Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (A) 
am 7. Juli 2002
Lesung: Sach. 9, 9-10; Evangelium: Mt. 11, 25-30; 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Es heißt, wir sollten uns keine Bilder machen -
weder von Gott noch von einem Menschen.
Dennoch tun wir es immer wieder,
weil wir sinnenhafte Wesen sind
und mit reinen Abstraktionen nicht leben können.

Wichtig jedoch ist,
daß wir einen Menschen nicht in unsere Bilder
wie in „Schubladen" einsperren.
Jeder Mensch ist mehr als das,
was unsere Bilder von ihm wiedergeben.

Wichtig ist, daß unsere Bilder nicht erstarren,
daß sie lebendig bleiben
und offen für Veränderungen
und für neue Entdeckungen.

Das ist erst recht wichtig für Bilder,
die wir von Jesus Christus in uns tragen.
Er ist sozusagen das „Urbild" des Menschen schlechthin,
nach dessen „Bild und Gleichnis" wir alle geschaffen sind.
Die Bilder, die wir von Ihm haben,
sind zugleich Orientierungsmaßstäbe,
die uns helfen, selbst mehr und mehr
wirklich zu Menschen zu werden.

Nun vermitteln uns die Lesungen dieses Sonntags
einige charakteristische Pinselstriche
für unser Bild von Jesus Christus.
Da ist zunächst einmal der Hinweis auf das,
was ich kurz zu den „Bildern" überhaupt gesagt habe:
In diesem Menschen Jesus von Nazareth
spiegelt sich das „Bild" des unendlichen Gottes:
„Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden."
Deshalb sprengt das Bild Jesu Christi grundsätzlich
all unsere begrenzten Vorstellungen von Ihm.
„Niemand kennt den Sohn, nur der Vater,
und niemand kennt den Vater, nur der Sohn
und der, dem es der Sohn offenbaren will" -
und nur in dem Maße, in dem der Sohn es offenbart,
und in dem wir selbst für diese Offenbarung offen sind.

Vor allem aber entdecken wir im Bild, 
das das heutige Evangelium von Jesus malt,
sehr zarte Pinselstriche, die Ihn
- obwohl oder gerade weil er die Offenbarung Gottes selbst ist -
ganz bescheiden und demütig, 
als einen Freund der Kleinen und „Unmündigen" zeigen,
als jemanden, der Lasten abnimmt,
anstatt Lasten aufzubürden,
als jemanden, bei dem wir in aller Mühe und Hektik unseres Alltags
einfach Ruhe finden und aufatmen können.

Vielleicht sind solche Züge im Jesusbild
gerade deshalb so bemerkenswert,
weil sie so weit abweichen
vom idealen Menschenbild unserer Umgebung.

Nicht die Superklugen, 
nicht die in der Pisastudie Hochgepriesenen,
nicht die Leistungsstarken und Einflußreichen
hat Jesus vor allem im Blick;
und noch viel weniger geht sein Streben dahin,
sich mit ihnen auf eine Stufe zu stellen.

Vielmehr gilt Seine Zuneigung den Schwachen und Kleinen.
Und diese Wertschätzung unterstreicht Er
durch den feierlichen Lobpreis:
„Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde."

Auch der zweite Teil des Evangeliums
unterstreicht die Liebe zu den Kleinen.
Da ist vom „Joch" Jesu die Rede.
Natürlich ist diese Rede zu verstehen
im Vergleich zu dem „Joch",
das andere auferlegen:
Damals war es das Joch der Pharisäer,
das unzählige Gebote und Vorschriften bereit hielt,
die das Leben schwer machten.
Oder das Joch der römischen Besatzungsmacht,
die durch ihre Steuereinnehmer die Menschen aussaugte.
Heute mögen Sie selbst beurteilen,
an welchem Joch Menschen sich wundscheuern.
Vor allem sollten Sie dabei an Menschen
in den weniger entwickelten Ländern denken,
die nicht nur bedrückt werden
vom Joch ihrer diktatorischen oder korrupten Regierungen,
sondern auch durch Handelsschranken der Reichen in der Welt
oder durch die Daumenschrauben des Weltwährungsfonds.

Demgegenüber legt Jesus Wert darauf,
daß Sein Joch leicht ist,
und daß es Ihm darum gehe,
Menschen ihre Lasten leicht zu machen oder gar abzunehmen.
Wenn es nach Jesus geht,
muß niemand unter unerträglichen Lasten stöhnen.
Ruhe und der aufrechte Gang sind Seine Verheißung
an Menschen, die Ihm vertrauen:
„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt
und schwere Lasten zu tragen habt.
Ich werde euch Ruhe verschaffen...
Lernt von mir!
Denn ich bin gütig und von Herzen demütig."

Ich halte dafür,
daß dieses Evangelium uns jetzt schon 
- zweiundeinhalb Monate vor der Bundestagswahl -
ein wichtiges Kriterium für die Wahl an die Hand gibt:
Achten Sie mal darauf,
welche Parteien und welche Kandidaten
im Blick auf die Armen und Ausgegrenzten unserer Gesllschaft
glaubwürdig sagen können:
„Kommt alle zu uns, die ihr euch plagt
und schwere Lasten zu tragen habt.
Wir werden euch Ruhe verschaffen.
Wählt unser Joch und folgt unserer Politik;
denn wir sind gütig und von Herzen demütig.
Unser Joch drückt nicht, und unsere Last ist leicht."

In das Bild Jesu, das unser Evangelium heute enwirft,
paßt nahtlos das Bild des Friedenskönigs des Propheten Sacharja.
Auch dessen Bild sollte ein wichtiges Kriterium
bei der Wahl zum nächsten Bundestag sein:
Welcher Politiker kann schon glaubhaft versichern,
er sei gerecht und helfe den Menschen wirklich?

Und wer von ihnen ist schon demütig
und reitet auf einem (Draht-) Esel,
statt hoch zu Roß -
will heute sagen: im steuerfinanzierten Benz
oder mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr -
daherzukommen?

Und wessen Politik ist schon darauf ausgerichtet,
„die Streitwagen aus Efraim"
will sagen: die Panzer und High-Tech-Waffen unserer Zeit
zu vernichten und also ernsthaft abzurüsten?

Wenn die Vision des Friedenskönigs in Jesus zur Erfüllung kommt,
und Seine Botschaft lautet:
Ich verkünde für die Völker den Frieden -
dann muß es für Christen bis auf den heutigen Tag
darum gehen, diese Botschaft umzusetzen:
Tag für Tag in unserer persönlichen Umwelt;
wo es irgend möglich ist, 
auch durch demokratisch-politisches Engagement;
und auf jeden Fall durch unser Kreuzchen
auf dem Stimmzettel am 22. September.

Amen.