Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis (A)
am 30. Oktober 2005
Lesung: Mal. 1, 14b - 2, 2b.8 - 10
Evangelium: Mt. 23, 1 - 12
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Ich habe lange überlegt:
Was spricht mich persönlich an,
wenn ich auf diese Lesungen hinhöre?
Und was möchte ich Ihnen heute vermitteln?

Wie die beiden Lesungen aufeinander bezogen sind,
liegt auf der Hand:
Da ist einmal das verbindende Stichwort
von Gott als „Vater".
Zum anderen wenden sich beide Lesungen sehr kritisch
an diejenigen, die das Wort Gottes verkünden -
an die Priester des „Alten Bundes" aus dem Stamme Levi,
an die Pharisäer und Schriftgelehrten der Zeit Jesu,
und - als Mahnung - an die Jünger Jesu,
die ER selbst als Seine Boten und als Botschafter des Reiches Gottes
in die Welt senden will.

Damit würde es sich nahe legen,
mal wieder einzustimmen in eine modische Kritik des „Amtes" in der Kirche.
Und fürwahr: Stoff dafür gäbe es gewiß genug.
Um nicht selbst gar zu sehr in die Schußlinie zu geraten,
legte es sich vielleicht auch nahe,
das Thema „Glaubwürdigkeit" auszuweiten auf uns alle,
die wir den Namen „Christen" tragen
und die wir also alle mitverantwortlich sind dafür,
daß die Botschaft Jesu Christi in unserer Zeit ankommen kann.

Bei einem zweiten und dritten Blick auf die Texte
entdeckte ich jedoch eine weitere Frage,
vor die mich beide Lesungen stellen,
und die mich in meinem Glauben unmittelbar betreffen:

Wer ist Gott? Wie ist ER?
Mit welcher Vorstellung und mit welchem Namen
kann ich Ihn anrufen, wenn ich bete?

„Ich schleudere meinen Fluch gegen euch",
heißt es in der Lesung des Propheten Maleachi.
Der Originaltext geht noch weiter.  Der fährt fort:
„Ich verfluche den Segen, der auf euch ruht...
Seht, ich schlage euch den Arm ab und werfe euch Unrat ins Gesicht,
den Unrat eurer Feste, und man wird euch zu ihm hinausschaffen."

Ist das wirklich der Gott Jesu Christi -
dieser seinen Fluch wie Blitze schleudernde Zeus?

Wenige Zeilen später schon spricht Maleachi dann von Gott als dem „Vater".
Jesus greift im Evangelium dieses Wort auf und sagt:
„Nur einer ist euer Vater - der im Himmel."
Jesus lädt uns gar ein, Ihn als „Vater" anzurufen im Gebet.

Aber welches Bild von einem „Vater" steht dahinter?
Der „Vater" als herrschsüchtiger Patriarch seiner Familie?
Der „Vater", der seine Frau und seine Kinder schlägt -
sie vielleicht sogar mißbraucht?
Der „Vater", der seine Töchter zwangsverheiratet?
Wie viele Menschen und - vielleicht vor allem - wie viele Frauen
tun sich heute schwer mit dem Glauben,
weil ihnen ihre eigene Erfahrung mit ihrem leiblichen Vater
im Wege steht!

Jesus scheint das zu ahnen, wenn er sagt:
„Ihr sollt niemanden auf Erden euren Vater nennen."
Er scheint zu fürchten,
daß irdische Vaterbilder das Gottesbild verdunkeln könnten.

Dazu fällt mir das alttestamentliche Bilderverbot ein.
„Du sollst dir kein Gottesbild machen
und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben,
auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde." (Ex. 20,4)
Bilder - schon vom Menschen, erst recht von Gott -
können den Betreffenden in eine Schublade stecken,
können ihn auf eine eng begrenzte Wirklichkeit fixieren,
ihn einengen, ihn festnageln, ihn degradieren.

Bilder sind immer unseren sehr begrenzten Erfahrungen entnommen.
Sie entreißen dem ins Bild Gesperrten das Geheimnis,
das selbst jedem Menschen innewohnt und erst recht Gott.
Schon mit dem Menschen können und sollen wir
immer wieder neue Erfahrungen machen.
Und zumal sollen wir offen bleiben
für immer wieder neu mögliche Erfahrungen mit Gott.

Ich selbst habe lange Zeit erhebliche Probleme gehabt
mit der Vorstellung vom „allmächtigen Gott" -
so sehr, daß ich Ihn bis heute lieber anrede mit den Worten
„gütiger und barmherziger Gott".
Zugleich aber wird mir mehr und mehr deutlich,
daß auch diese Wortbilder die Wirklichkeit Gottes eingrenzen.
Könnte es nicht sein,
daß wir auch mit unserem Bild vom „lieben Gott"
haarscharf an der Wirklichkeit Gottes vorbei glauben?
Daß wir Ihn bis zur Bedeutungslosigkeit verharmlosen?

Das Alte Testament „erlaubt" nur zwei „Abbilder" Gottes:
Der Mensch gilt als „Ebenbild Gottes",
und die „Weisheit" wird als Abbild
der alles überragenden Größe Gottes genannt.
Die „Weisheit" gilt nicht mehr viel in einer Zeit,
in der alles auf das „Wissen" ankommt.
Und der Mensch ist vielfach so sehr zum „Unmenschen" verkommen,
daß schon das Neue Testament nur noch
in dem einen Menschen Jesus Christus
das wahre und vollkommene Bild der Herrlichkeit Gottes sieht.

So ist also jede Christusverkündigung
auch die Verkündigung eines wahren Gottesbildes.
Und wenn wir eine zutreffende Antwort suchen
auf die Frage „Wer ist Gott?" Und „Wie ist Er?",
dann sollten wir Tag für Tag in den Evangelien lesen
und unser Bild verlebendigen von Ihm,
von Jesus Christus, in dem Gott selbst Mensch geworden ist.

Darüber hinaus jedoch halten
die großen Theologen und Beter der christlichen Tradition
daran fest:
„Das einzige, was an Gott faßlich ist,
ist seine Unendlichkeit und seine Unfaßlichkeit."
Diese Formulierung stammt von Johannes Damaskenos -
ausgerechnet also von einem Kirchenvater der Ostkirchen,
in denen die Ikonen - die Bilder also - eine so zentrale Rolle spielen.

Ein protestantischer Beter der Reformationszeit sagt:
„Die vollkommenste Art, zu Gott zu beten, ist diejenige,
wo sich die Seele von Gott gar kein leibliches Bild macht...
Nächst dem hielt ich es noch für am besten,
wenn man sich Gott unter der Gestalt eines unendlichen
und an allen Orten durchstrahlenden Lichtes vorstellt,
weil Gott sich selbst ein Licht nennen läßt (1. Joh. 1,5)."

Und vielleicht noch diese kleine Begebenheit aus der Spiritualität des Islam:
In einem kleinen türkischen Kloster, in dem Derwische lebten,
wurde einer von ihnen gefragt:
„Was für einen Namen gebt Ihr Gott, Ehrwürden?"
„Er hat keinen Namen", antwortete der Derwisch.
„Gott kann man nicht in einen Namen pressen.
Der Name ist ein Gefängnis. Gott ist frei."

Eine weiter bohrende Frage des Besuchers lautete dann:
„Wenn Ihr ihn aber rufen wollt?
Wenn es notwendig ist, wie ruft Ihr ihn?"
„Ach!" antwortete er.
„Nicht: Allah.
Ach! werde ich ihn rufen."

Der diese Begebenheit aufgeschrieben hat,
schließt die Erzählung mit den Worten:
„‚Er hat recht‘, murmelte ich."

Überlegen Sie selbst:
Wann sagen Sie „Ach"?
•    Ach! - wenn Sie leiden!
•    Ach! - wenn Sie stauen!
•    Ach! - wenn Sie betroffen sind!

Und Sie sagen es nicht zu einem anderen,
sondern so sprechen Sie zu sich selbst.
Gott ist nicht außerhalb unserer selbst;
Er ist innen: Gott - Du unser wahres Ich!
Gott - erfahren auf dem tiefsten Grund unserer Seele.

Amen.