zwei Visionen:

Zunächst geht es um die Kirche in dieser chaotischen Weltzeit.
Da ist die Rede von der Versiegelung
der Hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen Israels.
Der Bildvision liegen Vorstellungen eines alten Weltbildes zugrunde:
Die Erde ist demnach eine durch die Ozeane begrenzte Scheibe.
Von allen vier Himmelsrichtungen brechen über diese Erdscheibe
verheerende Stürme und Fluten herein -
Hurrikans und Tsunamis sozusagen.
Diese ungeheuren und elementaren Naturkräfte stehen
- nach den Vorstellungen der Apokalyptik -
unter der Kontrolle von Engeln.
Schließlich wird der Osten als Himmelsrichtung
des einstigen Paradieses und damit des Heils verstanden.
Von Osten her also steigt der Engel des Heils
mit dem Siegel des lebendigen Gottes herauf
und weist die Mächte einer entfesselten Natur in ihre Schranken.

Mit einem Brandmal wurden in der Antike
Tiere und Sklaven als Eigentum ihrer jeweiligen Herren signiert.
Auch Angehörige mancher Kulte
ließen sich das Merkmal ihres Gottes einbrennen.

Versiegelung bedeutet also Zugehörigkeit und Schutzverheißung.
Gott sagt mit dieser symbolischen Engelshandlung
den Seinen zwar nicht zu, daß sie vor den Stürmen bewahrt werden,
wohl aber, daß sie in den Stürmen bewahrt
und durch sie hindurch gerettet werden.
Diese trostreiche Verheißung ist konkret hinein gesagt
in eine Zeit, in der die junge Kirche bereits den ersten
überaus blutigen und vernichtenden Verfolgungen ausgesetzt war.

Wer sind nun die 144.000 Versiegelten?
Die zwölf Stämme Israels bestanden schon längst nicht mehr,
als Johannes seine Visionen aufschrieb.
Wohl aber erwartete das Judentum
die endzeitliche Wiederherstellung des Zwölf-Stämme-Volkes.
Und Johannes sieht in der symbolischen Zahl
die Erfüllung dieser Erwartung,
die Wirklichkeit wird für das neue Gottesvolk
aus Juden- und Heidenchristen.
Tausend - das ist die Zahl der Fülle.
Für jeden Stamm werden 12 X 1.000 Versiegelte genannt,
also 12.000 Versiegelte.
Bei zwölf Stämmen ergibt das 144.000 Versiegelte -
eine immense Summe - vor allem aber Ausdruck der Vollständigkeit:
Gott steht zu Seinem Volk - und zwar zum ganzen Volk.
Jesus spricht einmal davon, daß keiner von denen,
die der Vater ihm gegeben hat, verloren geht.
Ihnen allen ist durch Seine Gnade Gottes Heil geschenkt.
Eine fürwahr tröstliche Verheißung in dunkler Zeit.

Johannes sieht nun - in einer zweiten Vision - diese Versiegelten
schon im Zustand ihrer himmlischen Vollendung:
Eine unzählbar große Schar aus allen Völkern und Nationen.
Sie stehen mit den Zeichen des errungenen Sieges
- weiße Gewänder und Palmzweige -
vor dem Thron und vor dem Lamm.
Dankbar bekennen sie:
„Die Rettung kommt von unserem Gott!"
Und in ihren Dank für die Erlösung aus aller Drangsal
und für die geschenkte Fülle des Heils
stimmen die Engel und himmlischen Wesen mit ein:
„Lob und Herrlichkeit, Weisheit und Dank,
Ehre und Macht und Stärke unserem Gott
in alle Ewigkeit!"

Die da aus der Drangsal dieser Welt
und aus der großen Bedrückung kommen,
haben ihren Glauben und damit ihre Zugehörigkeit zu Gott bewahrt -
nicht aus eigener Kraft,
sondern kraft des erlösenden und versöhnenden Sterben des Lammes.
Das will das scheinbar widersprüchliche Bild zum Ausdruck bringen:
Sie haben ihre Gewänder gewaschen
und im Blut des Lammes weiß gemacht."

Diese Versicherung, eine unzählbar große Schar
werde in der großen Drangsal standhalten,
konnte schon damals die noch auf Erden Ringenden
mit Zuversicht erfüllen.
Diese Zusicherung kann auch für uns heute
eine Quelle der Hoffnung sein.
Sie kann uns ermutigen, wenn wir selbst es
im Blick auf unser Ende mit der Angst zu tun bekommen.
Sie sollte aber auch z.B. manche Eltern ermutigen,
die besorgt sind um den Glauben ihrer Kinder.
Gottes Wege sind nicht unsere Wege!
Christus ist gestorben nicht nur für ein paar „Brave".
Sein Blut kann so manches Gewand „weiß waschen".

Zudem kann und soll dieser Text
- gerade in unserer so überaus rationalistischen Zeit -
unseren Glauben und unser Vertrauen
auf die Vollendung unseres Lebens in Gottes Herrlichkeit stärken
und mit einem neuen und frohmachenden Leben erfüllen:
Aus solchem Glauben kommt die Kraft, uns in dieser Zeit zu bewähren.
Der Himmel steht uns offen (wie‘s die Barockkuppel zeigt)
und genau genommen gehören wir schon dazu -
zu Gottes neuer Welt.

Amen.