Predigt zum Karfreitag
am 14. April 2006
zur Lesung: Jes. 52, 13 - 53,  12
Autor: P. Heribert Graab S.J.
In der Lesung haben wir soeben einen Text gehört
aus den berühmten „Gottesknechtliedern" des Jesaja.
Diese uralten Lieder besingen das Schicksal
eines von Gott erwählten „Knechtes",
durch den sich die Bundeszusage Gottes an Israel erfüllen soll,
und dem dennoch vom „Gottesvolk" schlimm mitgespielt wird.
Die Botschaft des Jesaja lautet jedoch:
Der Herr findet Gefallen an Seinem Knecht,
und der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen:
„Mein Knecht, der gerechte,
macht die vielen gerecht."

Wir wissen nicht, ob Jesaja an einen konkreten Menschen dachte,
als er diese Gottesknechtlieder verkündete.
Wohl aber ist es faszinierend,
sie rückblickend aus der Perspektive der Passions-
und Ostergeschichte Jesu zu lesen.
Da gibt es beeindruckende Parallelen.
So ist es nicht weiter erstaunlich,
daß bereits die ersten Christen und die Autoren des Neuen Testamentes
im Gottesknecht des Jesaja
eine prophetische Vision des Messias Jesus Christus erblickten.

Ich möchte aus den Gottesknechtsliedern
einen Aspekt herausgreifen,
an dem ich mich seit vielen Jahren und jedes Jahr neu stoße:

In der Karfreitagslesung hören wir immer wieder:
„Er wurde mißhandelt und niedergedrückt,
aber er tat seinen Mund nicht auf.
Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt,
und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer,
so tat auch er seinen Mund nicht auf."

An einer anderen Stelle, die am vergangenen Mittwoch
in der Liturgie gelesen wurde, heißt es vom Gottesknecht:
„Ich hielt meinen Rücken denen hin,
die mich schlugen,
und denen, die mir den Bart ausrissen,
meine Wangen.
Mein Gesicht verbarg ich nicht
vor Schmähungen und Spreichel."

In der Deutungstradition haben solche Texte dazu geführt,
daß Jesus als ganz und gar passiv erscheint:
Er wehrte sich nicht, ließ alles mit sich gescheh‘n.
Genau in diese Richtung geht auch
das weit verbreitete Verständnis von Jesus als „Opferlamm".

Eine solche Interpretation des Leidens Jesu
gilt es meines Erachtens zu hinterfragen.

Zunächst einmal paßt diese Interpretation kaum
zu dem Bild Jesu, das die Evangelien
von Seinem ganzen Leben vermitteln:
Er hat Sein Leben höchst aktiv gelebt.
Er hat sich immer wieder sehr konträr verhalten zu dem,
was die Menschen Seiner Zeit von Ihm erwarteten.
Nicht nur durch Seine Worte,
sondern mehr noch durch Sein Verhalten
und durch Sein aktives Handeln
hat Er mehr und mehr den Unmut und schließlich die offene Feindschaft
der religiösen und politischen Obrigkeit provoziert.
Selbst Seinen Jüngern ging vieles von dem,
was Er tat, gegen den Strich.

Er ging auch heftigen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg.
Seine Wortwahl gegenüber Pharisäern und Schriftgelehrten
war in vielen Fällen alles andere als zimperlich.
Seinen ersten Apostel, den Petrus,
nannte er einmal sogar „Satan".
Und gerade in Seinen letzten Tagen in Jerusalem
wurde Er sogar handgreiflich
und griff sehr aktiv ein gegen das Treiben im Tempel,
der in Seien Augen zu einer „Räuberhöhle" geworden war.

Von wegen - Er wehrte sich nicht.
Bzw. Er ließ alles passiv mit sich geschehen.
Gerade weil Er von Seiner Sendung überzeugt war,
und weil Er um dieser Überzeugung willen
keiner Auseinandersetzung aus dem Weg ging,
konnte und wollte Er auch nicht der letzten Konsequenz,
dem Kreuz ausweichen!

In diesem Zusammenhang müssen wir wohl auch noch einmal
einen Blick auf Seine Bergpredigt werfen.
„Leistet dem, der euch etwas Böses tut, keinen Widerstand!"
heißt es da.
„Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt,
dann halt ihm auch die andere hin."
Mir scheint, es wäre grundfalsch, solche Worte Jesu
als Ausdruck von Passivität zu deuten.
Im Gegenteil:
In der Strategie der Verdoppelung -
„halt auch die andere Wange hin",
„gib dem, der dir das Hemd wegnehmen will, auch noch den Mantel",
„geh zwei Meilen mit dem, der dich zwingt,
ihm eine Meile als Lastesel zu dienen" -
in solchen „Verdoppelungen" kommt
eine durch und durch aktive und demonstrative Haltung
zum Ausdruck.

Das haben diejenigen erkannt,
die heutzutage gewaltfreien Widerstand praktizieren -
angefangen von Mahatma Ghandi.
Niemand wird behaupten wollen,
daß z.B. Ghandi in eine passive „Opferlamm"-Rolle geschlüpft ist.

Jesus wurde zum „Opfer" - das ist richtig.
Er wurde zum Opfer von Herrschaftsinteressen,
Er wurde zum Opfer auch von Bosheit und Unmenschlichkeit,
Er wurde zum Opfer all derer,
die ihn aus Angst vor den Konseuenzen
Seines konsequenten Lebens für sie selbst
aus dem Wege räumen wollten.

Er hat sich höchst aktiv auf den Kreuzweg eingelassen
in Solidarität mit all den vielen,
die vor Ihm und nach Ihm auf diesen Kreuzweg gezwungen wurden.

Er war aktiv dem Willen des Vaters gehorsam -
nicht etwa weil der ein Liebhaber von Leid und Tod ist,
sondern weil Seine Liebe allem Haß und aller Unmenschlichkeit
radikal und kompomißlos entgegen steht.
Diese Liebe des Vaters hat Jesus nicht nur gepredigt
und gelebt, solange es nicht viel kostete.
Er hat sie gelebt bis zur letzten Konsequenz -
bis zum Tod am Kreuz.

Ein wenig nur von dieser konsequenten
und bedingungslosen Liebe heute in unserer Welt
und eben auch in unserem ganz persönlichen Leben -
diese Welt käme der erhofften Zukunft des „Friedensreiches Gottes"
ein erhebliches Stück näher.

Amen.