Fastenpredigt “Mirjam - die Prophetin”
am Samstag, dem 26.03.2011 in Sankt Michael Göttingen
im Rahmen einer Predigtreihe:
"Führung des Volkes Gottes auf gleicher Augenhöhe: der Politiker, der Priester, die Prophetin".
Lesung: Exodus, Verse aus den Kapiteln 13-15.
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Etliche Anregungen zu dieser Predigt verdanke ich vor allem dem Büchlein “Mit Mirjam durch das Schilfmeer” von H.Langer, H.Leitner und E.Moltmann-Wendel.
Verstehen Sie etwas von Präzedenz?
Anders ausgedrückt:
Wissen Sie, wer jeweils den Vortritt hat?
Die Regeln sind ganz schön kompliziert -
und im Staat anders als in der Kirche.
Beim feierlichen Einzug zum Gottesdienst
geht immer der Bischof als letzter.
Im Staat ist's umgekehrt:
Da geht der Bundespräsident vorneweg.

Nun überlasse ich es Ihnen,
nach welcher PräzedenzordnungJSie^
die Reihenfolge der Predigten über Mirjam, Aaron und Mose
betrachten wollen.

Mirjam - gleichberechtigt im Führungsteam Israels

Wir beginnen also mit Mirjam.
Die ist zwar die Älteste der drei Geschwister,
aber in der biblischen und erst recht in der kirchlichen Tradtion
die Unbedeutendste - jedenfalls vordergründig betrachtet.
Ein sehr alter Text im Buch des Propheten Micha
nennt zwar wie üblich Mose an erster Stelle,
im übrigen jedoch stehen dort die drei Geschwister
als von Gott selbst berufenes Führungsteam Seines Volkes
auf dem Weg aus dem "Sklavenhaus Ägypten" in die Freiheit
gleichberechtigt nebeneinander:
"Ich habe Mose vor dir hergesandt und Aaron und Mirjam."

Solche Dreier-Teams hat es in der Geschichte des öfteren gegeben.
Wir sprechen in der Regel von "Triumviraten"
und verraten damit, wie sehr wir bis in die jüngste Zeit
eingebunden sind in patriarchalisches Denken:
Ein Triumvirat meint nämlich drei Männer (tres viri)!
In einer patriarchalen Gesellschaft ist es nicht einmal denkbar,
daß eine Frau gleichberechtigt politische Mitverantwortung trägt
und wie die Männer auch politische Macht hat.

In unserer Kirche ist so etwas erst recht nahezu unvorstellbar:
Die sogenannten "Dikasterien" des Vatikan zum Beispiel,
- die "Ministerien" des Papstes also -
werden von solchen "Triumviraten" geleitet
    (vom Präfekten oder Präsidenten,
    vom Secretario und vom Sottosecretario).
Erst seit kurzem gibt es da sehr, sehr bescheidene Korrekturen:
In nur zwei Dikasterien (von 21) gibt es inzwischen
wenigstens eine "Sottosecretaria".

Im Alten Testament finden sich jedoch etliche Spuren
einer vor-patriarchalen Kultur.
Vor allem aus der frühen, vorstaatlichen Zeit Israels
werden uns die Namen einzelner
auch politisch bedeutsamer Frauen überliefert.
Außer Mirjam ist das vor allem
die Richterin und Prophetin Debora.

In späteren Zeiten hat man versucht,
solche Berichte entweder ganz zu tilgen,
oder die Rolle dieser Frauen kleinzureden.
Aus späterer Zeit stammt zum Beispiel das Siegeslied des Mose.
Das hat man im Vergleich zum schlichten Lied der Mirjam
breit und prächtig ausgestaltet
und es dann dem Lied der Mirjam vorangesetzt.
So wurde Mirjam in den Schatten des Mose gerückt.
Ihre Geschichte wirkt fast wie ein Anhängsel
an eine sehr männlich orientierte Militärgeschichte.

Schlimmer noch:
Ebenfalls in späteren Zeiten hat man die Überlieferung
von Mirjams und Aarons Kritik
am alleinigen Führungsanspruch des Mose
in einer partriarchalen Fassung erzählt:
Mirjam - keineswegs jedoch Aaron - wird von Gott
mit Aussatz betraft und muß das Lager verlassen.
Der Fürbitte des Mose ist es zu verdanken,
daß sie schließlich geheilt zurückkehren darf.
Von da an ist klar, wer der "Boß" ist: Allein Mose!

Eine ganz interessante Nuance allerdings
kann auch diese Geschichte nicht unterdrücken:
Das Volk weigert sich, ohne Mirjam weiterzuziehen.
Und das Volk hält auch in der ganzen Geschichte Israels
die Erinnerung an Mirjam wach
und verehrt sie als Prophetin.

Mirjam - eine große Prophetin

Was ist eine Prophetin? Was ist ein Prophet?
Jedenfalls im biblischen Verständnis geht es nicht darum,
Zukünftiges vorauszusehen und vorherzusagen.
Biblische Propheten sind vielmehr unmittelbar von Gott berufen,
Seine Botschaft den Menschen
und zumal Seinem Volk zu verkünden.
Diese Botschaft kann gewiß auch Strafandrohung
oder Heilsverheißung für die Zukunft zum Inhalt haben.
Vor allem aber enthält sie
Kritik an Vergangenheit und Gegenwart ihrer Adressaten
und nicht zuletzt Ermutigung in schwierigen Situation.

Die unmittelbare Berufung und Geistbegabung durch Gott
macht den Propheten unabhängig von institutionellen Amtsträgern.
Seine vielfach kritische Botschaft an den herrschenden Zuständen
macht ihn zudem äußerst verdächtig in den Augen der Mächtigen.
So wurden nahezu alle Propheten in der Geschichte Israels
verfolgt, vertrieben und sogar umgebracht.
Noch Jesus macht diese Tatsache
den Großen Seiner Zeit zum Vorwurf:
"Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten
und steinigst die Boten, die zu dir gesandt sind." (Mt. 23, 37).
Die Prophetin Mirjam wurde zwar nicht gesteinigt,
aber immerhin im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn
in die Wüste geschickt.

Aktuell ist interessant, daß aus den gleichen Gründen wie damals
Prophetinnen und Propheten
auch in der Kirche heute suspekt sind.
Wer ohne kirchenamtlichen Auftrag
sich zur Situation der Kirche kritisch äußert,
oder konkrete Veränderungen einfordert,
gerät schnell "unter Beschuß"
oder wird gar bestraft -
z.B. durch Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis.

Bei der Taufe wurde jeder und jede von uns
mit Chrisam gesalbt "zum Propheten".
Daß jedoch Gottes Heiliger Geist diese Salbung
einmal ernst nehmen könnte,
damit rechnet niemand.

Was aber ist nun die Botschaft der Mirjam?
Viel ist darüber nicht überliefert.
Wohl aber haben wir bis auf den heutigen Tag
ihr kurzes Siegeslied am Schilfmeer
und den Bericht über ihren jubelnden Tanz.
Ihre ekstatische Begeisterung springt auf die anderen Frauen über.
Mirjam läßt in ihnen neue Lebensfreude aufkeimen
nach allem, was geschehen ist:
•    Die gefährliche Fluchtaus Ägypten,
•    die bedrückende Angst und Bedrohung
    durch das Heer des Pharao
•    und schließlich die wunderbare Rettung.

Vermutlich hat Mirjam nicht nur in diesem Augenblick,
sondern immer wieder auf dem langen Weg in die Freiheit
die Menschen ermutigt - und das in Gottes Auftrag.
Immer wieder hat sie wohl das Vertrauen auf Gott gestärkt -
auf diesen Gott, auf ihren Gott,
der dem ganzen Volk voranging -
tagsüber in einer Wolke und nachts in der Feuersäule.

Betrachten wir das kurze Siegeslied der Mirjam
ein wenig genauer:
"Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben!
Rosse und Wagen warf er ins Meer."
Erst im Vergleich zum späteren Lied des Mose
erschließt sich sein tieferer Sinn.
Das Moselied nimmt zwar die Worte des Mirjamliedes auf,
interpretiert sie dann jedoch
auf eine ausgesprochen männlich-kriegerische Art und Weise:
"Pharaos Wagen und seine Streitmacht warf er ins Meer.
Seine besten Kämpfer versanken im Schilfmeer.
Fluten deckten sie zu,
sie sanken in die Tiefe wie Steine." (Ex. 15, 4 f).

Im Bericht über das Geschehen am Schilfmeer hatte es geheißen:
"Israel sh die Ägypter tot am Strand liegen." (Ex. 14, 30).
Kann man angesichts dessen wirklich voller Freude jubeln?
Ist Gott nicht ein Gott des Lebens?
Und sind diese Ägypter nicht auch Seine Menschen?
Die jüdische Auslegungstradition kommt meines Erachtens
dem biblischen Gottesverständnis deutlich näher.
Da heißt es:
"Gott weinte, denn sein Volk, die Ägypter,
waren auch da und starben."

Ich glaube, dieses Wort der jüdischen Tradition
ist ganz und gar auch im Sinne Mirjams gesprochen.
Sie versteht die "Rosse und Wagen", die im Meer versanken,
- ganz auf der Linie prophetischer Tradition -
als ein Bild für militärische Macht und Waffengewalt.
Für sie versinkt mit den "Rossen und Wagen"
nicht nur die Militärmacht des Pharao im Meer,
sondern jedwede politische Macht,
die sich auf Gewalt stützt.
Sie sieht in den Ereignissen am Schilfmeer
einen Sieg ihres Gottes, der ein Gott des Lebens ist,
und der über den Tod von Menschen
und eben auch über den Tod der Ägypter "weint".
So kann sie die Pauke in die Hand nehmen
und tanzend ihrer Freude Ausdruck verleihen.

So wird Mirjam auch ihrer eigenen Berufung
als einer Prophetin des Lebens gerecht.
Bereits als junges Mädchen hatte sie
die Geburtenpolitik des Pharao als tödliche Bedrohung erfahren.
Jedes männliche Neugeborene der israelitischen Sklaven
sollte nach ägyptischer Order sterben.
Mirjam rettete ihrem kleinen Bruder Mose das Leben:
Sie blieb in der Nähe, als ihre Mutter den Neugeborenen
in einem Binsenkörbchen auf dem Nil aussetzte.
Und ausgerechnet in der Tochter des Pharaos
fand sie für ihren Dienst am Leben des Bruders
eine Verbündete:
Sicher kein Zufall - Frauen im Dienst am Leben,
Frauen im Dienst eines Gottes, der ein Gott des Lebens ist.

Die frühe Kirche hat aus ihrer jüdischen Tradition heraus
die prophetische Botschaft der Mirjam verstanden und gelebt:
Christen dieser Zeit lehnten es ab, Blut zu vergießen,
und verweigerten den Dienst mit der Waffe.
Martin von Tour hat noch aus diesem Grund
seine Soldatenuniform ausgezogen.
Nach der Liaision von Kirche und Staat seit Konstantin
geriet die Botschaft der Mirjam in Vergessenheit
Erst in jüngerer Zeit engagiert sich unsere Kirche
wieder konsequent für das Leben -
nicht nur am Lebensanfang und am Lebensende,
sondern auch aus einer neu gewonnenen Grundeinstellung
zur Todesstrafe und nach und nach selbst zur Waffengewalt
Vielleicht sollte diese kirchliche Entwicklung
auch für uns ein Grund sein,
mit Mirjam ein Freudenlied anzustimmen und zu tanzen.

Noch einmal die Frage: Was ist die Botschaft der Mirjam?
Es ist nicht zuletzt eine Botschaft der Freude und des Jubels!
Bis auf den heutigen Tag verkündet Mirjam auch uns:
Legt all eure Sorgen und Ängste in Gottes Hand!
Ihr habt es erlebt: Er läßt uns nicht allein!
Selbst in der ausweglosen Situation tödlicher Gefahr,
führt Gott uns in ein neues Leben -
auf Wegen, die wir nicht einmal erahnen.
Darum: Seid dankbar!
Und bringt euren Dank voller Freude zum Ausdruck!
Musiziert und singt und tanzt!
Der ganze Mensch mit Leib und Seele soll jauchzen
und Gott loben und preisen.

Im "Gotteslob" finden sich Lieder wie dieses:
"Nun jauchzt dem Herren, alle Welt!" (GL 474)
Aber wann haben Sie das in der Kirche
schon einmal wirklich erlebt,
daß eine ganze Gemeinde voll dankbarer Freude jubelt und jauchzt?
Im Kindergottesdienst vielleicht!
Gelegentlich gelingt es auch einem guten Organisten,
die Orgel zum Jauchzen zu bringen.
Jugendliche Bands schaffen dasselbe
hier und da mit ihren Instrumenten.
Viel zu selten jedoch reißen sie die Gemeinde mit.
Fragen Sie doch einmal Menschen,
die von außen hinzukommen,
wie die unsere Gottesdienste erleben.
Immer wieder werden Sie hören,
die seien langweilig und freudlos.
Kein Wunder, daß Eltern sich schwer tun,
ihre heranwachsenden Kinder für den Gottesdienst zu motivieren!

Mirjam gelang es,
singend und tanzend die Menschen zu ermutigen
für den langen Weg durch die Wüste,
der nun vor ihnen lag.
Der dankbare Blick zurück
begründet das Vertrauen in die Zukunft
Das kommt immer wieder im Gebet Israels,
in den Psalmen zum Ausdruck:
Selbst die Klagepsalmen klingen aus
in einem ermutigendem Dank
für Gottes befreiendes Handeln in der Geschichte Israels.
 
Der Exodus Mirjams

Mirjam selbst war es ebenso wenig wie ihrem Bruder Mose vergönnt,
mit ihrem Volk in das Land der Verheißung einzuziehen.
Sie starb auf der langen Wüstenwanderung
in Kadesch, einem Platz in der Wüste Zin.
Dort wurde sie begraben. (Num. 20, 1).

Aber sie hat den ganzen Exodus mitgemacht,
den Weg aus dem Sklavenhaus Ägypten in die Freiheit.
Vierzig Jahre lang führte dieser Weg durch die Wüste.
Da blieb es nicht aus,
daß das Volk immer wieder in Mutlosigkeit versank.
Was schon eine Wanderung durch die Wüste von wenigen Tagen
Flüchtlingen abverlangt,
konnten wir gerade wieder - wenigstens am Fernseher - miterleben:
Hunderttausend und mehr Menschen auf der Flucht
aus Lybien zur rettenden Grenze Ägyptens oder Tunesiens.
Das waren vor allem Gastarbeiter,
fast ausschließlich Männer also.
Bei der Wüstenwanderung Israels jedoch
waren auch Frauen und Kinder mit unterwegs.
Sie vor allem litten unter der Härte des Lebens in der Wüste.
Wie so oft in der Geschichte
war die alltägliche Sorge ums Überleben
zumal den Frauen aufgetragen.

In der biblischen Überlieferung wird mehrfach berichtet,
daß das ganze Volk "murrte"
und sich nach den "Fleischtöpfen Ägyptens" zurücksehnte.
Leider ist dann nur noch von Mose und Aaron die Rede.
Mose und Aaron vermitteln Gottes Hilfe in der allergrößten Not.
•    Auf ihr Gebet hin regnet es Manna vom Himmel.
•    Auf ihr Gebet hin bedecken Schwärme von Wachteln
    den Lagerplatz des Volkes.
•    Als der Durst unerträglich wurde, heißt es,
     Mose habe auf Gottes Weisung hin
    mit seinem Stab an den Felsen geschlagen,
    und es habe sich eine Wasserquelle aufgetan,
    so daß das Volk seinen Durst stillen konnte.

Von Mirjam ist nichtmehr die Rede.
Und doch ist sie mit unterwegs!
Als sie bei Hazerot vom Aussatz befallen wird,
sperrt man sie wegen der Ansteckungsgefahr aus dem Lager aus.
"Das Volk (jedoch) brach nicht auf,
bis man Mirjam wieder hereinließ." (Num. 12, 15).
Nicht zuletzt unter dem Druck des Volkes
betete Mose um ihre Heilung.
"Erst nachher brach das Volk
von Hazerot wieder auf." (Num. 12, 15 f).

Die Wertschätzung des Volkes für Mirjam
hat sicherlich ihren Grund nicht allein
in jenem Siegeslied am Schilfmeer.
Es liegt vielmehr nahe anzunehmen,
daß Mirjam während der ganzen Wüstenwanderung
tagtäglich ihrer Berufung
als 'Prophetin der Ermutigung' gerecht wurde.
Wie sie damals am Schilfmeer
vor allem die Frauen um sich scharte
und sie zum dankbar-frohen Tanz motivierte,
so dürfte sie auch später immer wieder
vor allem den Frauen Mut zugesprochen
und ihnen in ihren alltäglichen Sorgen beigestanden haben.
Anders wäre kaum zu erklären,
daß sie im Gedächtnis Israels
als Prophetin tief verankert blieb.

Die Botschaft der schweigenden Prophetin

Was ist nun die Botschaft
 der zum Schweigen gebrachten Mirjam für uns heute?
Wir sollten uns fragen:
•    Was bedeutet Ägypten für uns?
•    Was bedeutet Exodus, Auszug aus Ägypten?
•    Was bedeutet Wüste und Weg durch die Wüste?
Als einzelne kämen wir vielleicht zur Erkenntnis,
daß unser Eingezwängt-Sein, dieses Keine-Luft-mehr-Kriegen
unser ganz persönliches Ägypten ist.
Als Kirche könnten wir möglicherweise zu der Erkenntnis kommen,
wie sehr wir versklavt sind
durch sehr zeitgebundene, kulturelle Traditionen.
Nicht selten hindern uns solche Traditionen daran,
das Evangelium Jesu Christi
als frohmachende und befreiende Botschaft zu erfahren.
Denken Sie - gerade im Blick auf Mirjam - zum Beispiel
an die Traditionen des Patriarchalismus gerade in der Kirche.

Wir sind immer - wie das alte Israel - in der Versuchung,
uns zurückzusehnen nach den alten, besseren Zeiten.
Wir vergessen gar zu leicht,
daß diese 'alten Zeiten' wohl anders,
aber keineswegs ‘besser’ waren.
•    Wie Mirjam sollten wir unseren Blick
    nicht auf die Vergangenheit richten.
•    Wie sie sollten wir vielmehr
    voller Vertrauen in die Zukunft schauen
    und wie sie mutig die Gegenwart gestalten.
•    Wie sie sollten wir
    aus der unerschütterlichen Überzeugung leben:
    Gott ist treu! Er ist Tag für Tag mit uns unterwegs -
    auch wenn wir seine Gegenwart nicht jederzeit spüren.
 
Vermutlich war auch Mirjam
während der langen Wüstenwanderung
nicht gefeit vor dem tiefen Fall in die Mutlosigkeit
Vermutlich hat sie vor allem aus dem Gebet
immer wieder neue Kraft geschöpft
und wohl auch aus der Erfahrung der Gemeinschaft.
Diese Gemeinschaft ihres Volkes ließ sie schließlich nicht im Stich
während der dunklen Stunden ihrer Krankheit.
Immer wieder dachte sie wohl daran.
Wie hätte sie sonst ihrerseits all die anderen ermutigen können?!

Auch für unser eigenes Überleben brauchen wir beides:
•    Im Gebet müssen wir uns ständig der Nähe Gottes vergewissern.
•    Die Erinnerung an all die Momente,
    in denen andere uns in dunklen Zeiten gestützt haben,
    kann uns in Gegenwart und Zukunft neue Energie schenken.

Das gilt für Situationen ganz persönlicher Mutlosigkeit
und nicht weniger für all die Enttäuschungen,
die wir immer wieder in der Kirche erfahren.
Von Mirjam können wir lernen, nicht aufzugeben,
sondern an jedem Morgen neu aufzubrechen.
Der Weg zurück in alte Zeiten ist ein Irrweg!
Der Weg hinaus aus der Gemeinschaft
- auch der Weg der inneren Emigration -
führt nur noch tiefer hinein in die ' Wüste'!
Je mehr es uns gelingt, aus dem Vertrauen auf Gott
und im Bewußtsein unserer eigenen Kraft zu leben;
je mehr wir auch die Ressourcen des Miteinanders ausschöpfen,
um so mehr werden wir - wie Mirjam -
Menschen um uns herum ermutigen können.
 
'Ermutigung' geschieht übrigens nicht vor allem durch Worte!
Auch das können wir von Mirjam lernen.
Morgen (am 3. Fastensonntag) erzählt die Exodus-Lesung
von der größten Not,
die dem wandernden Gottesvolk zu schaffen machte:
Der quälende Durst in der brennend heißen Wüste.
Wieder ist nur von den Männern die Rede -
von Mose und von den 'Ältesten' des Volkes.
Mose erhält von Gott den Auftrag,
mit seinem Stab auf die Felsen des Horeb zu schlagen.
"Es wird Wasser herauskommen, und das Volk kann trinken,"
verheißt Gott dem Mose.

Aber erinnern wir uns!
Mirjam und Aaron fragten sich:
"Hat etwa der Herr nur mit Mose gesprochen?
Hat er nicht auch mit uns gesprochen?" (Num. 12, 2).
Es liegt doch auf der Hand:
•    Mehr als die Männer bedrohte der Tod durch Verdursten
    all die Kinder, die inmitten des Volkes unterwegs waren.
•    Mehr als die Männer litten die Mütter mit ihren Kindern
    und mußten ihr qualvolles Sterben mit ansehen.
Nicht erst seit jenem Siegeslied am Schilfmeer
war Mirjam gerade mit den Frauen und Müttern
ganz eng verbunden und fühlte mir ihnen -
nicht nur in den Stunden des Jubels,
sondern vermutlich mehr noch
in Zeiten von Not und Niedergeschlagenheit.

Hat Gott mit ihr auch gesprochen am Horeb,
als der Durst unerträglich wurde?
Welchen Auftrag hatte Gott für sie?
Wir wissen es nicht.
Die Überlieferung schweigt.
 
Aber Mirjam war und blieb die 'Prophetin der Ermutigung'!
Ohne große Worte war sie einfach da,
lebte und litt mit den Menschen,
mit den Frauen und Kindern zumal.
Immer wieder wird Sie tröstend
die Hand so manch einer Mutter gehalten
und kühlend die Stirn eines sterbenden Kindes gestreichelt haben.
In solchen Momenten wurde sie wohl selbst
für viele Menschen zu einer "sprudelnden Quelle,
deren Wasser Leben schenkt" -
in einem viel tieferen Sinne
als jene Quelle, die Mose mit seinem Stab öffnete.
Denn auch von der Quelle des Mose gilt,
was Jesus morgen im Evangelium vom Jakobsbrunnen sagt:
"Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen."

Sache der Mirjam waren wohl eher selten große 'Events' -
für die hatten eher Männer wie Mose einen Sinn.
Mirjams Dienst der Ermutigung -
das war einfach ihre menschliche Nähe,
das waren die kleinen Zeichen des Verstehens und Mitfühlens,
das waren helfende Handgriffe.

Vermutlich griff sie auch in der alltäglichen Mühe und Not
der Wüstenwanderung immer mal wieder zur Pauke
und stimmte Lieder an,
die das Leben erträglicher machten.

Als das Volk am Horeb zu verdursten drohte,
war der Dienst des Mose zweifelsohne not-wendend!
Nicht weniger lebensrettend und vielleicht sogar nachhaltiger
war der ermutigende Dient der Mirjam.
Wir brauchen auch heute beides:
Die tatkräftige Lösung ganz praktischer Probleme
und den Dienst von Prophetinnen und Propheten der Ermutigung.
Wir brauchen beides
in Stunden ganz persönlicher Niedergeschlagenheit,
ebenso wie in frustrierenden Zeiten kirchlichen Lebens.
Wir brauchen beides im gläubigen Bewußtsein,
daß Gott uns zum einen wie zum anderen auch heute beruft.

Was wäre, wenn...?

Abschließend noch eine spannende Frage,
der Sie selbst über diesen Abend hinaus
während der Fastenzeit ein wenig nachgehen könnten und sollten:
Was wäre, wenn Gottes 'Gesetz'
- oder besser: Gottes 'Weisung' -
vqn Mirjam, statt von Mose aufgezeichnet worden wäre?

Zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit in der Kirche
habe ich von einem Menschen, dem ich viel verdanke, gelernt:
Protokolle von Sitzungen und Konferenzen
schreibst du am besten selbst!
Nach Monaten und Jahren weiß niemand mehr,
was wirklich gesagt und beschlossen wurde;
alles ist nur durch das Protokoll belegt.
Und so sehr der Protokollant auch bemüht ist,
das, was wirklich Sache war, schriftlich festzuhalten -
das Protokoll wird dennoch seine Handschrift tragen.

Selbstverständlich trägt auch die Thora, Gottes 'Gesetz' also,
die Handschrift des Mose und die Handschrift all derer,
die die Thora später entfaltet und ausgelegt haben -
alles Männer!
Das gilt bis heute -
bis hinein in die aktuelle kirchliche Auslegung
des Willens Gottes und der göttlichen Offenbarung überhaupt.
Es ist und bleibt spannend, immer wieder der Frage nachzugehen:
Was wäre, wenn Gottes 'Gesetz' und Gottes Offenbarung
von Mirjam, statt von Mose aufgezeichnet worden wäre?
Welche Akzenten würden sich verschieben,
wenn Frauen und Männer gemeinsam entfalten würden,
was Gottes Wille für uns heute und für unsere Zeit ist.

Amen.