Predigt zum 28. Sonntag im Jahreskreis (A)
am 9. August 2005
Evangelium: Mt. 22, 1 - 14
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Dieses Gleichnis ist erschreckend!
Es paßt vorne und hinten nicht zusammen
mit dem Gottesbild, das die meisten von uns haben.
Dieser strafende und rächende König -
das soll ein Bild und Gleichnis für den Gott Jesu Christi sein?
Wo bleibt da unser Bild vom gütigen und barmherzigen Gott?
Wo bleibt da unser Bild vom „lieben Gott"?

Um einen biblischen Text zu verstehen, reicht es nicht,
ihn einmal zu lesen oder zu hören
und ihn aus der spontanen Perspektive des Augenblicks zu deuten.
Gestatten Sie einen Vergleich:
Ein guter Fotograf nähert sich seinem Motiv
immer wieder auf‘s neue von ganz verschiedenen Seiten
und lichtet es mehrfach unter ganz verschiedenen Blickwinkeln ab.
So entstehen Bilder ein und desselben Motivs
mit ganz unterschiedlichen Aussagen.
So kann man und muß man auch einen biblischen Text 
aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.

Da ist zunächst einmal die unmittelbare Bildebene:
Um die unmittelbare Bildebene des Gleichnisses,
das wir soeben gehört haben,
auch in unserer heutigen Situation zum Sprechen zu bringen,
sollten Sie zu Hause einmal in Ruhe die Fassung des Gleichnisses lesen,
wie sie uns Lukas im 14. Kapitel seines Evangeliums überliefert hat.
Da stellen sich dann z.B. Fragen wie:
•    Welche Kultur des Miteinander-Essens pflegen wir heute -
    im Alltag oder auch bei festlichen Gelegenheiten?
•    Was bedeutet uns Gastfreundschaft?
•    Nach welchen Kriterien laden wir ein?
•    Wie gehen wir um mit Absagen?
•    Kämen wir überhaupt auf die Idee,
    gegebenenfalls Menschen „von den Hecken und Zäunen" einzuladen?

Eine andere Perspektive eröffnete uns das Gleichnis,
wenn wir es deuten würden unter der Rücksicht
der politischen Situation in der römischen Provinz Palästina
zur Zeit Jesu kurz vor Seinem gewaltsamen Tod am Kreuz;
und wenn wir es zugleich deuten würden im Wissen darum,
daß das Matthäusevangelium niedergeschrieben wurde,
nachdem Jerusalem - die Stadt, in der sich dies dramatische Geschehen abspielte -
im Jahre 70 von den Römern bis auf die Grundmauern zerstört worden war.

Dann würden wir vielleicht nachvollziehen können,
daß die frühen Christengemeinden,
die ja selbst unter Ausgrenzung und Verfolgung litten,
die Zerstörung Jerusalems mit der Kreuzigung Jesu in Zusammenhang brachten,
und in dieser Zerstörung die logische Konsequenz
der Ablehnung Jesu als Messias sahen.
Vor allem aber würden wir Antworten geben müssen auf Fragen wie diese:
•    Wie gehen wir selbst um mit der Macht,
    die ja auch wir über andere Menschen haben?
•    Wie reagieren wir auf wirtschaftliche und politische Macht,
    die ja auch heute Menschen in den Tod treibt?
    Wir erleben es ja gerade in diesen Tagen,
    da Afrikaner auf der Flucht vor erdrückender Armut
    an den Grenzen der „Festung Europa"
    in die Wüste zurückgejagt und dem Tod ausgeliefert werden.
    Das geschieht ja auch in unserem Namen!
    Wie gehen wir damit um?

Um den Blickwinkel der unmittelbaren Erzählebene
und um die politische Perspektive damals und heute
ging es vor allem in der Predigt dieses Sonntags vor drei Jahren
und noch einmal in der Predigt zum 15-jährigen Bestehen unseres Mittagstisches.
Sie können beide Predigten im Internet nachlesen.

Heute möchte ich zwei weitere Gesichtspunkte hinzufügen:

Matthäus selbst erzählt die Geschichte ja schon
unter einem ganz bestimmten Blickwinkel -
unter dem Blickwinkel jener frühchristlichen Gemeinde,
für die er das ganze Evangelium aufgeschrieben hat.
Aus der Sicht des Matthäus waren die Menschen der Zeit Jesu die Erstgeladenen.
Über sie fällt er ein hartes Urteil:
Sie waren es nicht wert, geladen zu werden.
Nach Lukas waren dann die Zweitgeladenen:
Arme und Krüppel, Blinde und Lahme.
Damit liegt Lukas wohl ziemlich nahe an der Erzählabsicht Jesu.
Anders Matthäus:
Er sieht in den Christen der zweiten und dritten Generation
die nachträglich Geladenen.
Es klingt eine kritisch-realistische Sicht der Situation seiner Gemeinde an,
vielleicht sogar eine gewisse Enttäuschung,
wenn er davon spricht,
die Diener seien auf die Straße hinausgegangen
und hätten alle zusammen geholt, die sie trafen:
„Böse und Gute".
Gleichgültigkeit und Bosheit waren der Grund
für das harte Urteil über die Erstgeladenen.
Die Zweitgeladenen betrachtet Matthäus nicht weniger kritisch:
Auch die in der Gemeinde sich breitmachende Gleichgültigkeit
kann und will er nicht akzeptieren.
Sie können sich nicht ausruhen auf ihrer Taufe und auf dem Namen „Christ".
Wenn sie nicht bereit sind für die Teilnahme am Festmahl des Himmelreiches,
dann fliegen sie halt raus.
Und nicht am Himmelreich beteiligt zu sein,
was ist das anderes als in der „äußersten Finsternis" zu wohnen?

Matthäus hält also mit der Erzählung des Gleichnisse
für seine Leute so etwas wie eine Philippika.
Er möchte diese Christen wegen ihrer Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit
sozusagen beim Kragen packen und sie kräftig durchschütteln.
Es geht ihm nicht darum, ein bestimmtes Gottesbild zu zeichnen.
Es geht ihm vielmehr darum, die Gemeinde zur Umkehr zu bewegen.
Und dazu hätte er auch heute Anlaß genug.

Schließlich möchte ich noch kurz auf die Sichtweise
des hl. Augustinus zu sprechen kommen.
Auch ihm geht es um die Christen seiner Zeit.
Ihnen deutet er die Geschichte aus einem allegorischen Blickwinkel,
d.h. er sieht einzelne zentrale Begriffe als Sinnbilder.
So sieht er z.B. in dem Hochzeitsgewand ein Sinnbild -
ein Sinnbild für eine reine und durch nichts verfälschte Liebe.
Augustinus zitiert aus dem berühmten Lied auf die Liebe
im ersten Korintherbrief des Apostels Paulus:
     „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete,
    hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
    Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüßte
    und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße
    und Berge damit versetzen könnte,
    hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.
    Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte,
    und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe,
    hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts."

Wenn ich also einen Berge versetzenden Glauben hätte
und den mit noch so gewinnenden Worten verkünden würde,
wäre dabei aber nicht erfüllt von wahrer Liebe,
dann wäre ich ein „Nichts".
Wenn ich Almosen gäbe und Spenden in Fülle,
das aber ohne wirkliche Liebe,
stünde ich statt in einem hochzeitlichen Gewand
in Lumpen da.

Wohlgemerkt: Nicht der Glaube ist nichts!
Nicht die Spenden für die Armen sind nichts!
Nein - ich bin nichts!
Ich habe kein hochzeitliches Gewand,
weil mir das alles Entscheidende fehlt:
Die Liebe.

Die Liebe also ist das Hochzeitsgewand!
Augustinus fragt uns alle:
Seid Ihr mit dem Gewand einer „Liebe ohne Wenn und Aber" bekleidet,
mit dem Gewand einer „Liebe ohne egoistische Hintertürchen"?
Wenn ja, dann seid Ihr sicher beim Mahl des Herrn.

Amen.