Predigt zum Christkönigsfest 
am 24. November 2002
Lesung: Kol. 1, 15-20;
Evangelium: Mt. 25, 31-46
Christus Pantokrator (Buchmalerei um 1130)
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Dieses Fest zum Ausklang des Jahreskreises
hat mehrere Dimensionen.

Das Evangelium konfrontiert uns
mit einer eschatologischen Dimension:
Mit dem König, der zum Weltgericht wiederkommt,
vor dem jeder Mensch sich wird verantworten müssen.
Die Maßstäbe verschwimmen nicht
in einem undurchdringlichen Dschungel von Paragraphen;
sie sind vielmehr glasklar
und orientieren sich daran,
wie sehr wir uns den Armen und Ausgegrenzten zuwenden
- übrigens auch den Drogenabhängigen!
Das sei vermerkt an die Adresse
des Göttinger Polizeichefs. -

Eine weitere eschatologische Dimension dieses Festes
ist die Vision von der Vollendung dieser Welt in Fülle.
Diese Vision übersteigt all unsere Vorstellungen
und wird uns deshalb biblisch präsentiert in Bildern:
Z.B. im Bild der neuen Stadt Jerusalem,
die von Gott her aus dem Himmel herabkommt;
oder im Bild von einem neuen Himmel und einer neuen Erde.
Da wird Gott selbst alle Tränen
von den Augen der Notleidenden abwischen.
Da wird kein Tod mehr sein,
keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.
Und so unwahrscheinlich es klingt:
Das alles hat nichts zu tun mit leeren Wahlversprechen,
mit denen unsere Politiker Wähler für dumm verkaufen.
Das alles ist vielmehr unumstößliche Verheißung Gottes,
für die Er, der die Wahrheit und die Liebe schlechthin ist,
bedingungslos einsteht.

Die eschatologische Dimension des Christkönigsfestes
nimmt die Zukunft - unsere Zukunft - in den Blick.
Die Lesung aus dem Kolosserbrief dagegen
überwindet mit ihrer kosmologischen Dimension
schlechthin alle Grenzen von Raum und Zeit.
Das entspricht der Sehnsucht von Menschen aller Zeiten.
Um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit
entstand ein Holzschnitt,
der einen „modernen" Wissenschaftler zeigt,
wie er mit seinem Kopf das Himmelsgewölbe durchbricht,
und das komplizierte Räderwerk zu verstehen sucht,
das den Kosmos dieser Welt in Bewegung hält.

Bei allen faszinierenden Fortschritten,
die die Kosmologie und die Naturwissenschaften überhaupt
seitdem gemacht haben -
letztendlich ist dieser Kosmos bis auf den heutigen Tag
ein großes Geheimnis geblieben.

Dennoch versuchen Menschen,
sich als Herren des Kosmos aufzuspielen.
So begrenzt auch der Bereich ist,
in den sie vordringen können -
diesen kleinen Bereich jedoch
versuchen sie ihrer Machtzu unterwerfen,
nutzen ihn daher militärisch
als Basis für ihre Spiongage
und möglichst auch als Abschußrampe
für ihre todbringenden Waffen.
Und nicht zuletzt hinterlassen sie
- chaotisch wie sie sind -
im Kosmos ihren ganzen Schrott und Müll.

Viel unmittelbarer und realistischer (!)
ist dem Geheimnis des Kosmos auf der Spur
jener unbekannte mittelalterliche Künstler,


von dem diese herrliche Buchmalerei stammt.
Sie stellt den wahren Herrn des Kosmos dar,
Christus, den König, den Pantokrator,
den Herrscher über das All - jenseits von Raum und Zeit.

Voller Symbole steckt dieses Bild:
Der blaue Hintergrund deutet jenen Aspekt des Kosmos an,
der - obwohl grundsätzlich unserer Erfahrung zugänglich -
immer noch ein staunenswertes Geheimnis ist.

Der goldene Hintergrund innerhalb der herrscherlichen Mandorla dagegen
weist diesen Kosmos zugleich als „göttlichen Bereich" aus,
vor dem es gilt,
in jener Ehrfurcht niederzuknieen,
die uns Heutigen gar zu oft abgeht.

Der König thront auf dem Regenbogen,
der seit Noahs Zeiten zum Symbol
der Versöhnung geworden ist.
Es geht um Versöhnung
zwischen erschaffener und unerschaffener Wirklichkeit,
um Versöhnung zwischen Himmel und Erde,
zwischen Schöpfer und Geschöpf,
zwischen Mensch und Kosmos,
zwischen Gott und Mensch
und auch zwischen den Menschen untereinander.

Allein dieser Regenbogen macht Abgründe sichtbar
zwischen dem Herrn des Kosmos, dem Christkönig
und den Möchte-gern-Herren unserer Welt
von Saddam-Hussein bis Georg W. Bush.
Sehr zutreffend hat Jesus einmal gesagt:
„Ihr wißt, daß die Herrscher ihre Völker unterdrücken
und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen mißbrauchen.
Bei euch soll es nicht so sein!"
Denn ihr dürft leben unter dem Zeichen des Regenbogens,
unter dem Zeichen jener Versöhnung, die Gott euch schenkt.

Das Zepter des Königs Christus ist der Kreuzstab.
Der gibt sozusagen die Tonart an
für die Melodie Seiner Herrschaft.
Diese Herrschaft ist durch und durch geprägt
durch jene Solidarität mit allen Leidenden,
die ihre Zuwendung durchhält bis ans Kreuz.

Und wenn Sie genau hinschauen,
entdecken Sie als Knauf des Zepters ein Lamm.
Dieser König wird in Seiner Glaubwürdigkeit 
ausgewiesen durch die Tatsache,
daß Er sich für die Seinen
wie ein Lamm zur Schlachtbank führen ließ.
Allein schon dadurch unterscheidet Er sich grundlegend
von den Herrschern dieser Welt,
denen es zunächst um ihre eigenen Interessen
und um die Interessen ihrer Klientel geht 
(z.B. um das Öl im Irak).
Sie werden immer wieder versuchen,
ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen
- von wegen Opferlamm! -
und auf jeden Fall ihr eigenes Fell zu retten.

In der linken Hand hält der König
das Buch jener frohen Botschaft,
die - anders als noch so viele Kommissionen -
allein sinnstiftende und zukunftsweisende Orientierung geben kann -
für das Leben des Einzelnen so gut
wie für die Gestaltung von Gesellschaft.

Die Herrschaft dieses Königs ist
für den gesamten Kosmos, für alle Völker
und für jeden von uns ein Segen.
Das meint die zum Segen erhobene Hand.

In altüberlieferter Symbolsprache
steht der „Schemel seiner Füße"
für unsere Erde
und das Scheibenkreuz hinter Seinem Haupt
für die Weite und Breite,
für die Höhe und Tiefe des Alls.
Mit dieser unbegrenzten Spannweite
der Herrschaft Jesu Christi, des Königs der Welt,
möchte ich diese Betrachtung abschließen.

Wir alle - und gerade auch diejenigen,
die hier die Macht haben in Wirtschaft und Politik -
tun gut daran,
uns Seiner gerechten und zugleich barmherzigen 
Herrschaft unterzuordnen,
denn wir alle stehen unter Seinem Gericht.

Amen.