Predigt zum 11. Sonntag im Jahreskreis (A)
am 12. Juni 2005
Evangelium: Mt. 9, 36 - 10, 8
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Zunächst einmal ist ja wohl ganz allgemein festzuhalten:
Zwischen dem, was die Evangelien erzählen,
und unserer Zeit heute liegen rund 2000 Jahre.
Das heißt: Eine aktualisierende Lesung ist nicht ganz einfach.

Dennoch fällt immer wieder - oft ganz spontan -
eine frappierende Aktualität auf.
So auch heute:
Jesus hat offenkundig „Ressourcen-Probleme".
„Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter."
Leute gibt‘s zwar genug.
Und die Arbeitslosigkeit der Zeit ist auch enorm hoch.
Aber es fehlen offenkundig Menschen,
die hinreichend qualifiziert und motiviert sind,
die Arbeit zu tun, die Jesus für notwendig erachtet.

Um welche Arbeit, um welche Aufgabe geht es?
Jesus sieht die vielen Menschen und hat Mitleid mit ihnen,
weil sie „müde und erschöpft sind wie Schafe,
die keinen Hirten haben".
Matthäus - und vor ihm schon Markus - schildern diese Situation
im Blick auf einen Text des Propheten Ezechiel (Ez. 34):
Ezechiel spricht von den Hirten Israels seiner Zeit:
Die sind zwar als „Hirten" eingesetzt,
aber sie weiden nicht Gottes Volk,
sondern nur sich selbst und ihren Geldbeutel.
Sie haben ein ausschließlich materielles Interesse:
Sie trinken die Milch, sie nehmen die Wolle für ihre Kleidung,
sie schlachten die fetten Tiere, mästen sich selbst an den Lämmern.
Ansonsten liegt ihnen nichts an der Herde,
sie kümmern sich nicht um sie.
Also sind die Menschen in Wirklichkeit wie Schafe,
die keinen Hirten haben - jedenfalls keinen, der diesen Namen verdient.

Es ist wohl davon auszugehen,
daß Jesus selbst die Situation der Menschen Seiner Zeit
ganz genauso sieht:
Die amtlichen Hirten machen ihre Politik
im Wechselspiel mit der römischen Besatzungsmacht.
Es geht ihnen ausschließlich um Machterhalt,
um eigene Interessen und Privilegien.
An den Menschen liegt ihnen nichts!

Jesus sucht also „Arbeiter", denen etwas an den Menschen liegt;
die ein Herz für sie haben - wie Er selbst;
„Arbeiter", die sich selbstlos den Menschen zuwenden,
ihnen die frohe Botschaft vom Himmelreich verkünden,
ihre Kranken heilen, ja selbst Tote auferwecken,
„Arbeiter", die Aussätzige rein machen und Dämonen austreiben -
und das alles „umsonst".
„Arbeiter" von dieser Sorte allerdings gibt der Arbeitsmarkt kaum her:
Davon gibt‘s einfach zu wenige:
Darin liegt Jesu „Ressourcenproblem".

Die Situation der Menschen in unserer Gesellschaft
ist wahrscheinlich ähnlich trostlos,
wie die der Menschen zur Zeit Jesu:
Wem liegt schon wirlich etwas an diesen Menschen?
Wer hat ein Herz für sie?
Wer hat wirklich Zeit für sie?

Für Banker und Manager ist der Gewinn ausschlaggebend;
sie schauen auf die Aktienkurse.
Müntefering hatte so ganz unrecht nicht,
als er sie mit Heuschrecken verglich.
Politiker haben die nächste Wahl im Auge.
Selbst in der aktuellen Familiendebatte
geht es weniger um das Miteinander von Eltern und Kindern,
als vielmehr darum, auch die Familie möglichst reibungslos
in den Wirtschaftprozeß einzugliedern
durch eine reibungslose Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Nicht wenige Eltern selbst sind mehr darum bemüht,
ihre Kinder materiell zufriedenzustellen,
als ihnen das zu schenken, was sie am meisten brauchen:
Zeit und persönliche Zuwendung.

So sind gar zu viele Menschen auch heute
„wie Schafe, die keinen Hirten haben".
Menschen ohne Orientierung,
Menschen ohne sinngebende Werte,
Menschen ohne Halt und Hoffnung.
Schauen Sie doch beispielsweise mal in eine x-beliebige Hauptschulklasse!

Und die Kirche? Wir alle?
Die beauftragten Arbeiter in der Ernte
scheinen diese Menschen überhaupt nicht mehr zu erreichen.
Sie scheinen mit ihrer Botschaft nicht mehr zu überzeugen.
Ihr Reden und Tun wird von vielen abgelehnt.
Engagierte Gemeindemitglieder stehen vor ähnlichen Problemen.
Die Eltern unter ihnen erreichen oft nicht einmal mehr die eigenen Kinder.
Und von der Mehrzahl der Gläubigen
wissen nicht einmal mehr die Kollegen oder die Nachbarn darum,
daß sie Gläubige sind, und daß ihnen an ihrem Glauben etwas liegt.

Insofern hat es die Kirche heute ebenfalls
mit einem enormen Ressourcenproblem zu tun.
Auch heute geht es vor allem um menschliche Ressourcen:
Schon lange fehlen Priester -
und das obwohl die „Latte" - trotz Zölibat! - längst nicht so hoch liegt,
wie Jesus sie einst gelegt hat.
Aber das eigentliche Ressourcenproblem liegt viel tiefer:
Der Priestermangel ist nur die Spitze eines Eisberges.

Viel problematischer ist,
daß die Ressource „Glaube, Hoffnung, Liebe" knapp geworden ist.

Ja, und dann ist da noch
- auch eine Folge dieses ausschlaggebenden Defizits -
der Ressourcenmangel an Finanzen,
der seit einigen Jahren die Kirche in Deutschland umtreibt.

Ganz ohne Geld geht‘s nicht!
Auch Jesus hatte für sich und für die Menschen,
die mit Ihm unterwegs waren, einen „Kassenwart".
Dieser kleine Kreis stand damals schon
„hauptamtlich" im Dienst des Reiches Gottes -
d.h. jeder von ihnen hatte seinen Erwerbsberuf augegeben.
Und selbstverständlich nahm auch Jesus
für sich und für Seine Jünger
die Weisung aus dem Gesetz des Mose in Anspruch:
„Du sollst dem Ochsen zum Dreschen
keinen Maulkorb anlegen." (Dtn. 25,4).
Anders ausgedrückt:
„Wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Unterhalt." (Mt. 10,10).

Erst recht waren dann in der jungen Kirche
manche Missionare und Gemeindeleiter
„hauptamtlich" tätig.
Paulus widmet ihrem Recht auf Lebensunterhalt
ein ganzes Kapitel im ersten Korintherbrief. (1. Kor. 9).

In unserem Sinne gab‘s damals natürlich keine Kirchensteuer.
Die gibt‘s so, wie wir sie kennen, auch heute nur in Deutschland.
Es gab damals auch keinen Bundesangestelltentarif,
nach dem heute die kirchlichen MitarbeiterInnnen bezahlt werden.
Aber es war selbstverständlich,
daß die Gemeinden und die Gemeindemitglieder
die Kosten aufbrachten.

Wir befinden uns heute diesbezüglich in einer Umbruchssituation:
Die FDP wird es voraussichtlich nicht mehr nötig haben,
die Kirchensteuer bei uns abzuschaffen.
Durch eine Steuerpolitik, die mehr und mehr auf indirekte Steuern setzt
und die direkten Steuern rapide herunterfährt,
wird die Kirchensteuer „auf kaltem Wege" bedeutungslos -
und das unabhängig davon,
welcher Couleur die jeweilige Regierung ist.

Wir werden also in Zukunft noch mehr als bisher angewiesen sein
auf Beiträge und Spenden,
die Kirchenmitglieder aus dem Bewußtsein der Mitverantwortung
freiwillig geben.
Bei uns in St.Michael ist der Haushalt schon jetzt
nur noch zu 23 % durch Mittel der Kirchensteuer gedeckt.
Zusätzlich werden allerdings die Personalkosten
im Wesentlichen noch aus der Kirchensteuer bezahlt.
Auch das wird wahrscheinlich nicht mehr lange so bleiben.
Dieser Tage wurde berichtet,
daß eine Gemeinde unseres Bistums
die Gemeindereferentin bereits aus Spenden bezahlt.
Wir selbst tragen schon lange die Kosten
für den Leiter des Mittagstisches aus Spendenmitteln.

Das Ressourcenproblem, das Jesus damals hatte
im Blick auf „Arbeiter für die Ernte",
ist heute also auch ein finanzielles Problem.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen,
daß wir alle sowohl durch unser ehrenamtliches Engagement,
als auch durch unsere Beiträge und Spenden
mitverantwortlich sind für genügend „ErntearbeiterInnen".
Es muß auch wieder mehr ins Bewußtsein rücken,
daß auch diejenigen mitverantwortlich sind,
die - aus welchen Gründen auch immer -
keine oder nur sehr geringe Kirchensteuern zahlen.

Jesus geht das Ressourcenproblem Seiner Zeit
sehr optimistisch an:
Er beauftragt einfach die wenigen, die Er hat,
und hat doch zunächst ganz Israel
und nach Ostern dann die ganze Welt im Blick.
Aus diesem bescheidenen Anfang
ist immerhin die heutige Weltkirche
und das weltweite Christentum gewachsen.

Unser Ressourcenproblem ist - trotz mancher Schwierigkeiten -
weitaus geringer als das zur Zeit Jesu.
Dementsprechend sollten wir unser Klagen einstellen
und vielmehr mit jenem Optimismus in die Zukunft schauen,
von dem Jesus erfüllt war -
im Vertrauen auf die Kraft der Botschaft vom Reich Gottes.

Amen.