Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis (A) 
am 23. Juni 2002
Evangelium: Mt. 10, 26 - 33. 
Autor: P.Heribert Graab S.J. 
(teilweise nach Anregungen von Wilhelm Benning in "Gottes Volk" 5/2002)
„Fürchtet euch nicht!"
Erinnern Sie sich?
Vor ziemlich genau einem halben Jahr,
in der Weihnachtsnacht 
haben wir dieses Wort schon einmal gehört:
Als Botschaft der Engel an die Hirten:
„Fürchtet euch nicht!
Denn heute ist euch der Retter geboren."
Und dann noch einmal auf dem Höhepunkt des Kirchenjahres,
in der Osternacht, 
als Botschaft an die Frauen, die zum Grab gekommen waren:
„Fürchtet euch nicht!
Der, den ihr sucht,
er ist nicht hier,
er wurde auferweckt."

Und nun also 
- an einem ganz „normalen" Sonntag des Kirchenjahres -
hören wir dieses Wort aus dem Munde Jesu selbst -
und das gleich dreimal.
„Muß man dir denn alles dreimal sagen?!"
Das mußte ich mir hier und da von meiner Mutter anhören,
wenn ich aus irgend einem Grunde „auf den Ohren saß".
Sie kennen das wahrscheinlich.

Jesus sagt uns also in wenigen Textzeilen
gleich dreimal mit zunehmender Dringlichkeit:
„Fürchtet euch nicht!"
Er sagt es heute in eine Zeit hinein,
die unter vieler Rücksicht von Angst geprägt ist:

• Seit dem 11. September sind Menschen rund um den Globus von Angst erfüllt.
Vieles in der Politik seit dem 11. September ist von Angst diktiert.
In diesen Sommermonaten verzichten viele Urlauber
auf einen Flug in die Ferien,
weil sie Angst haben.

• Nach den vielen Skandalen in der Land- und Futtermittelwirtschaft
lassen sich nicht wenige von uns ihren Appetit verderben
durch Angst vor Krankheit.
Der Krebs zumal ist zu einer Geißel der Angst geworden.

• Die Angst vor dem Tod belastet Menschen;
fast mehr noch aber die Angst vor dem Leben. 
Zumal Jugendliche fliehen in Scheinwelten
oder gar in den Tod
aus Angst, dem Leben nicht gewachsen zu sein.

• Angst macht krank.
Angst selbst ist zu einer Krankheit geworden.
Psychiater und Psychotherapeuten,
Kliniken und Landeskrankenhäuser
erleben einen Ansturm von Angstpatienten.

• Und dann ist da noch die Angst,
für etwas einzustehen, 
das man für richtig, wichtig und wertvoll hält.

Von dieser Angst wurde Jeremia
immer und immer wieder umgetrieben.
Und viele andere der Propheten,
die - wie Jona - vor Gottes Auftrag und Sendung flohen.

Diese Angst lähmt nicht zuletzt viele Christen:
Damals schon die Jünger Jesu,
an deren Adresse sich die Worte Jesu zunächst richten.
Dann aber auch die Gemeinde des Matthäus,
der vor allem dieser Evangelist die Worte Jesu
sozusagen in Hirn und Herz einbrennt.
Und schließlich lähmt diese Angst,
für unseren Glauben an Christus und sein Evangelium einzustehen,
auch uns selbst:
Wir bewahren den Glauben lieber im stillen Kämmerlein,
als ihn „von den Dächern" zu rufen.
Die Angst, verspottet oder auch nur belächelt zu werden,
hindert uns sogar daran,
in der Öffentlichkeit - etwa bei Tisch in einem Restaurant
das Kreuzeichen zu machen und zu beten. 

Es geht immer und immer wieder um die Angst
vor einem Verlust:
Vor dem Verlust der Anerkennung durch die Mitmenschen,
vor dem Verlust der Liebe von Eltern, Freunden und Lebenspartnern,
vor dem Verlust von Gesundheit und Lebensfreude,
vor dem Verlust tragender Fundamente des Lebens
oder gar vor dem Verlust des Lebens selbst.

Auf diesem Hintergrund also ist auch uns gesagt:
„Fürchtet euch nicht!"
Und das ist weder ein billiger Trost,
noch eine oberflächliche Mutmachparole.
Da redet keiner von einer Idylle
oder von heiler Welt.
In der Jesusrede ist durchaus von Verfolgung und Tod die Rede.
Er selbst weiß darum,
welches Gewitter sich über ihm zusammenbraut.
Und Matthäus zitiert die Worte Jesu in einer Zeit,
da die Großwetterlage für die junge Kirche 
alles andere als rosig ist.
Denen stand damals der Wind ins Gesicht,
so wie er wirklich glaubenden Menschen,
die auch zu ihrem Glauben stehen,
heute ins Gesicht bläst.

Jesu Wort ist vielmehr eine Zusage von Gott,
eine Zusage, die dem Grundtenor der biblischen Botschaft entspricht.
Jesu Wort ist die Botschaft seines ganzen Lebens,
die ihren Ausdruck schon in seinem Namen findet:
„Gott rettet!"

In diesem Wort Jesu,
das durch die Ostererfahrung ratifiziert ist,
steckt eine ungeheure Kraft -
gegenüber der alles verblaßt 
und wie Windhauch erscheint,
was uns heute von Politikern und Werbefachleuten
als Trost, Beruhigung oder Absicherung aufgetischt wird -
sei es ein „todsicheres" Aktienpaket,
sei es die Riesterrente,
sei es diese oder jene Versicherung,
oder seien es „die Steine, auf die sie bauen können".

Hier geht es um eine „Himmelsbotschaft",
die Licht in unser Leben bringt,
die unser Leben zum Blühen bringen kann.
Mit dem vertrauensvollen Doppelbild
vom Spatzen, der selbst, wenn er vom Himmel fällt und stirbt,
in Gottes bergende Hände fällt,
und von den Haaren auf unserem Kopf
- selbst die sind unserem Vater im Himmel nicht gleichgültig -
mit diesen Bildern stellt Jesus sein Wort
„Fürchtet euch nicht!"
in den umfassenden Kontext der unbesiegbaren Liebe Gottes.

Darauf kann ich mich verlassen.
Das läßt mich aufleben:
Es gibt etwas,
jenseits aller Ängste und Nöte,
jenseits aller Gefährdungen und Befürchtungen,
jenseits aller Sorge und alles Dunklen -
es gibt etwas,
auf das ich mich unbedingt,
ohne Bedingungen, bedingungslos
verlassen kann:
Eben diese sorgende Liebe des Vaters.

Darauf kann ich uneingeschränkt vertrauen.
Und aus der Kraft dieses Vertrauens
kann ich aufrecht gehen,
kann ich mich selbstbewußt zu Jesus Christus und seiner Botschaft bekennen.
Es gibt nichts Hilfreicheres, nichts Befreienderes,
das je ein Mensch einem anderen Menschen sagen könnte.
Amen.