Predigt zum Dritten Fastensonntag (A)
am 19. März 2017
Lesungen:  Ex. 17, 3-7 und  Röm. 5, 1-2.5-8
Evangelium: Joh. 4, 5-42
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Diese Predigt habe ich ähnlich schon am 3. Fastensonntag 2002 gehalten.
Immer wieder geht es in der Heiligen Schrift
um den Kontrast alter und neuer Wirklichkeit -
um die so oft leidvolle Wirklichkeit dieser Welt auf den einen Seite
und um das verheißene Heil des kommenden Reiches Gottes
auf der anderen Seite.

Für diesen Kontrast stehen nicht selten Symbole:
z.B. das gegensätzliche Symbolpaar Schatten und Licht.
Auch heute geht es in den Lesungen um gegensätzliche Bildworte,
die ebenfalls für die alte und für die neue Wirklichkeit stehen:
Die alte defizitäre Wirklichkeit wird umschrieben mit Stichworten
wie Durst, Trockenheit, Ausgedörrtsein oder Wüste.
Dem entgegen steht das Bild
von lebendigem, erfrischendem, lebenspendendem Wasser.

Die frohmachende Botschaft lautet:
Wie Gott Licht ist
und die Schatten, die Dunkelheiten, die Finsternisse
unseres Lebens verscheucht,
so ist Er auch Quelle lebenstiftenden Wassers,
das den Durst Seines Volkes in der Wüste,
aber auch den Lebensdurst,
die tiefste Sehnsucht eines Menschen nach Glück stillt.

Schauen wir uns daraufhin das Evangelium genauer an.
Da geht es keineswegs um eine moralisierende Geschichte,
die dies samaritische Frau an den Pranger stellt.
In den Worten Jesu findet sich nicht der geringste Vorwurf.
Im Gegenteil:
Wir werden Zeugen einer sehr sensiblen
und feinfühligen Gesprächsführung,
von der Seelsorger und auch Therapeuten
eine Menge lernen könnten.
Jesus bringt auf eine sehr behutsame Art und Weise
der Frau zu Bewußtsein,
worunter sie eigentlich in ihrem bisherigen Leben gelitten hat.
Er macht ihr ihren ungestillten Lebensdurst,
ihre tiefste Sehnsucht nach Leben und Liebe bewußt.
Und wie mit einem „Zauberstab“
läßt er mitten in ihrem ausgedörrten Leben
eine Quelle hervorbrechen,
die all ihre Sehnsucht erfüllt.

Stille

Vielleicht sollten wir im Licht dieses Evangeliums
auch einmal über die unzähligen „Beziehungskisten“
und gescheiterten Partnerschaften
unserer Zeit nachdenken.
Könnte es vielleicht sein,
daß hinter immer wieder wechselnden Beziehungen
der ungestillte Durst nach Glück,
nach grenzenloser Liebe,
nach einem erfüllten Leben steckt?

Könnte es nicht sein, daß sich da
jene unendliche Sehnsucht nach Liebe und Leben Bahn bricht,
die in jedem von uns grundgelegt ist,
einfach weil wir geschaffen sind nach dem Bild und Gleichnis
jenes Gottes, der nach unserem Glauben
das Leben und die Liebe schlechthin ist?

Stille

Selbstverständlich stoßen zwischenmenschliche Beziehungen
immer wieder an Grenzen,
weil schließlich alles Menschliche begrenzt ist.
Wir stoßen uns ja selbst oft genug an unseren eigenen Grenzen.

Es liegt auf der Hand,
daß wir solche Grenzen menschlicher Beziehungen
nicht überwinden können,
indem wir mehrere Beziehungen aneinanderreihen.
Durch die Addition von endlichen Werten
ist kein unendliches Ergebnis zu erzielen!
„Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir.“
Dieses Augustinuswort könnten wir durchaus verstehen
als einen denkbar knappen Kommentar zum heutigen Evangelium.

Stille

Übrigens ist nicht nur die Suche nach ständig neuen Beziehungen
ein Indiz für ungestillte Sehnsucht
oder für ein inneres Ausgedörrtsein von Menschen.
Was die Frau des Evangeliums
in ihren wechselnden Beziehungen sucht,
suchen viele Menschen heute
- und viellicht auch wir selbst -
auf der Jagd nach immer wieder neuen „Events“ -
so sehr, daß es für solche „Events“
inzwischen einen gewinnträchtigen Markt gibt,
einen Markt, auf dem letztendlich Geschäfte gemacht werden
mit jenem unendlichen Lebensdurst,
der nur in der Gemeinschaft mit Gott gestillt werden kann.
So gesehen ist dieser Markt ein betrügerischer Markt.

In diese enttäuschende und frustrierende Erfahrung hinein
eröffnet Jesus der Frau am Jakobsbrunnen
eine Lebens- und Zukunftsperspektive ganz anderer Qualität.
Er führt sie in der persönlichen Begegnung und im Gespräch
zur Einsicht - wohl mehr noch zur Erfahrung,
daß es durchaus eine Möglichkeit gibt,
den Lebensdurst zu stillen.
Es kann sehr wohl Schluß sein
mit der unbefriedigenden Hetze nach Lebensglück:
Wirklich leben können.
Ein eigener Mensch sein.
Selbst Quelle werden,
die andere zum Leben anstiftet.
Mit ihnen zusammen ein Leben haben,
das diesen Namen verdient.
Das wär‘s!

All das wird auf einmal möglich,
weil sich diese Frau im Verlauf der Begegnung öffnet
für den, den sie jetzt als den Messias Gottes erkennt,
als den Retter der Welt,
als die Quelle wahren Lebens.

Stille

Dieser samaritischen Frau,
der die Tora von klein auf vertraut ist,
kommt bei dieser Begegnung am Jakobsbrunnen
vermutlich unmittelbar Mose in den Sinn
und Gottes lebenspendendes Wasser aus dem Felsen.
Wahrscheinlich sieht sie sogar in Jesus den neuen „Mose“.

Und bei den ersten Christen,
die die Jesusgeschichte vom Jakobsbrunnen weitererzählen,
dürften wohl noch andere Texte des Ersten Testaments angeklungen sein,
das Psalmwort zum Beispiel:
„Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so lechzt meine Seele, Gott, nach dir.
Meine Seele dürstet nach Gott,
nach dem lebendigen Gott.“ (42, 2 - 3).

Oder auch dieser Psalmvers: 
„Du tränkst die Menschen mit dem Strom deiner Wonnen.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens.“ (36, 9 - 10).

Vielleicht dachten sie auch an die Ezechiel-Vision
von der Quelle, die im Tempel des Herrn entspringt -
jene Quelle, die zu einem Strom des Lebens wird,
an dessen Ufern üppige Obstbäume wachsen,
die nie ohne Frucht sein werden;
und dessen Wasser sogar
das „Tote Meer“ zum Leben erwecken. (Ez. 47, 1 - 12).

Stille

Ein Wort aus der zweiten Lesung dieses Sonntags
kann diese Überlegungen abschließen:
„Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen
durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Röm. 5, 5).

Das ist an uns geschehen in der Taufe.
Der Taufstein ist unser Jakobsbrunnen.
Es käme darauf an,
die Quelle lebenspendenden Wassers,
die damals in uns selbst aufgebrochen ist,
wieder freizulegen.
Dann könnte das neue Leben auch in uns
zu einer produktiven und dynamischen Kraft werden.
Mehr noch:
Dann würde diese Quelle des Lebens übersprudeln
und - wie damals - auch die Menschen unserer Umgebung
mit neuem und beglückendem Leben erfüllen.
Es könnte in unseren gemeinden und in der Kirche insgesamt
eine Aufbruchstimmung entstehen,
wie sie durch die Frau des Evangeliums
nach Sychar und dann in das ganze Land Samaria getragen wurde.

Amen.