Predigt zu Pfingsten
am 12. Juni 2011
Lesungen: Gen. 11, 1 - 9; Apg. 2, 1 - 11
Evangelium: Joh. 20, 19 - 23
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Haben Sie schon einmal versucht,
als Erwachsener eine neue Fremdsprache zu erlernen?
Dann haben Sie vermutlich die Erfahrung gemacht,
daß das ein recht mühsames Unterfangen ist -
jedenfalls wenn man - wie ich - nicht sonderlich sprachbegabt ist.

Die Bibel erklärt diese Mühe
mit der Selbstherrlichkeit des Menschen,
der ‘wie Gott’ sein will.
Die gleiche Selbstherrlichkeit
hatte bereits für Adam und Eva dazu geführt,
unter Mühsal ihr Brot erarbeiten zu müssen
alle Tage ihres Lebens. (cf. Gen. 3, 17)

Gelernt haben die Menschen nichts daraus -
übrigens bis auf den heutigen Tag.
Jedenfalls ging es ihnen schon damals in Babel darum,
einen Turm zu bauen, der “bis zum Himmel” reicht,
der sie also Gott gleich machen würde.
Dieses Unternehmen stürzt sie ins Chaos:
•    Jeder kreist in seinem Denken nur noch um sich selbst.
•    Jeder will der Größte sein.
•    Jeder will sein wie Gott.
•    Jeder wird zum Konkurrenten des anderen.
•    Niemand hört mehr auf den anderen.
•    Jeder spricht seine eigene Sprache.
•    Niemand versteht mehr den anderen.

Die Grundlage von Kooperation, Teamwork
und Zusammenleben überhaupt ist zerstört.
Es wird äußerst mühsam,
die Sprache des anderen zu erlernen.

Pfingsten ist nun Gottes Alternative zu Babel.
Mit Pfingsten erreicht Ostern, das Fest unserer Erlösung,
noch einmal einen faszinierenden Höhepunkt.
Seit fünfzig Tagen feiern wir,
daß Gott uns durch Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi
von jener fundamentalen Schuld der Selbstüberheblichkeit
erlöst hat, die die Menschheit seit eh und je,
und bis auf den heutigen Tag
ins Chaos und ins Verderben stürzt.
Der Auferstandene eröffnet uns eine neue Lebensperspektive.
Er erschließt uns - biblisch gesprochen - das Reich Gottes.
Wenn Sie so wollen: Er erschließt uns den ‘Himmel’ -
d.h. Gottes Welt der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe,
eine versöhnte Welt also,
in der Menschen einander wieder verstehen.

Das also feiern wir an Pfingsten:
•    Die Gabe des Gottesgeistes der Liebe;
•    das Geschenk der zwischenmenschlichen Verständigung
    als Konsequenz der Versöhnung mit Gott;
•    das Geschenk der einen Sprache,
    der Sprache Jesu Christi.

Allerdings: Gott zwingt uns nicht!
Er zwingt uns Ostern nicht auf.
Er zwingt uns auch Pfingsten nicht auf.
Er lädt uns ein,
uns für ein versöhntes Leben zu öffnen.
Er lädt uns ein,
uns auch auf die eine Sprache einzulassen,
auf die Sprache Jesu Christi, auf die Sprache des Geistes,
auf die Sprache der Liebe.

Davon sind wir noch weit entfernt.
Das wissen wir alle.
Auch die Kirche ist längst noch nicht bei Pfingsten angekommen.
Die verschiedenen Konfessionen der einen Kirche
klammern sich an ihre je eigenen, lieb gewonnenen Sprachen.
Da wird ‘evangelisch’ gesprochen,
da wird ‘orthodox’ gesprochen,
da wird ‘katholisch’ gesprochen.
Mehr noch:
Da wird ‘konservativ’, ‘liberal’ oder ‘progressiv’ gesprochen.
Da wird die Sprache des Tridentinums. gesprochen,
die Sprache Pius’ XII.
oder auch die Sprache Johannes’ XXIII.
und die Sprache des Zweiten Vatikanischen Konzils -
und die noch in ganz unterschiedlichen Dialekten.

Die Sprache Jesu jedoch, die Sprache des Pfingstgeistes,
die Sprache der Liebe, die Sprache der Einheit
ist auch in der Kirche immer noch eine Fremdsprache,
die es mühsam zu erlernen gilt.
Dennoch feiern wir voller Freude dieses Pfingstfest!
•    Wir feiern auf Grund der uns an Pfingsten geschenkten Hoffnung.
•    Wir feiern im unerschütterlichen Vertrauen darauf,
    daß es keinen Weg zurück gibt
    hinter jenes Pfingstereignis in Jerusalem.
•    Wir feiern die Realutopie einer endgültigen Verständigung.
•    Wir feiern, daß auch heute möglich ist,
    und daß morgen unausweichlich und unwiderruflich geschieht,
    was damals geschah:
     
    “Parther, Meder und Elamiter,
    Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien,
    von Pontus und der Provinz Asien, 
    von Phrygien und Pamphylien,
    von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin,
    auch die Römer, die sich hier aufhalten,
    Juden und Proselyten, Kreter und Araber,
    wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.”

Nehmen Sie sich in diesen Pfingsttagen einmal die Zeit,
diesen herrlichen Text zu aktualisieren:
•    hinein in unsere Zeit,
•    hinein in die weltpolitische Situation,
•    hinein auch in die vordergründige Armseligkeit der Kirche -
und Sie werden verstehen,
warum wir Pfingsten feiern.

Amen.