Predigt zum sechsten Ostersonntag (B)
am 6. Mai 2018
Evangelium: Joh. 15, 9-17
Autor: P. Heribert Graab SJ
Alle Welt redet von Liebe – wir auch!
Es heißt, man würde am meisten von dem reden,
was man am wenigsten hat.
Das Defizit an erfahrener und gelebter Liebe wäre also eine Erklärung
für den inflationären Gebrauch des Wortes Liebe.
Und vielleicht sind ja auch
die unzähligen Liebesschlösser an der Hohenzollernbrücke
ein Hinweis auf den erfahrenen und befürchteten Mangel
an einer Liebe, die bleibt.

Stille

Jesus lädt uns nun im Evangelium ein,
in Seiner Liebe zu bleiben.
Seine Liebe speist sich aus Gottes Liebe:
Gott ist bleibende Liebe schlechthin;
und Jesus weiß sich mit dem Vater eins.
In Jesus ist Gott selbst Mensch geworden,
hat Gottes Liebe Fleisch angenommen
und ist menschliche Liebe geworden:
„Bleibt in meiner Liebe, wie ich in der Liebe des Vaters bleibe!“

Bleibt in dieser Liebe auch wenn’s mal Mühe kostet,
lebt diese Liebe, pflegt sie, werft sie nicht weg,
wie ihr alles mögliche wegwerft in dieser Wegwerfgesellschaft.
Kinder lernen bei uns - wohlgemerkt: schon im Elternhaus -
Leistung, Noten, Erfolg sind wichtiger als verläßliche Bindungen.
Verläßlichkeit und Treue im Freundeskreis, in einer Jugendgruppe
oder auch im regelmäßigen Dienst z.B. an der kranken Oma
rangieren unter „ferner liefen“.
Bleibende Liebe? Konstante und verläßliche Treue?

Stille

Mir fällt zu diesem Evangelium über Freundschaft und Liebe ein,
was „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry sagt:

    „Die Menschen haben keine Zeit mehr,
    irgend etwas kennenzulernen.
    Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften.
    Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt,
    haben die Leute keine Freunde mehr.“

Kaufen kann man „Knechte“,
Menschen also, die man in Dienst nehmen kann,
die man benutzen kann zum eigenen Vorankommen,
zum eigenen Vorteil und Gewinn.
Saint-Exupéry wäre wahrscheinlich zutiefst erschrocken,
wenn er heute das Ausmaß von Korruption erleben würde.

Jesus aber sagt: Ich möchte euch nicht als Knechte;
ich möchte euch als Freunde!
Und Er sagt auch: Liebt einander, wie ich euch liebe;
pflegt untereinander also eine Liebe wie unter Freunden!
Überlegen wir einen Augenblick in Stille:
Was bedeutet Freundschaft für mich?
Was zeichnet einen wirklichen Freund aus?

Stille

* Ein Freund kennt mich gut
und bemüht sich, mich immer besser kennenzulernen.
* Er freut sich auf die Begegnung mit mir.
* Er begegnet mir auf Augenhöhe.
* Er steht auch in der Not zu mir
und ist zur Stelle, wenn ich Hilfe brauche.
* Der Freund ist immer willkommen – Gastfreundschaft.
* Ein Freund muß nicht immer freundlich sein:
Im Gegenteil: Er gibt auch einmal ehrliche,
bisweilen unliebsame Rückmeldungen
und bringt mich durch konstruktive Kritik im Leben weiter.

All das ist sinngemäß durchaus übertragbar, wenn es
nach den Worten Jesu darum geht, den jeweils „Nächsten“ zu lieben.

Liebe und Freundschaft sind immer ein Geschenk!
Am Anfang steht die Liebe und Freundschaft,
die uns selbst geschenkt ist von Gott durch Jesus Christus.
Wir aber dürfen und sollen diese freundschaftliche Liebe
sowohl erwidern, als auch an andere weitergeben:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen,
mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. 
Das ist das wichtigste und erste Gebot. 
Ebenso wichtig ist das zweite:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt. 22, 37-39)

Stille

Wenn Jesus die Liebe in den Mittelpunkt stellt,
können wir uns damit sehr wohl anfreunden.
Schwierigkeiten haben viele von uns jedoch,
wenn Er Liebe mit einem „Gebot“ koppelt
und heute im Evangelium sogar sagt:
„Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben.“
Oder: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.“

Wenn von Geboten oder gar Verboten die Rede ist,
gehen oft „rote Lampen“ an,
denken wir an von außen auferlegte Vorschriften.
Biblisch ist jedoch eher hilfreiche Wegweisung gemeint.
Und bei Jesus wächst diese Wegweisung gerade aus der Liebe
und aus einer freundschaftlichen Beziehung.

Seine „Gebote halten“ bedeutet also,
sie aus einer freundschaftlichen Grundhaltung heraus bedenken,
sie meditieren, verspüren und sie mit Leben erfüllen.
So können wir in einer gelebten Treue zu Jesus Christus
freundschaftlich, partnerschaftlich daran mitwirken,
daß Gottes Reich, Seine von Liebe geprägte, menschenwürdige Zukunft
mehr und mehr Wirklichkeit wird - in uns selbst,
unter unseren Mitmenschen und in der Welt überhaupt.

Amen.