Predigt zum 1. Fastensonntag (A)
am 10. Februar 2008
Evangelium: Mt. 4, 1 - 11
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Versuchung!

Wer führt eigentlich wen in Versuchung?
Der „Sündenbock" ist schnell gefunden,
wenn wir vorschnell dem Evangelium folgen:
Natürlich der Teufel!

Allerdings - wenn wir unsere eigenen Erfahrungen
mit der Versuchung ein wenig reflektieren,
und wenn wir darüber hinaus noch ehrlich sind,
ist die Antwort nicht ganz so einfach.

1.    Vielmehr müßte eine ehrliche Antwort
ganz schlicht lauten:
Unser eigener „innerer Schweinehund"
führt uns in Versuchung.

Dann aber lautet die nächste Frage gleich:
Wie kommt dieser „Schweinehund" in uns rein?
Sind wir nicht gut geschaffen
und nach Gottes Bild und Gleichnis?

Die Kirche gibt darauf seit eh und je die Antwort:
Der „Schweinhund" in uns -
das ist die Folge der „Erbsünde".
Nun hat Erbsünde nichts mit biologischer Vererbung zu tun.

Eher steckt da die gesamte Menschheitsgeschichte dahinter -
angefangen von Adam und Eva.
Und immer geht‘s um das Streben der Menschen
nach Autonomie, Selbstbestimmung,
Macht und Einfluß nach eigenem Gutdünken.

Wo das hinführt?
Zur Auflehnung gegen Gott - und das immer wieder,
in jeder Generation, seit Menschengedenken.
Diese Auflehnung ist sozusagen chronisch geworden
und ansteckend außerdem:
Wie ein Virus verseucht sie die Luft, die wir atmen -
die schlimmste Umweltverschmutzung,
seit es Menschen gibt.

In dieser Virenkultur lebt und entwickelt sich
unser „Schweinehund".
Heinrich Heine bündelt die Macht- und Geltungsintention
des „inneren Schweinehundes" in dem Schlüsselwort „Geld":

    „Die große Menge glaubt nur an Geld.
    Besteht nun die heutige Religion in der Geldwerdung Gottes
    oder in der Gottwerdung des Geldes?
    Genug, die Leute glauben nur an Geld;
    nur dem gemünzten Metall,
    den silbernen und goldenen Hostien,
    schreiben sie eine Wunderkraft zu;
    das Geld ist der Anfang und das Ende aller ihrer Werke"
                                            (Die romantische Schule, 1832/35)

Genau das umschreibt die Bibel mit dem Wort
vom Götzendienst.
Sie mögen in dieser Fastenzeit selbst darüber nachdenken,
an welchem „wunden Punkt" ihr eigener „innerer Schweinehund"
mit seiner Versuchung bei Ihnen ansetzt.

Und es lohnt sich darüber nachzudenken,
was unsere eigenen wunden Punkte
mit der Ur-Versuchung der Menschheit zu tun haben -
mit dem Bedürfnis nach Geltung, Einfluß und Macht.

2.    Wer führt wen in Versuchung?
Es liegt nahe, bei einer Antwort auf diese Frage
auch an den lieben Nächsten zu denken.
Auch der bietet sich an als „Sündenbock".
Wir sind soziale und kommunikative Wesen.
Da gibt es ein ganzes Netz gegenseitiger Einflußnahme -
von Mensch zu Mensch
und eben auch von Schweinhund zu Scheinehund.

Wir sollten darüber jedoch eins nicht vergessen:
In jedem Menschen gibt es nicht nur den „Schweinehund",
sondern ebenso kleinere und größere Scherben
jenes Spiegelbildes Gottes, das wir ursprünglich waren,
bzw. sein sollten.

Wer verbietet uns eigentlich,
mit guten Augen vor allem diese Lichtseiten
im Anderen zu entdecken,
uns an diesen Lichtseiten zu erfreuen
und uns von ihnen erleuchten, entzünden zu lassen,
statt uns von den dunklen Seiten des „Schweinehundes"
hinab ziehen zu lassen?

Wichtig ist in dieser Fastenzeit auch die Frage:
Welchen Einfluß übe ich selbst aus -
gegenüber Kindern und Jugendlichen,
gegenüber Kolleginnen und Kollegen,
gegenüber Freunden und Nachbarn?
Stelle ich mein Licht auf den Leuchter,
damit es allen leuchtet, denen ich begegne?
Oder lasse ich meinen „inneren Schweinhund" von der Leine,
so daß er auch andere anfallen und  in Versuchung führen kann?

3.    Wer führt wen in Versuchung?
Die sogenannte 68-er-Generation steht heute
nicht in sonderlich gutem Ruf.
Aber wenigstens eine Erkenntnis verdanken wir ihr:
Es gibt nicht nur eine individuelle,
sondern auch eine institutionelle Sünde
und dementsprechend nicht nur individuelle Versuchung,
sondern wenigstens ebensosehr
eine institutionelle, systembedingte Versuchung.

Gerade in diesen Tagen sind wir durch die Medien
mit einigen klassischen Beispielen konfrontiert:
Irgendein Devisenhändler einer bedeutenden französischen Bank
hat dieser Bank und damit auch den Anlegern und der Öffentlichkeit
einen Milliardenschaden zugefügt
durch riskante Spekulationen,
die „den Bach runter gingen".
Hier bei uns in Deutschland ist
durch riskante Spekulationsgeschäfte
die West-LB ins Schlingern geraten.
Die Folge: 1500 Arbeitsplätze gehen verloren,
die Teilhaber der Bank - Länder und Sprakassenverbände -
machen Milliarden öffentlicher Gelder locker,
um die Bank zu sanieren.

Wenn irgendetwas Sünde ist, dann das!
Und für die Versuchung, die in diese Sünde hineinführte,
ist nicht in erster Linie der „innere Schweinhund"
der unmittelbar Beteiligten verantwortlich,
sondern zunächst und vor allem
das finanz-kapitalistische System,
das Spekulation und eben auch riskante Spekulation
überhaupt erst möglich macht
und ohne diese Methode der Geldvermehrung
gar nicht funktionierte.

Wenn‘s dann „in die Hose geht",
wird weder das System in frage gestellt,
noch werden die Repräsentanten dieses Systems
zur Verantwortung gezogen.
Vielmehr baden „die kleinen Leute", wir alle,
und zumal all diejenigen, die ihren Job verlieren,
den Schaden aus.

Das gleiche System erlaubt es,
private Kredite von Banken
und auch Sparkassen an kleine „Häuslebauer"
auf dem Kapitalmarkt zu „verkaufen" -
zum Beispiel an Hedgefonds,
also an Risikofonds,
die möglicherweise den Kredit „in den Sand setzen".
Nicht von ungefähr haben viele davor Angst -
auch Gemeindemitglieder.

So etwas ist Sünde - systembedingt!
Diese Sünde und die Versuchung dazu,
der selbst öffentlich-rechtliche Sparkassen erliegen,
muß aus der Welt geschafft werden.
Und das geht nur politisch!
Von wegen:
Aus der Politik halte ich meine Finger raus!
Auch das ist eine Versuchung!

4.    Wer führt wen in Versuchung?
Viele von uns stolpern immer wieder
über die Bitte im „Vater unser":
„Und führe uns nicht in Versuchung".
Führt Gott selbst in Versuchung?

In dieser Gebetsbitte geht es nicht um die Versuchung
zu dieser oder jener moralischen Verfehlung.
Vielmehr geht es um unseren Glauben selbst,
um unser Leben in der Nachfolge Jesu:
In dieser Nachfolge können Menschen
so verwirrende oder schmerzliche Erfahrungen machen,
daß sie darüber ihren Glauben, ihre Hoffnung
und ihre Liebe verlieren.

Wir machen als Getaufte ja nicht nur die Erfahrung
der helfenden und tragenden Nähe Gottes.
Unser Leben aus dem Glauben erscheint
ja nicht nur anderen hier und da als „töricht".
Auch uns selbst kann sich die Gewißheit entziehen,
im Evangelium einen Schatz gefunden zu haben,
für den es sich lohnt, mit Freude vieles andere loszulassen.

Wir spüren nicht zu jeder Zeit in gleicher Intensität
Gottes Nähe und die Freude am Glauben.
Wir gewinnen unter Umständen gar den Eindruck,
Gott habe sich uns entzogen,
es gebe Ihn vielleicht gar nicht.

Unter diesem Eindruck geraten wir vielleicht in Versuchung,
den Glauben aufzugeben -
wahrscheinlich nicht von heute auf morgen.
Glaubensverlust kann ein langsam fortschreitendes Geschehen sein.
Gott wird uns immer unwichtiger,
bis wir nichts mehr mit Ihm anzufangen wissen.
Wir trauen Ihm dann nicht mehr die ganz große Freude zu.
Traurig und resigniert finden wir uns dann
mit der schmerzlichen Wirklichkeit ab
und richten uns in dieser säkularisierten Welt ein.

Wir beten also im „Vater unser" darum,
Gott möge uns diese „gefühlte" Gottesferne nicht zumuten -
jedenfalls nicht so, daß sie für uns zur Versuchung wird.
Das „Vater unser" lebt vom Vertrauen darauf,
daß Gott sich nicht die Geschichte der Menschen
und auch nicht unser eigenes Schicksal aus der Hand nehmen läßt.
Er befreit uns von allen Mächten des Bösen,
die in der Gottesferne ihr Unwesen treiben.

5.    Noch ein letztes Mal sei die Frage gestellt:
Wer führt wen in Versuchung
und was hat der „Teufel" damit zu tun?

Auf die Frage „Gibt es den Teufel"
antworte ich mit aller Entschiedenheit:
Ja, es gibt ihn!
Wir erfahren seine Macht Tag für Tag in uns selbst.
Wir begegnen ihm in dieser Welt auf Schritt und Tritt.

Das heißt jedoch keineswegs,
daß ich den Teufel personifizieren muß.
Das heutige Evangelium scheint die Existenz des Teufels
als Person nahezulegen.
Die Kirche hat sich diese Frage immer offen gelassen,
auch wenn Teufelsglaube sich oft genug
auch in der Kirche breit gemacht hat - zumal im Volksglauben.
Die Kirche weiß nur zu gut,
daß der Teufelsglaube immer wieder
in den von ihr eindeutig verurteilten Dualismus
guter und böser Mächte hineinführt.

Nehmen wir den „Teufel" ernst als das, was er ist:
Ein eindrückliches Bild für die unausweichliche Erfahrung
der Mächte des Bösen,
die die Menschheit selbst erst hat groß werden lassen.

Setzen wir zugleich unser ganzes Vertrauen
auf Gottes gute Macht,
und auf das Kommen Seines Reiches
der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe.

Amen.