Pfingstpredigt 2005
Lesung: Apg. 2, 1 - 11;
Autor: P. Heribert Graab S.J.
Pfingsten:
Die Autobahnen sind verstopft;
alle fahren heute ins Grüne.

Merkwürdig:
Keines der großen Feste des Kirchenjahres
ist uns so fremd geworden wie gerade Pfingsten.

Wir stehen vor dem Pfingstereignis,
das uns die Lesung dieses Festes erzählt,
vermutlich „wie Ochsen vor einem Berg" -
vergleichbar jenen Beobachtern, die damals schon spotteten:
„Die sind doch von süßem Wein betrunken!"

Wir haben offenkundig keine Anknüpfungspunkte
in unserer konkreten Erfahrung -
keine Anknüpfungspunkte für ein Verstehen dessen, was da geschieht.
Es fehlt uns wohl ein durch Erfahrung geschultes Gespür
für das Wirken des Geistes Gottes in unserer Zeit und in unserem Leben.

Ich frage mich jedoch:
Gibt es das, was damals in Jerusalem geschah,
nicht doch auch in unserem Umfeld heute?
Weil mir die Bilder noch lebhaft vor Augen stehen,
kommen mir die Ereignisse rund um den Tod von Johannes Paul II.
und um die Wahl Benedikts XVI. in den Sinn.
Da strömten mehrere Millionen Menschen zusammen -
aus allen Himmelsrichtungen des Erdkreises,
Menschen aus allen Völkern unter dem Himmel,
Menschen ganz verschiedener Muttersprache.
Und sie alle waren „ein Herz und eine Seele",
sie alle verstanden sich,
sie alle waren miteinander verbunden
•    in persönlicher Betroffenheit und Trauer,
•    dann auch in Freude und Begeisterung,
•    im gemeinsamen Beten und Singen,
•    und nicht zuletzt in der beglückenden Erfahrung von Weltkirche.

Kaum ein anderes Ereignis der letzten Zeit
wurde so intensiv und ausdauernd von den Medien aufgegriffen.
Unzählbar die Menschen,
die rund um den Erdball durch Fernsehübertragung
von den Ereignissen in Rom innerlich berührt waren.
War das alles wirklich nur „inszenierte Show"?
War das, was sich vor zweitausend Jahren in Jerusalem abspielte,
auch nichts anderes als eine „Show",
die die Medien nicht weniger begierig aufgegriffen hätten,
hätte es damals RTL, NTV - und wie sie alle heißen - schon gegeben?

Vielleicht haben Sie selbst schon einmal Ereignisse erlebt,
die gar nicht so weit weg sind von dem,
was an Pfingsten in Jerusalem geschah:

Vielleicht waren Sie schon einmal in Taizé
oder haben teilgenommen an einem Kirchen- oder Katholikentag.
Kürzlich erzählte mir jemand von seiner Teilnahme
am Eucharistischen Weltkongreß in Mexiko.
Was er sagte, klang ganz so wie das,
was die Jüngerinnen und Jünger Jesu
im Anschluß an ihre Pfingsterfahrungen begeistert erzählten.
In wenigen Wochen beginnt in Deutschland
der zwanzigste Weltjugendtag:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer früherer Weltjugendtage
waren von dem, was sie erlebt haben, fasziniert -
durchaus vergleichbar der Faszination von Pfingsten.

Begeistern kann uns vieles -
auch zum Beispiel ein mitreißendes Fußballspiel in einem großen Stadion.
Was aber macht Pfingsten aus?
In der Lesung aus der Apostelgeschichte haben wir gehört:
„Alle waren erfüllt vom Heiligen Geist."
Heiliger Geist, Gottes Geist aber - das ist ER selbst, der Heilige Gott,
das ist Sein innerstes Wesen ganz,
das ist Seine göttliche, unerschaffene Liebe.

Wenn also gesagt wird, daß alle vom Heiligen Geist erfüllt waren,
dann heißt das:
Alle waren von der Liebe Gottes erfüllt.
Sie alle machten eine überwältigende Erfahrung der Liebe Gottes.
Es war, als würden sich die Schleusen des Himmels öffnen,
und alle wurden sozusagen überflutet von der Liebe Gottes.
Sie wurden mit dieser göttlichen Liebe getauft
und darin wurde ihnen zugleich eine ganz neue Fähigkeit geschenkt,
auch einander zu lieben.

•    Pfingsten - das ist die überwältigende Erfahrung:
Ich bin von Gott geliebt.
•    Pfingsten - das ist auch die Erfahrung:
Mir selbst ist die Fähigkeit geschenkt zu lieben.
•    Pfingsten - das ist schließlich die Erfahrung von Kirche,
die Erfahrung von „communio", von Gemeinschaft.
In der Fortsetzung der Pfingstgeschichte heißt es ausdrücklich:
„Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele."

Pfingsten bedeutet eine Bewußtseinsveränderung vom Ich zum Wir.
Bis dato hatte Petrus z.B. gewöhnlich
in der ersten Person Singular gesprochen - „Ich":
„Und wenn alle an dir Anstoß nehmen und dich verleugnen -
ich niemals!" (Cf. Mt. 26,35).
Nun aber tritt Petrus zusammen mit den anderen auf
und sagt „Wir":
„Dafür sind wir alle Zeugen."

Dieses Miteinander, dieses „Wir" prägt auch heute die Kirche,
wo sie und soweit sie vom Heiligen Geist erfüllt ist.
Das konkretisiert sich z.B. in einer Gemeinde,
deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich als „Team" verstehen.
Das konkretisiert sich in einer Gemeinde,
die füreinander einsteht und niemanden hängen läßt.
Das konkretisiert sich aber auch „in Rom",
wenn der Papst, seine Kurie und das weltweite Bischofskollegium
nicht nur von „Kollegialität" reden, sondern sie wirklich leben.

Diese Stichworte „Teamarbeit",
Füreinander- und Miteinanderleben und „Kollegialität"
lassen erahnen, wie sehr die Kirche immer wieder
„hinter Pfingsten herläuft".

Pfingsten - sagen wir - ist die Geburtsstunde der Kirche.
Schon in diesem ersten Moment ihrer Geburt präsentiert sich Kirche
als ein sehr bunter Haufen:
Von allüberall her kommen die „Berufenen".
Sie sprechen grundverschiedene Sprachen,
haben ganz unterschiedlich prägende Geschichten.
Der Pfingstgeist jedoch, der Geist der Einheit,
der Geist des Friedens und der Liebe
fügte sie zusammen,
ließ sie einander verstehen,
machte sie zu „einem Herzen und einer Seele" - - -
solange, wie‘s gut ging!

Für‘s erste war da ausschließlich das Wirken des Gottesgeistes.
Er ergriff charismatisch, kreativ und unwiderstehbar die Initiative.
Da blieb gar keine Zeit für Bedenken, Diskussionen oder Beschlüsse.

Nun ist es jedoch nicht Gottes Art,
auf Dauer alles allein zu machen
und uns draußen vor zu lassen.
Insofern ist es unerläßlich,
den Pfingstbericht zusammen mit dem Rest der Apostelgeschichte
anzuschauen und zu sehen, wie‘s weitergeht.

Schon bald nach Pfingsten treten Spannungen auf,
müssen Konflikte gelöst und Risse geflickt werden.
Selbstverständlich ist auch dabei Gottes Geist am Werk -
allerdings nicht mehr auf die „charismatische",
sondern auf eine „kooperative" Art und Weise:
Da ist menschliches Mitwirken gefordert,
da kommt‘s sogar an auf Ämter und Strukturen.

Beim ersten Streitfall geht es um die Verteilung
von Lebensmitteln an die Witwen.
Sozialmanagment läßt sich nicht charismatisch-spontan organisieren.
Da müssen Aufgabenbereiche abgegrenzt,
da muß Verantwortung delegiert werden.
Das geschieht in betender Unterscheidung:
Durch Handauflegung werden Diakone beauftragt.

Heftiger wird der Streit in der jungen Kirche,
als es um die Frage geht:
Müssen sich die aus dem Heidentum kommenden Christen
an jüdische Gesetze und Traditionen halten?
Da droht ernsthaft ein frühes Schisma.
Wie reagiert diesmal der Geist?
„Man beschloß, Paulus und Barnabas und einige andere von ihnen
sollten wegen dieser Streitfrage zu den Aposteln
und zu den Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen." (Apg. 15, 2).
Dort gab es lange, heftige Auseinandersetzungen,
die schließlich zur Einigung führten.
Im Kontext dieser Auseinandersetzungen
ist der Freimut eines Paulus anzumerken,
der der Autorität des Petrus „ins Angesicht widerstand";
dann aber auch die Demut eines Petrus,
der die Einwände akzeptiert und berücksichtigt.
Wir brauchen in der Kirche heute
an möglichst vielen Knotenpunkten Menschen wie Paulus,
die sich nicht verbiegen lassen.
Wir brauchen vielleicht mehr noch Menschen wie Petrus,
die die Demut haben zuzuhören und flexibel zu reagieren -
und das nicht nur im Vatikan oder an den Bischofssitzen.
Das Ergebnis der Auseinandersetzung damals
wurde übrigens veröffentlicht mit den Worten:
„Der Heilige Geist und wir haben beschlossen..." (Apg. 15, 28).

Der Heilige Geist wirkt also auch
auf dem Weg der geduldigen Gegenüberstellung,
des gegenseitigen Anhörens und sogar des Kompromisses.
Selbst vor demokratischen Prozessen
scheut Gottes Geist offenkundig nicht zurück.
Auch da gibt‘s in der Kirche heute noch viel zu lernen - - -
übrigens auch dort, wo synodale Strukturen Tradition haben.
Entscheidungsprozesse, bei denen Menschen
auf das Mitwirken des Gottesgeistes rechnen
und sich der Frage stellen
„Herr, was willst Du, daß wir tun sollen?",
laufen sicher anders ab als das,
was wir aus Bundestag, Länderparlamenten
oder aus Stadträten gewohnt sind.

Ich bin sicher,
Pfingsten ereignet sich in der Kirche Jesu Christi
heute wie damals.
Immer mal wieder kommt Gottes Heiliger Geist
wie eine Sturzflut überwältigend und mitreißend
auf uns herab.
Es gehört schon eine Menge Resistenz dazu,
sich dafür zu verschließen.
Vor allem aber wirkt Gottes Geist auch heute
im Zusammenwirken nicht nur mit den Amtsträgern der Kirche,
sondern ebenso mit verantwortungsbewußten, mündigen Christen
überall auf dieser Welt und hoffentlich auch hier bei uns.

Amen.