Zweite Fastenpredigt 2006 am 12. März
"Dem Leben trauen -
Wege zur inneren Freiheit"

Autor: P. Tobias Zimmermann S.J.


Manchmal scheint es, als feuere das Schicksal plötzlich mit Kanonen auf uns. Deshalb graben wir uns tiefe Schützengräben: Unsere Muss – Sätze darüber, was man tun muss, um im Leben zu etwas zu kommen; Unsere „das Leben genießen, solange es geht – Devisen“, die private Glücksidylle mit hoher Schutzmauer. Aber oft durchschlägt eine Kugel eben all das; Und unter den Trümmern eines solchen Schlages werden dann alle Träume und die Lebenskraft verschüttet, die Zukunft eines Lebens.

Liebe Schwestern und Brüder, so geschehen auch mit dem Hl Ignatius, damals noch Inigo genannt – ein ehrgeiziger junger Edelmann, der hoch hinaus wollte.

Sein überlieferter Heldenmut bei seinem ersten militärischen Projekt, der Verteidigung der Stadt Pamplona, hatte, glaube ich, auch mit seiner Karriereplanung zu tun – sich einen Namen machen! Da war er um die 30.
Mitten hinein in sein Zukunftsprojekt schießt eine Franzosenkanone, zertrümmert sein Bein und seine Zukunft am Hofe. Sterbenskrank bringt man ihn in die Burg seiner Väter, nach Loyola, zusammengeflickt von Ärzten, die nichts von ihrem Handwerk verstehen. Als er wider Erwarten überlebt, passt sein Fuß nicht mehr in den Stiefel – Und aus der Traum: Ohne Stiefel keine Rückkehr zum höfischen Leben – keine Zukunft als Edelmann.

Und wie ernst er es meint, unser Held:    Wie, das soll es gewesen sein. Niemals! Also lässt er sich das Bein, gerade halbwegs genesen, wieder brechen. Liebe Schwestern und Brüder, ohne Betäubungsmittel – ich würde sagen – dieser Mann hat es mit seiner Karriere sehr ernst gemeint. Half nur leider nichts! Das Bein wuchs noch krummer zusammen und brauchte noch länger, um zu heilen.

Nicht wahr, das klingt lächerlich: Aus der Traum, weil der Stiefel nicht mehr passt. Es könnte uns zu denken geben, von welchen äußerlichen Idiotien wir manchmal unsere Zukunft abhängig machen lassen – aber so funktioniert gesellschaftliches Leben: Dabei sein ist alles, selbst wenn man sich dafür die Beine brechen muss oder in Containern die eigene Privatsphäre einer versprochenen Berühmtheit opfert oder sich das Leben aus dem Leib hungert, um am Ende doch nur verhungert auszusehen und nicht wie die wunderschönen Supermodels direkt aus der Photoshop – Retusche.

Liebe Schwestern und Brüder,

manchmal ist es allerdings auch so, dass das Leben dann erst richtig beginnt, wenn alle Sicherheiten und die Zukunft des Lebens plötzlich pulverisiert sind; Wenn nichts mehr übrig ist von den tief eingefahrenen Überzeugungen, Selbstbildern, Plänen und Lebensgewohnheiten.

Bei Ignatius war das so: Aus Langeweile beginnt er zu lesen. Was wohl? Ritterromane – den Amadis. Stinklangweiliges Zeug, kann ich Ihnen aus heutiger Sicht sagen. Ritter galoppiert, Ritter hört Edelfräulein schreien, Ritter tötet Drachen, Ritter galoppiert weiter, Ritter hört nächstes Edelfräulein ... Ich erspare Ihnen das Weitere.
Kein Wunder, dass Ignatius – bei aller Bewunderung für Ritter und Heldentaten – irgendwann davon genug hatte. Dann gab es noch ein oder zwei andere Bücher. Aber es wundert einen nicht, dass der junge Karrierist Inigo sich die für später aufgehoben hatte: „Die Nachfolge Christi“ und „Heiligenlegenden“. Jetzt aber in der Not ...

Da macht er interessante Entdeckungen: 
1.    Er entdeckt, das, was er immer suchte plötzlich in einem anderen Gewand wieder: Heldentaten für Gott, statt für einen weltlichen König.
2.    Und wenn er nun über diese Heldentaten Tag – träumt, dann halten die Gefühle von Erfüllung und Trost bei ihm länger an. Der Traum von einer Karriere bei Hof dagegen verblasst langsam.

Ich glaube: Ignatius hat auf dem Krankenbett also zwei Dinge gelernt:

1.    Gerade da wo er an Grenzen stößt, an denen er leidvoll lernen muss, dass wir das Leben nicht planen, kanalisieren und unter unsere Fuchtel stellen können, gerade dort entdeckt er, wie fixiert und eng sein Blick zuvor war – eingeengt durch Konventionen, in denen er aufgewachsen war, zementiert durch seinen eigenen Ehrgeiz und seinen Standesdünkel. Er entdeckt, wie er vorbei geschaut hat an Möglichkeiten, die so unendlich erfüllender für ihn sind, als die Ziele, die er gewaltsam gegen das Leben durchsetzen wollte.
Kurz: Er entdeckt eine Weise zu leben, die mit dem Lebensstrom geht, sich von ihm tragen lässt, statt sich gewaltsam gegen ihn zu stemmen und alles selbst machen zu wollen. Es ist ein im tiefsten Sinne gewaltfreies Leben, das sich ihm eröffnet.
 
2.    Und er entdeckt, dass die Erfüllung des Leben nicht abhängen muss von den äußeren Umständen: Das lässt ihn dann später sagen, man solle Reichtum nicht mehr begehren als Armut, Ehre und Berühmtheit, also gesellschaftliche Zustimmung, nicht mehr als ein Leben ohne diese Bestätigungen; Ja man solle sogar Gesundheit nicht mehr begehren als Krankheit ...
Hier findet Ignatius eine tiefe innere Freiheit; Eine Freiheit die soviel unverkrampfter ist als die liberale Freiheit der Selbstbehauptung des Individuums gegen die Freiheit anderer. Es ist eine Freiheit, die alles, was ihr begegnet oder widerfährt, auch das Unangenehme, Widerständige oder Leidvoll, erst einmal unvoreingenommen annehmen kann, um zu sehen, ob darin nicht gerade ein tieferer Sinn, eine tiefere Erfüllung, d.h. der Wille Gottes verborgen sein könnte.

Nun wissen wir alle, wie müßig es ist, sich sagen zu lassen, „seien Sie so frei“, wenn man sich gar nicht frei fühlt. Woraus also schöpft diese Freiheit?

Da ist einerseits eine große Nüchternheit und Wahrhaftigkeit dem Leben und sich selbst gegenüber: Sich nichts mehr vormachen über unsere Lebensmöglichkeiten und ihre Grenzen; Sich vor Augen führen, wo wir leben: Nämlich im Angesicht einer unendlichen Weite, vor der jeder Sinn, den wir unserem Leben abzuringen vermöchten unwiderruflich verweht.

Wir sind erfüllt von einem solchen Lebenshunger, dass nichts in der Welt ihn stillen kann. Wenn etwas aber in unserem Schicksal ganz ohne Zweifel feststeht, dann dies: Dass wir alles loslassen müssen, dass alles ein Ende haben kann und wird, nicht irgendwann einmal, sondern jeden Moment. Der Tod beendet – biblisch gesprochen – nicht nur irgendwann einmal unser Leben, sondern er begrenzt und überschattet es immer schon. Und keine Absicherung der Welt kann dies verhindern. Wohl dem Menschen, der dies nicht erst vom Schicksal lernen muss, wenn es ihm keine andere Wahl mehr lässt. Religiös leben heißt, bewusst im Angesicht des Todes siedeln.

Gerade wenn wir aber dieser rauen Erfahrung Stand halten, kann sich ein neuer Horizont auftun. Plötzlich entdecken wir, dass wir leben und Erfüllung erleben –  Tag für Tag, obwohl dies alles andere als selbstverständlich ist. Wir entdecken, wie wir jeden Tag unseres Lebens ganz ohne unser Zutun getragen werden. In der Sprache Jesu gesagt: „Was macht Ihr Euch Sorgen um das Morgen, es fällt kein Spatz vom Himmel fällt, ohne dass der gute und barmherzige Gott es zulässt“.

Das Merkwürdige ist, dass dieses neue Lebensfundament Menschen die Kraft gibt, auch dann noch an Gott und das Leben zu glauben und sich liebevoll getragen zu wissen, wenn definitiv kein Weg mehr am sinnlosen Ende des eigenen Lebens vorbeizuführen scheint. So kann der Jesuitenpater Alfred Delp in der Todeszelle, kurz vor der sicheren Hinrichtung den Satz notieren: „Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.“ Die Erfahrung von Gott im Leben getragen zu sein, ist so gültig, dass sich auch der Tod an ihr die Zähne ausbeißt.

Müssen erst Kanonenkugeln kommen, damit wir diese innere Freiheit erlangen?

Unsere Selbstbilder und Lebenseinstellungen sind in der Regel ziemlich zäh und beharrlich, da wir sie von frühester Jugend eingeimpft bekommen. Da braucht es schon harten Tobak oder aber kontinuierliche kleine Schritte des Übens. So entwirft Ignatius geistliche Übungen: Sie sollen uns Schritt für Schritt frei machen vom Druck, das Leben selbst machen zu müssen; Frei auch von den vielen ungeordneten Anhänglichkeiten, im Bild gesagt von den Statusstiefeln, die uns vielleicht gar nicht passen und unser Leben beschweren; Übungen, die uns frei machen können, den Willen Gottes zu entdecken, wo immer er uns entgegentritt.

Wie könnten erste kleine Übungen in dieser Fastenzeit für uns aussehen, die uns mehr innere Freiheit geben? Drei kleine Anregungen müssen hier reichen:

1.    Nehmen Sie sich am Abend einige Minuten Zeit in einer geschützten Atmosphäre, die angenehm für Sie ist: Treten Sie bewusst vor Gott und bitten Sie Ihn, sich mit Ihnen den Tag anzuschauen. Schauen Sie mit freundlicher Neugier auf alles, was Ihnen begegnet ist, ohne zu zensieren und ohne sofort zu benoten. Versuchen Sie Gott zu danken, für das was war und ihm alles zu übergeben, das Fertige und das Bruchstückhafte. Sie werden ganz schnell merken, wo es Ihnen nicht möglich ist, loszulassen, ohne sich selbst anzuschwindeln.
2.    Halten Sie Gott gerade all das hin, wo Sie viel Druck und innere Unfreiheit merken: Schauen Sie es sich zusammen mit ihm nochmals an; Es ist wirklich mehr ein Schauen als ein Nachdenken. Horchen Sie, ob von irgendwoher eine Idee kommt, zu einem kleinen, konkreten Schritt, den Sie morgen in Richtung auf etwas mehr Freiheit tun könnten. Aber erinnern Sie sich immer daran: Es geht um eine Übung: Lieber ein kleiner und konkreter Schritt, als einer der sie überfordert und entmutigt.
3.    Würdigen Sie am nächsten Abend, wo immer ein klein wenig von dieser inneren Freiheit entstanden ist, wo immer ein wenig von der ruhigen Gewissheit gewachsen ist, dass das Leben uns trägt.
 
Liebe Schwestern und Brüder, lassen Sie uns in dieser Fastenzeit kleine Schritte tun, um dem Leben mehr zu trauen, weil Gott es mit uns lebt. Amen