Predigt zum 6. Sonntag in der Osterzeit (C) am 16. Mai 2004
Lesung: Apg. 15, 1-29
Evangelium: Joh. 14, 23-29
Autor: P.Heribert Graab S.J.
 Haben Sie sich schon mal über die Kirche geärgert?
 Ich selbst gestehe: Ich ärgere mich immer wieder.
 Es gibt genug Gründe dafür!

 Andererseits jedoch ist es sehr merkwürdig,
 daß so ein Ärger überhaupt aufkommen kann:
 Jesus selbst hat hervorragende Fundamente gelegt für eine Kirche,
 in der es eigentlich keinen Ärger geben dürfte.
 Und dann hat Er der Kirche zusätzlich noch
 - wir haben es soeben im Evangelium gehört -
 den Heiligen Geist als Beistand gesandt,
 so daß eigentlich nichts mehr schief gehen sollte.

 Tut es aber doch!
 Die Realität von Kirche sieht oft ganz anders aus,
 als man das aus der Perspektive des Evangeliums erwarten würde.
 Warum?
 Wir haben natürlich eine Erklärung dafür:
 Die Kirche ist nicht nur ein Geschenk Gottes;
 sie ist zugleich auch die Kirche von konkreten Menschen,
 die ihr ihren Stempel aufdrücken.
 Und dieser Stempel prägt ja unsere ganze Gesellschaft.
 Gott aber nimmt die Menschen in ihrer Freiheit ernst,
 obwohl sie immer wieder Ärger produzieren.

 Ja, und damit ist der „schwarze Peter" bei uns.
 Und wir reichen ihn untereinander munter weiter.
 Die Lesung aus der Apostelgeschichte zeigt uns allerdings,
 wie man in der Kirche auch anders mit Konflikten umgehen
 und Ärger vermeiden kann.

 Der frühen Christenheit stellte sich
 eine damals hochbrisante und konfliktträchtige Frage:
 Kann man Christin sein oder Christ,
 auch ohne die jüdischen Gesetze zu halten?
 Noch kam eine Mehrheit derer, die Jesus Christus nachfolgten,
 aus dem Judentum.
 Dort waren sie groß geworden.
 Dort waren sie zu Hause -
 wie Jesus selbst in den jüdischen Traditionen Seines Volkes 
 zu Hause war.

 Aber schon bald schlossen sich immer mehr Nichtjuden
 der neu entstehenden Gemeinschaft an.
 Wie sollte man mit diesen „Heiden" umgehen?
 Gehörte das Jüdische konstitutiv zum Christentum dazu?
 Oder sollte man den eigenen „Stallgeruch" 
 der jüdischen Herkunft ablegen
 und eigene Wege gehen -
 sich also von jüdischen Gesetzen, Traditionen
 und Lebensvorstellungen trennen?

 Mußte sich zum Beispiel ein nichtjüdischer,
 also nichtbeschnittener Mann beschneiden lassen,
 um zur christlichen Taufe überhaupt zugelassen zu werden?

 In solchen und ähnlichen Fragen geriet man sich 
 - nicht nur in Antiochia -
 heftig in die Wolle:
 Ärger war angesagt.

 Um eine Lösung des Problems zu finden,
 beschritt man einen Weg,
 der uns katholischen Christen
 bis auf den heutigen Tag sehr vertraut ist:
 Man fragte in Jerusalem nach - bei der „Kirchenleitung" also -
 etwa so, wie viele Katholiken und auch katholische Ortskirchen heute
 „Römerbriefe" schreiben.
 Eine interessante Parallele also!

 Allerdings: Die Antwort aus Jerusalem
 unterscheidet sich erheblich von so mancher Antwort aus Rom.
 Nehmen wir als eklatantes Beispiel
 die neueste Liturgie-Instruktion der Gottesdienstkongregation:

 • Die Apostel in Jerusalem fragten sich zuerst einmal:
 In welche Richtung geht 
 - Tradition hin, Tradition her -
 das Wirken des Geistes Gottes?
 Petrus formuliert in einer großartigen Rede das Ergebnis:
 „Gott selbst hat schon längst die Entscheidung getroffen,
 indem Er Heiden nur auf Grund ihres Glaubens
 mit der Gabe des Geistes erfüllte."

 „Rom" dagegen geht in einer Art von Kleinglauben
 erst garnicht davon aus,
 daß überall in der Kirche Jesu Christi
 Gottes Geist wehen könnte.

 • Die Entscheidung des sogenannten „Apostelkonzils"
 favorisiert die „Freiheit des Christenmenschen":
 Ausschlaggebend ist ein lebendiger Glaube an Jesus Christus!
 Nur dieser Glaube - und der allein! -
 ist die Voraussetzung des Christseins.
 Den „Heiden" werden also keine legalistischen Lasten
 - wie etwa die traditionelle Beschneidung -
 auf die Schultern gepackt.

 „Rom" dagegen pocht auf Tradition und Gesetz
 und erläßt - teilweise bis in kleinste Details hinein -
 verpflichtende Normen.

 • Das sogenannte „Aposteldekret" der heutigen Lesung
 appelliert an die liebevolle Rücksichtnahme auch auf diejenigen,
 die in jüdischen Traditionen tief verwurzelt sind,
 und die diese Traditionen deshalb nicht aufgeben möchten
 und auch nicht aufgeben können.
 Die Heidenchristen sollten dementsprechend
 wenigstens das vermeiden,
 was judenchristliches Empfinden zutiefst verletzen würde.
 Sie sollten den Judenchristen also kein Ärgernis geben,
 damit auch bei zunehmendem Pluralismus in den Gemeinden
 eine geschwisterliche Tischgemeinschaft
 bei der Feier der Eucharistie möglich bliebe.

 Im gleichen Sinne hat Paulus etwas später 
 in einer ganz ähnlichen Frage an die Gemeinde in Rom geschrieben: 
 „Nehmt den an, der im Glauben schwach ist...
 Der eine glaubt, alles essen zu dürfen, 
 der Schwache aber ißt kein Fleisch.
 Wer Fleisch ißt, verachte den nicht, der es nicht ißt;
 wer kein Fleisch ißt, richte den nicht, der es ißt. 
 Denn Gott hat ihn angenommen." (Röm. 14, 1-3)
 Es geht also nicht um Glaubensfragen,
 sondern ganz einfach um die Liebe
 und um die Rücksicht der „Starken"
 - d.h. der im Glauben „Freien" -
 auf die „Schwachen".

 Ganz anders der Tenor der römischen Instructio:
 Diese Instructio stilisiert ausgerechnet die „Schwachen" hoch
 zum „gläubigen Volk", in dem allein sich Gottes Geist ausdrückt.
 Aus der geschwisterlichen Rücksichtnahme auf die „Schwachen"
 wird also in Umkehrung des Aposteldekretes
 eine autoritäre Dominanz gerade der „Schwachen".
 Der Pluralismus, der spätestens seit dem Apostelkonzil 
 in der Kirche selbstverständlich ist,
 wird durch die Instructio ausgebremst.

 Nun möchte ich nicht den Eindruck erwecken,
 ich wollte den „schwarzen Peter",
 von dem ich zu Beginn gesprochen habe,
 einfach nach „Rom" wegschieben.
 Zur Entschuldigung der „Römer" ist zu sagen,
 daß sie vor allem aus den konservativen Kreisen der Kirche
 ganze Berge von ängstlichen, klagenden
 und auch anklagenden Briefen erhalten.
 So entsteht in „Rom" sehr leicht die irrige Auffassung,
 in solchen Briefen artikuliere sich wirklich das „gläubige Volk".

 Suchen wir also den „schwarzen Peter" 
 zunächst einmal bei uns selbst -
 und zwar auf allen Seiten!

 • Ist wirklich bei allem, was wir denken, sagen und tun,
 unser erstes Bemühen,
 in geistlicher und betender Unterscheidung zu klären,
 was der Geist Gottes in der Kirche sagt?

 • Ist denen, die vor allem am Althergebrachten hängen,
 immer klar, daß ein ängstliches Festhalten am Gewohnten
 auch ein Ausdruck von Kleingläubigkeit sein kann?

 • Könnte es sein, daß sie leichtfertig und voreilig
 all denen einen authentischen Glauben absprechen,
 für die Althergebrachtes nicht von gleicher Bedeutung ist?

 • Könnte es sein, daß sie ebenfalls leichtfertig, voreilig 
 und allzu selbstbewußt von vornherein ausschließen,
 Gottes Geist könne auch in dem am Werke sein,
 was sie selbst als „Neuerungen" disqualifizieren?

 • Verwechseln möglicherweise diejenigen von uns,
 denen es um eine Kirche für die „Menschen von heute" geht,
 hier und da den „Geist der Zeit" mit Gottes Geist? 

 • Prüfen sie jeweils hinreichend,
 ob ihre „Anpassungen" an das Verständnis der „Menschen unserer Zeit"
 wirklich den Kern des Glaubens an Jesus Christus wahrt?

 • Und sind wir alle miteinander wirklich 
 um jene Rücksichtnahme und Liebe bemüht,
 die sowohl dem Apostel Paulus,
 als auch dem Apostelkonzil zu Jerusalem am Herzen lagen.?
 Um diese Rücksichtnahme und Liebe untereinander
 geht es übrigens auch im heutigen Evangelium,
 wenn Jesus uns sagt:
 „Frieden hinterlasse ich euch,
 meinen Frieden gebe ich euch;
 nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt,
 gebe ich euch."

 Amen.