Fastenpredigt “Mirjam - die Prophetin” am Samstag, dem 26.03.2011 in Sankt Michael Göttingen im Rahmen einer Predigtreihe: "Führung des Volkes Gottes auf gleicher Augenhöhe: der Politiker, der Priester, die Prophetin". |
Lesung: Exodus, Verse aus den Kapiteln 13-15. Autor: P.Heribert Graab S.J. Etliche Anregungen zu dieser Predigt verdanke ich vor allem dem Büchlein “Mit Mirjam durch das Schilfmeer” von H.Langer, H.Leitner und E.Moltmann-Wendel. |
Verstehen Sie etwas von
Präzedenz?
Anders ausgedrückt: Wissen Sie, wer jeweils den Vortritt hat? Die Regeln sind ganz schön kompliziert - und im Staat anders als in der Kirche. Beim feierlichen Einzug zum Gottesdienst geht immer der Bischof als letzter. Im Staat ist's umgekehrt: Da geht der Bundespräsident vorneweg. Nun überlasse ich es Ihnen, nach welcher PräzedenzordnungJSie^ die Reihenfolge der Predigten über Mirjam, Aaron und Mose betrachten wollen. Mirjam - gleichberechtigt im Führungsteam Israels Wir beginnen also mit Mirjam. Die ist zwar die Älteste der drei Geschwister, aber in der biblischen und erst recht in der kirchlichen Tradtion die Unbedeutendste - jedenfalls vordergründig betrachtet. Ein sehr alter Text im Buch des Propheten Micha nennt zwar wie üblich Mose an erster Stelle, im übrigen jedoch stehen dort die drei Geschwister als von Gott selbst berufenes Führungsteam Seines Volkes auf dem Weg aus dem "Sklavenhaus Ägypten" in die Freiheit gleichberechtigt nebeneinander: "Ich habe Mose vor dir hergesandt und Aaron und Mirjam." Solche Dreier-Teams hat es in der Geschichte des öfteren gegeben. Wir sprechen in der Regel von "Triumviraten" und verraten damit, wie sehr wir bis in die jüngste Zeit eingebunden sind in patriarchalisches Denken: Ein Triumvirat meint nämlich drei Männer (tres viri)! In einer patriarchalen Gesellschaft ist es nicht einmal denkbar, daß eine Frau gleichberechtigt politische Mitverantwortung trägt und wie die Männer auch politische Macht hat. In unserer Kirche ist so etwas erst recht nahezu unvorstellbar: Die sogenannten "Dikasterien" des Vatikan zum Beispiel, - die "Ministerien" des Papstes also - werden von solchen "Triumviraten" geleitet (vom Präfekten oder Präsidenten, vom Secretario und vom Sottosecretario). Erst seit kurzem gibt es da sehr, sehr bescheidene Korrekturen: In nur zwei Dikasterien (von 21) gibt es inzwischen wenigstens eine "Sottosecretaria". Im Alten Testament finden sich jedoch etliche Spuren einer vor-patriarchalen Kultur. Vor allem aus der frühen, vorstaatlichen Zeit Israels werden uns die Namen einzelner auch politisch bedeutsamer Frauen überliefert. Außer Mirjam ist das vor allem die Richterin und Prophetin Debora. In späteren Zeiten hat man versucht, solche Berichte entweder ganz zu tilgen, oder die Rolle dieser Frauen kleinzureden. Aus späterer Zeit stammt zum Beispiel das Siegeslied des Mose. Das hat man im Vergleich zum schlichten Lied der Mirjam breit und prächtig ausgestaltet und es dann dem Lied der Mirjam vorangesetzt. So wurde Mirjam in den Schatten des Mose gerückt. Ihre Geschichte wirkt fast wie ein Anhängsel an eine sehr männlich orientierte Militärgeschichte. Schlimmer noch: Ebenfalls in späteren Zeiten hat man die Überlieferung von Mirjams und Aarons Kritik am alleinigen Führungsanspruch des Mose in einer partriarchalen Fassung erzählt: Mirjam - keineswegs jedoch Aaron - wird von Gott mit Aussatz betraft und muß das Lager verlassen. Der Fürbitte des Mose ist es zu verdanken, daß sie schließlich geheilt zurückkehren darf. Von da an ist klar, wer der "Boß" ist: Allein Mose! Eine ganz interessante Nuance allerdings kann auch diese Geschichte nicht unterdrücken: Das Volk weigert sich, ohne Mirjam weiterzuziehen. Und das Volk hält auch in der ganzen Geschichte Israels die Erinnerung an Mirjam wach und verehrt sie als Prophetin. Mirjam - eine große Prophetin Was ist eine Prophetin? Was ist ein Prophet? Jedenfalls im biblischen Verständnis geht es nicht darum, Zukünftiges vorauszusehen und vorherzusagen. Biblische Propheten sind vielmehr unmittelbar von Gott berufen, Seine Botschaft den Menschen und zumal Seinem Volk zu verkünden. Diese Botschaft kann gewiß auch Strafandrohung oder Heilsverheißung für die Zukunft zum Inhalt haben. Vor allem aber enthält sie Kritik an Vergangenheit und Gegenwart ihrer Adressaten und nicht zuletzt Ermutigung in schwierigen Situation. Die unmittelbare Berufung und Geistbegabung durch Gott macht den Propheten unabhängig von institutionellen Amtsträgern. Seine vielfach kritische Botschaft an den herrschenden Zuständen macht ihn zudem äußerst verdächtig in den Augen der Mächtigen. So wurden nahezu alle Propheten in der Geschichte Israels verfolgt, vertrieben und sogar umgebracht. Noch Jesus macht diese Tatsache den Großen Seiner Zeit zum Vorwurf: "Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind." (Mt. 23, 37). Die Prophetin Mirjam wurde zwar nicht gesteinigt, aber immerhin im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn in die Wüste geschickt. Aktuell ist interessant, daß aus den gleichen Gründen wie damals Prophetinnen und Propheten auch in der Kirche heute suspekt sind. Wer ohne kirchenamtlichen Auftrag sich zur Situation der Kirche kritisch äußert, oder konkrete Veränderungen einfordert, gerät schnell "unter Beschuß" oder wird gar bestraft - z.B. durch Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis. Bei der Taufe wurde jeder und jede von uns mit Chrisam gesalbt "zum Propheten". Daß jedoch Gottes Heiliger Geist diese Salbung einmal ernst nehmen könnte, damit rechnet niemand. Was aber ist nun die Botschaft der Mirjam? Viel ist darüber nicht überliefert. Wohl aber haben wir bis auf den heutigen Tag ihr kurzes Siegeslied am Schilfmeer und den Bericht über ihren jubelnden Tanz. Ihre ekstatische Begeisterung springt auf die anderen Frauen über. Mirjam läßt in ihnen neue Lebensfreude aufkeimen nach allem, was geschehen ist: • Die gefährliche Fluchtaus Ägypten, • die bedrückende Angst und Bedrohung durch das Heer des Pharao • und schließlich die wunderbare Rettung. Vermutlich hat Mirjam nicht nur in diesem Augenblick, sondern immer wieder auf dem langen Weg in die Freiheit die Menschen ermutigt - und das in Gottes Auftrag. Immer wieder hat sie wohl das Vertrauen auf Gott gestärkt - auf diesen Gott, auf ihren Gott, der dem ganzen Volk voranging - tagsüber in einer Wolke und nachts in der Feuersäule. Betrachten wir das kurze Siegeslied der Mirjam ein wenig genauer: "Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Rosse und Wagen warf er ins Meer." Erst im Vergleich zum späteren Lied des Mose erschließt sich sein tieferer Sinn. Das Moselied nimmt zwar die Worte des Mirjamliedes auf, interpretiert sie dann jedoch auf eine ausgesprochen männlich-kriegerische Art und Weise: "Pharaos Wagen und seine Streitmacht warf er ins Meer. Seine besten Kämpfer versanken im Schilfmeer. Fluten deckten sie zu, sie sanken in die Tiefe wie Steine." (Ex. 15, 4 f). Im Bericht über das Geschehen am Schilfmeer hatte es geheißen: "Israel sh die Ägypter tot am Strand liegen." (Ex. 14, 30). Kann man angesichts dessen wirklich voller Freude jubeln? Ist Gott nicht ein Gott des Lebens? Und sind diese Ägypter nicht auch Seine Menschen? Die jüdische Auslegungstradition kommt meines Erachtens dem biblischen Gottesverständnis deutlich näher. Da heißt es: "Gott weinte, denn sein Volk, die Ägypter, waren auch da und starben." Ich glaube, dieses Wort der jüdischen Tradition ist ganz und gar auch im Sinne Mirjams gesprochen. Sie versteht die "Rosse und Wagen", die im Meer versanken, - ganz auf der Linie prophetischer Tradition - als ein Bild für militärische Macht und Waffengewalt. Für sie versinkt mit den "Rossen und Wagen" nicht nur die Militärmacht des Pharao im Meer, sondern jedwede politische Macht, die sich auf Gewalt stützt. Sie sieht in den Ereignissen am Schilfmeer einen Sieg ihres Gottes, der ein Gott des Lebens ist, und der über den Tod von Menschen und eben auch über den Tod der Ägypter "weint". So kann sie die Pauke in die Hand nehmen und tanzend ihrer Freude Ausdruck verleihen. So wird Mirjam auch ihrer eigenen Berufung als einer Prophetin des Lebens gerecht. Bereits als junges Mädchen hatte sie die Geburtenpolitik des Pharao als tödliche Bedrohung erfahren. Jedes männliche Neugeborene der israelitischen Sklaven sollte nach ägyptischer Order sterben. Mirjam rettete ihrem kleinen Bruder Mose das Leben: Sie blieb in der Nähe, als ihre Mutter den Neugeborenen in einem Binsenkörbchen auf dem Nil aussetzte. Und ausgerechnet in der Tochter des Pharaos fand sie für ihren Dienst am Leben des Bruders eine Verbündete: Sicher kein Zufall - Frauen im Dienst am Leben, Frauen im Dienst eines Gottes, der ein Gott des Lebens ist. Die frühe Kirche hat aus ihrer jüdischen Tradition heraus die prophetische Botschaft der Mirjam verstanden und gelebt: Christen dieser Zeit lehnten es ab, Blut zu vergießen, und verweigerten den Dienst mit der Waffe. Martin von Tour hat noch aus diesem Grund seine Soldatenuniform ausgezogen. Nach der Liaision von Kirche und Staat seit Konstantin geriet die Botschaft der Mirjam in Vergessenheit Erst in jüngerer Zeit engagiert sich unsere Kirche wieder konsequent für das Leben - nicht nur am Lebensanfang und am Lebensende, sondern auch aus einer neu gewonnenen Grundeinstellung zur Todesstrafe und nach und nach selbst zur Waffengewalt Vielleicht sollte diese kirchliche Entwicklung auch für uns ein Grund sein, mit Mirjam ein Freudenlied anzustimmen und zu tanzen. Noch einmal die Frage: Was ist die Botschaft der Mirjam? Es ist nicht zuletzt eine Botschaft der Freude und des Jubels! Bis auf den heutigen Tag verkündet Mirjam auch uns: Legt all eure Sorgen und Ängste in Gottes Hand! Ihr habt es erlebt: Er läßt uns nicht allein! Selbst in der ausweglosen Situation tödlicher Gefahr, führt Gott uns in ein neues Leben - auf Wegen, die wir nicht einmal erahnen. Darum: Seid dankbar! Und bringt euren Dank voller Freude zum Ausdruck! Musiziert und singt und tanzt! Der ganze Mensch mit Leib und Seele soll jauchzen und Gott loben und preisen. Im "Gotteslob" finden sich Lieder wie dieses: "Nun jauchzt dem Herren, alle Welt!" (GL 474) Aber wann haben Sie das in der Kirche schon einmal wirklich erlebt, daß eine ganze Gemeinde voll dankbarer Freude jubelt und jauchzt? Im Kindergottesdienst vielleicht! Gelegentlich gelingt es auch einem guten Organisten, die Orgel zum Jauchzen zu bringen. Jugendliche Bands schaffen dasselbe hier und da mit ihren Instrumenten. Viel zu selten jedoch reißen sie die Gemeinde mit. Fragen Sie doch einmal Menschen, die von außen hinzukommen, wie die unsere Gottesdienste erleben. Immer wieder werden Sie hören, die seien langweilig und freudlos. Kein Wunder, daß Eltern sich schwer tun, ihre heranwachsenden Kinder für den Gottesdienst zu motivieren! Mirjam gelang es, singend und tanzend die Menschen zu ermutigen für den langen Weg durch die Wüste, der nun vor ihnen lag. Der dankbare Blick zurück begründet das Vertrauen in die Zukunft Das kommt immer wieder im Gebet Israels, in den Psalmen zum Ausdruck: Selbst die Klagepsalmen klingen aus in einem ermutigendem Dank für Gottes befreiendes Handeln in der Geschichte Israels. Der Exodus Mirjams Mirjam selbst war es ebenso wenig wie ihrem Bruder Mose vergönnt, mit ihrem Volk in das Land der Verheißung einzuziehen. Sie starb auf der langen Wüstenwanderung in Kadesch, einem Platz in der Wüste Zin. Dort wurde sie begraben. (Num. 20, 1). Aber sie hat den ganzen Exodus mitgemacht, den Weg aus dem Sklavenhaus Ägypten in die Freiheit. Vierzig Jahre lang führte dieser Weg durch die Wüste. Da blieb es nicht aus, daß das Volk immer wieder in Mutlosigkeit versank. Was schon eine Wanderung durch die Wüste von wenigen Tagen Flüchtlingen abverlangt, konnten wir gerade wieder - wenigstens am Fernseher - miterleben: Hunderttausend und mehr Menschen auf der Flucht aus Lybien zur rettenden Grenze Ägyptens oder Tunesiens. Das waren vor allem Gastarbeiter, fast ausschließlich Männer also. Bei der Wüstenwanderung Israels jedoch waren auch Frauen und Kinder mit unterwegs. Sie vor allem litten unter der Härte des Lebens in der Wüste. Wie so oft in der Geschichte war die alltägliche Sorge ums Überleben zumal den Frauen aufgetragen. In der biblischen Überlieferung wird mehrfach berichtet, daß das ganze Volk "murrte" und sich nach den "Fleischtöpfen Ägyptens" zurücksehnte. Leider ist dann nur noch von Mose und Aaron die Rede. Mose und Aaron vermitteln Gottes Hilfe in der allergrößten Not. • Auf ihr Gebet hin regnet es Manna vom Himmel. • Auf ihr Gebet hin bedecken Schwärme von Wachteln den Lagerplatz des Volkes. • Als der Durst unerträglich wurde, heißt es, Mose habe auf Gottes Weisung hin mit seinem Stab an den Felsen geschlagen, und es habe sich eine Wasserquelle aufgetan, so daß das Volk seinen Durst stillen konnte. Von Mirjam ist nichtmehr die Rede. Und doch ist sie mit unterwegs! Als sie bei Hazerot vom Aussatz befallen wird, sperrt man sie wegen der Ansteckungsgefahr aus dem Lager aus. "Das Volk (jedoch) brach nicht auf, bis man Mirjam wieder hereinließ." (Num. 12, 15). Nicht zuletzt unter dem Druck des Volkes betete Mose um ihre Heilung. "Erst nachher brach das Volk von Hazerot wieder auf." (Num. 12, 15 f). Die Wertschätzung des Volkes für Mirjam hat sicherlich ihren Grund nicht allein in jenem Siegeslied am Schilfmeer. Es liegt vielmehr nahe anzunehmen, daß Mirjam während der ganzen Wüstenwanderung tagtäglich ihrer Berufung als 'Prophetin der Ermutigung' gerecht wurde. Wie sie damals am Schilfmeer vor allem die Frauen um sich scharte und sie zum dankbar-frohen Tanz motivierte, so dürfte sie auch später immer wieder vor allem den Frauen Mut zugesprochen und ihnen in ihren alltäglichen Sorgen beigestanden haben. Anders wäre kaum zu erklären, daß sie im Gedächtnis Israels als Prophetin tief verankert blieb. Die Botschaft der schweigenden Prophetin Was ist nun die Botschaft der zum Schweigen gebrachten Mirjam für uns heute? Wir sollten uns fragen: • Was bedeutet Ägypten für uns? • Was bedeutet Exodus, Auszug aus Ägypten? • Was bedeutet Wüste und Weg durch die Wüste? Als einzelne kämen wir vielleicht zur Erkenntnis, daß unser Eingezwängt-Sein, dieses Keine-Luft-mehr-Kriegen unser ganz persönliches Ägypten ist. Als Kirche könnten wir möglicherweise zu der Erkenntnis kommen, wie sehr wir versklavt sind durch sehr zeitgebundene, kulturelle Traditionen. Nicht selten hindern uns solche Traditionen daran, das Evangelium Jesu Christi als frohmachende und befreiende Botschaft zu erfahren. Denken Sie - gerade im Blick auf Mirjam - zum Beispiel an die Traditionen des Patriarchalismus gerade in der Kirche. Wir sind immer - wie das alte Israel - in der Versuchung, uns zurückzusehnen nach den alten, besseren Zeiten. Wir vergessen gar zu leicht, daß diese 'alten Zeiten' wohl anders, aber keineswegs ‘besser’ waren. • Wie Mirjam sollten wir unseren Blick nicht auf die Vergangenheit richten. • Wie sie sollten wir vielmehr voller Vertrauen in die Zukunft schauen und wie sie mutig die Gegenwart gestalten. • Wie sie sollten wir aus der unerschütterlichen Überzeugung leben: Gott ist treu! Er ist Tag für Tag mit uns unterwegs - auch wenn wir seine Gegenwart nicht jederzeit spüren. Vermutlich war auch Mirjam während der langen Wüstenwanderung nicht gefeit vor dem tiefen Fall in die Mutlosigkeit Vermutlich hat sie vor allem aus dem Gebet immer wieder neue Kraft geschöpft und wohl auch aus der Erfahrung der Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft ihres Volkes ließ sie schließlich nicht im Stich während der dunklen Stunden ihrer Krankheit. Immer wieder dachte sie wohl daran. Wie hätte sie sonst ihrerseits all die anderen ermutigen können?! Auch für unser eigenes Überleben brauchen wir beides: • Im Gebet müssen wir uns ständig der Nähe Gottes vergewissern. • Die Erinnerung an all die Momente, in denen andere uns in dunklen Zeiten gestützt haben, kann uns in Gegenwart und Zukunft neue Energie schenken. Das gilt für Situationen ganz persönlicher Mutlosigkeit und nicht weniger für all die Enttäuschungen, die wir immer wieder in der Kirche erfahren. Von Mirjam können wir lernen, nicht aufzugeben, sondern an jedem Morgen neu aufzubrechen. Der Weg zurück in alte Zeiten ist ein Irrweg! Der Weg hinaus aus der Gemeinschaft - auch der Weg der inneren Emigration - führt nur noch tiefer hinein in die ' Wüste'! Je mehr es uns gelingt, aus dem Vertrauen auf Gott und im Bewußtsein unserer eigenen Kraft zu leben; je mehr wir auch die Ressourcen des Miteinanders ausschöpfen, um so mehr werden wir - wie Mirjam - Menschen um uns herum ermutigen können. 'Ermutigung' geschieht übrigens nicht vor allem durch Worte! Auch das können wir von Mirjam lernen. Morgen (am 3. Fastensonntag) erzählt die Exodus-Lesung von der größten Not, die dem wandernden Gottesvolk zu schaffen machte: Der quälende Durst in der brennend heißen Wüste. Wieder ist nur von den Männern die Rede - von Mose und von den 'Ältesten' des Volkes. Mose erhält von Gott den Auftrag, mit seinem Stab auf die Felsen des Horeb zu schlagen. "Es wird Wasser herauskommen, und das Volk kann trinken," verheißt Gott dem Mose. Aber erinnern wir uns! Mirjam und Aaron fragten sich: "Hat etwa der Herr nur mit Mose gesprochen? Hat er nicht auch mit uns gesprochen?" (Num. 12, 2). Es liegt doch auf der Hand: • Mehr als die Männer bedrohte der Tod durch Verdursten all die Kinder, die inmitten des Volkes unterwegs waren. • Mehr als die Männer litten die Mütter mit ihren Kindern und mußten ihr qualvolles Sterben mit ansehen. Nicht erst seit jenem Siegeslied am Schilfmeer war Mirjam gerade mit den Frauen und Müttern ganz eng verbunden und fühlte mir ihnen - nicht nur in den Stunden des Jubels, sondern vermutlich mehr noch in Zeiten von Not und Niedergeschlagenheit. Hat Gott mit ihr auch gesprochen am Horeb, als der Durst unerträglich wurde? Welchen Auftrag hatte Gott für sie? Wir wissen es nicht. Die Überlieferung schweigt. Aber Mirjam war und blieb die 'Prophetin der Ermutigung'! Ohne große Worte war sie einfach da, lebte und litt mit den Menschen, mit den Frauen und Kindern zumal. Immer wieder wird Sie tröstend die Hand so manch einer Mutter gehalten und kühlend die Stirn eines sterbenden Kindes gestreichelt haben. In solchen Momenten wurde sie wohl selbst für viele Menschen zu einer "sprudelnden Quelle, deren Wasser Leben schenkt" - in einem viel tieferen Sinne als jene Quelle, die Mose mit seinem Stab öffnete. Denn auch von der Quelle des Mose gilt, was Jesus morgen im Evangelium vom Jakobsbrunnen sagt: "Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen." Sache der Mirjam waren wohl eher selten große 'Events' - für die hatten eher Männer wie Mose einen Sinn. Mirjams Dienst der Ermutigung - das war einfach ihre menschliche Nähe, das waren die kleinen Zeichen des Verstehens und Mitfühlens, das waren helfende Handgriffe. Vermutlich griff sie auch in der alltäglichen Mühe und Not der Wüstenwanderung immer mal wieder zur Pauke und stimmte Lieder an, die das Leben erträglicher machten. Als das Volk am Horeb zu verdursten drohte, war der Dienst des Mose zweifelsohne not-wendend! Nicht weniger lebensrettend und vielleicht sogar nachhaltiger war der ermutigende Dient der Mirjam. Wir brauchen auch heute beides: Die tatkräftige Lösung ganz praktischer Probleme und den Dienst von Prophetinnen und Propheten der Ermutigung. Wir brauchen beides in Stunden ganz persönlicher Niedergeschlagenheit, ebenso wie in frustrierenden Zeiten kirchlichen Lebens. Wir brauchen beides im gläubigen Bewußtsein, daß Gott uns zum einen wie zum anderen auch heute beruft. Was wäre, wenn...? Abschließend noch eine spannende Frage, der Sie selbst über diesen Abend hinaus während der Fastenzeit ein wenig nachgehen könnten und sollten: Was wäre, wenn Gottes 'Gesetz' - oder besser: Gottes 'Weisung' - vqn Mirjam, statt von Mose aufgezeichnet worden wäre? Zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit in der Kirche habe ich von einem Menschen, dem ich viel verdanke, gelernt: Protokolle von Sitzungen und Konferenzen schreibst du am besten selbst! Nach Monaten und Jahren weiß niemand mehr, was wirklich gesagt und beschlossen wurde; alles ist nur durch das Protokoll belegt. Und so sehr der Protokollant auch bemüht ist, das, was wirklich Sache war, schriftlich festzuhalten - das Protokoll wird dennoch seine Handschrift tragen. Selbstverständlich trägt auch die Thora, Gottes 'Gesetz' also, die Handschrift des Mose und die Handschrift all derer, die die Thora später entfaltet und ausgelegt haben - alles Männer! Das gilt bis heute - bis hinein in die aktuelle kirchliche Auslegung des Willens Gottes und der göttlichen Offenbarung überhaupt. Es ist und bleibt spannend, immer wieder der Frage nachzugehen: Was wäre, wenn Gottes 'Gesetz' und Gottes Offenbarung von Mirjam, statt von Mose aufgezeichnet worden wäre? Welche Akzenten würden sich verschieben, wenn Frauen und Männer gemeinsam entfalten würden, was Gottes Wille für uns heute und für unsere Zeit ist. Amen. |