Predigt zum 60. Todestag der hl. Edith Stein 
Dieser Todestag war am 9. August 1942 in Auschwitz. Am Sonntag, dem 11. August 2002, haben wir dieses Tages in der Abendmesse gedacht. 
Die Predigt hielt Dr. Mary Heidhues.
Die Schrifttexte der Messe: Est. 4, 17k-m.r-t und Joh. 4, 19-24.
Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden…(Joh 4,22) Gott anbeten, im Geist und in der Wahrheit.

Das Evangelium, dass Sie gerade hörten, ist bestimmt für das Fest der Heiligen Edith Stein, Schwester Theresia Benedicta vom Kreuz. Die meisten von Ihnen verbinden bereits etwas mit der Figur dieser Frau: Jüdin, Studentin in Breslau, Göttingen und Freiburg, Konvertitin, Karmelitin in Köln, in Auschwitz ermordet. Ihr Tod fand am 9. August vor 60 Jahre statt. Ich darf hier und heute etwas von ihrem Leben erzählen.

Geboren 1891 wuchs Edith Stein in einem gläubigen jüdischen Elternhaus in Breslau, heute Wroclaw in Polen, auf. Im Alter von vierzehn Jahren legte sie den Glauben ihrer Eltern ab. Sie schreibt: "Ich habe mir auch das Beten ganz bewusst und aus freiem Entschluss abgewöhnt." Äußerlich vollzog sie noch die Riten, innerlich waren sie für sie ohne Bedeutung.

Dennoch war Edith nicht nur eine begabte Schülerin, sondern eine Sucherin. Mit zwanzig begab sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, wie sie sagt, zunächst an der Universität Breslau, wo sie ihr Studium begann. Später schrieb sie, "Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott..."

Während des Breslauer Studiums lernte sie die Schriften des Göttinger Professors Edmund Husserl kennen. Kurzerhand beschloss sie, in Göttingen seine Philosophie, Phänomenologie zu studieren. Es gehörte wesentlich zu dieser Lehre, dass man alles vorurteilsfrei betrachte. 

Im April 1913 kam sie in Göttingen an. "Ich war 21 Jahre alt und voller Erwartung dessen, was nun kommen sollte." Edith war begeistert von der Stadt, von der Universität, von der Konditorei in der Weender Straße und vor allem von den Menschen, die sie hier kennen lernte. Unter ihren fand sie überzeugte Katholiken und bewusste Christen, unter ihnen der junge Dozent Adolf Reinach und seine Frau Anne. (Adolf Reinach und seine Frau wurden erst 1916 lutherisch getauft; später konvertierte Anne Reinach zum katholischen Glauben.)

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges trübte die schöne Atmosphäre unter den Philosophen. Edith war ihrem "Meister," wie sie Professor Husserl nannten, nach Freiburg gefolgt, als die Nachricht eintraf, dass ihr guter Freund, Adolf Reinach, an der Front gefallen war. Edith reiste nach Göttingen, um der jungen Witwe zu kondolieren. Es war aber Anne, die Edith aus der Kraft ihres christlichen Glaubens tröstete. Dank Anne Reinach konnte Edith, nach ihren Worten, sich mehr und mehr "zu einem positiven Christentum" durchringen. Bei ihrem letzten Besuch in Göttingen im Jahre 1921 sah sie sich vor "der größten Entscheidung meines Lebens." Der Samen, in Göttingen eingepflanzt, ging auf, als sie die Autobiographie der Heiligen Teresa von Avila las. Edith ließ sich bald taufen, wurde Katholiken. 

Ihr Weg führte sie nach Speyer, wo sie jahrelang an Mädchenschule und Lehrerinnen-Seminar der Dominikanerinnen unterrichtete. Daneben entstanden wissenschaftlichen Arbeiten, Vorträge und viele, viele lesenswerte Briefe an Freunde und Bekannten. Edith fand auch ihren Platz in der Kapelle der Schwestern, schloss sich ihnen im Gebet an.

1932 kam ein Ruf nach Münster, wo sie an einem pädagogischen Institut arbeitete. Kurz nach Hitlers Machtergreifung, kaum ein Jahr später, erteilten die Nazis allen Juden, auch Edith Stein, Lehrverbot. Ihren weiteren Weg fand sie im Gebet. "Ich sprach mit dem Heiland und sagte ihm, ich wüsste, dass es sein Kreuz sei, das jetzt auf das jüdische Volk gelegt würde…. Ich wollte [es bereitwillig auf mich nehmen], er sollte mir nur zeigen, wie."

Ediths lang gehegter Wunsch war es, Karmelitin zu werden. Sie konnte ihn jetzt erfüllen. Im selben Jahr, 1933, trat sie in den Kölner Karmel ein, nahm den Ordensnahmen Theresia Benedicta a Cruce, die vom Kreuz gesegnete, an. Nach der Reichspogromnacht 1938 siedelte sie - die Schwestern hofften, sie in Sicherheit zu bringen - in den Karmel in Echt in den Niederlanden über. Es sollte aber keine sichere Zuflucht sein. 

Edith verstand ihre Berufung nicht als Flucht vor den Gefahren, noch als Verleugnung ihres Judentums. Sie vertiefte gerade ihr Verständnis für jüdische Traditionen in dieser Zeit. Sie verstand ihre Berufung nach dem Vorbild des Propheten Elija, der Sage nach Gründer des Karmel-Ordens, der vor Gott stand und für das Volk betete. Ihr besonderes Vorbild aber war die Königin Ester, die für das Volk plädierte. "Ich bin eine sehr arme und ohnmächtige kleine Ester, aber der König, der mich erwählt hat, ist unendlich groß und barmherzig."

"Wer Christus angehört, der muss das ganze Christusleben durchleben; er muss einmal den Kreuzweg antreten, nach Gethsemani und Golgatha."

Im Jahre 1940 besetzten deutschen Truppen die Niederlande. 1942 begannen Verhaftungen der Juden, im Sommer führte der erste Transport nach Auschwitz. Die niederländischen Bischöfe, mit anderen christlichen Kirchen, protestierten im Juli gegen die Misshandlung ihrer jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen. Anfang August 1942 wurden alle katholisch getauften Juden verhaftet, auch Edith Stein und ihre Schwester Rosa, die inzwischen in Holland lebte, als Vergeltungsmaßnahme für die Aktion der Bischöfe. Sie kamen für einige Tage im Lager Westerbork unter. Edith gelang es, aus dem Lager ein Schreiben an den Karmel zu senden. Darin steht, "konnte bisher herrlich beten."

„..um deinetwillen werden wir getötet Tag für Tag, behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat" - so heißt es im Psalm 44, 23. Am 7. August verließ ein Zug mit fast ein tausend Gefangenen, darunter die katholisch getauften Juden, die Niederlande in Richtung Osten. Er kam am Abend des 8. August im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an; die meisten Insassen, auch Edith und Rosa Stein, wurden sofort zu den Gaskammern geschickt. 

"…wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat." Paulus zitiert diesen Vers und schreibt dazu: "Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, Weder Tod noch leben, weder Engel noch Mächte…können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." (Röm 8, 36-39)

Vor zwei Tage stand ich in Auschwitz-Birkenau, wo Edith Stein, ihre Schwester, ihre Gefährten und Gefährtinnen und so viele Hunderttausende andere Menschen ermordet wurden. An diesem Ort des Unfriedens und der Unmenschlichkeit fand ein Gebet von Polen und Deutschen, darunter unser Bischof Josef Homeyer, für Frieden und Versöhnung in der Welt - zur Ehren Edith Steins - statt. Auschwitz ist Kreuz und Tod, aber auch Überwindung.

"Mein Leben war ein einziges Gebet."
Wir Katholiken haben so viele Heiligen. Was kann Edith Stein noch hinzufügen? Ein Vorschlag: Wir verehren in Franziskus seine Liebe zur Schöpfung, zur Armut und zum Frieden. Den heiligen Antonius rufen wir an, wenn etwas verloren geht. In ihrem Lebenszeugnis kann Edith Stein uns heute etwas sagen, sie kann unsere Fürsprecherin sein beim abhanden gekommenen Glauben, damit wir und andere den verlorenen Schlüssel zum Glauben und zum Gebet wieder finden.

Heilige Edith Stein, Schwester Benedicta vom Kreuz, bitte für uns.