Predigt zum 4. Ostersonntag (A)
am 17. April 2005
Evangelium: Joh. 10 1- 10;
Autor: P. Heribert Graab S.J.
In diesem Text des Johannesevangeliums
sind mehrere Bilder und Gleichnisreden Jesu
ineinander verwoben:
„Ich bin die Tür zu den Schafen", sagt Jesus;
und schon zwei Verse weiter:
„Ich bin der gute Hirt".
Es wird uns heute kaum gelingen,
die Originale zu „rekonstruieren".

Es liegt jedoch auf der Hand,
daß die Hirtengleichnisse Jesu
auf die politische und religiöse Führungsschicht
Seines Volkes zielen:
Da steckt massive Kritik drin.
Da steckt aber auch eine Vision drin -
•    die Vision eines Leitungsstils,
der von Gerechtigkeit und Liebe geprägt ist;
•    die Vision eines Leitungsstils,
der dem angebrochenen Reich Gottes entspricht.

Es liegt außerdem auf der Hand,
daß Jesus Bezug nimmt auf das 34. Kapitel beim Propheten Ezechiel.
Auch der geißelt die „Hirten Israels" seiner Zeit,
•    „die nur sich selbst weiden",
•    die nur ihren eigenen Vorteil im Auge haben,
•    und die ihrer Fürsorgepflicht nicht nachkommen.

Auch Ezechiel skizziert schon die Vision vom „guten Hirten",
•    der seine Herde auf fette Weiden führt,
•    der die verlorengegangenen Tiere sucht,
•    die vertriebenen zurückbringt,
•    die verletzten verbindet,
•    die schwachen kräftigt
•    die starken behütet
•    und für alle sorgt, wie es recht ist.

Jesus überträgt die Kritik des Ezechiel sozusagen 1:1
auf die religiös Verantwortlichen Seiner Zeit.
Mit denen war Er gerade noch heftig aneinander geraten
wegen der Heilung des Blindgeborenen am Sabbat.
Überhaupt sind diese Hirtengleichnisse zu deuten
auf dem Hintergrund der Auseinandersetzungen Jesu
mit der religiösen Führungsschicht.
Mit der geht Jesus ja auch sonst keineswegs zimperlich um:

•    „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer," sagt Er.
•    „Ihr seid Heuchler!
•    Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich.
•    Ihr selbst geht nicht hinein;
aber ihr laßt auch die nicht hinein, die hineingehen wollen."
•    „Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel
und laßt das Wichtigste im Gesetz außer acht:
Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue."
•    „Blinde Führer seid ihr: Ihr siebt Mücken aus
und verschluckt Kamele."
•    „Ihr seid wie die Gräber, die außen weiß angestrichen sind
und schön aussehen;
innen aber sind sie voll Knochen, Schmutz und Verwesung.
•    So erscheint auch ihr von außen den Menschen gerecht,
innen aber seid ihr voll Heuchelei
und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz." (Mt. 23,13 ff).

Nun bleiben sich die Menschen gleich:
Zur Zeit des Ezechiel gab es Heilige und Sünder.
Auch Jesus begegnete Pharisäern und Schriftgelehrten,
die ihre Berufung ernst nahmen.
Aber gar zu oft traf Er auch auf Halunken unter ihnen.
Und die brachten Ihn schließlich ans Kreuz.

Wenn sich der auferstandene Christus nun
die zweitausendjährige Geschichte Seiner Kirche anschaut,
dann hat sich da soviel nicht geändert:
Auch da finden sich Heilige und Halunken -
und das bis hinauf in die Leitungsetagen,
und bis in die lange Reihe der Päpste.
Und das ist nicht einmal erstaunlich:
Schließlich hat schon einer Seiner engsten Vertrauten Ihn verraten.
Schließlich hat sogar der „Fels",
auf den Er Seine Kirche gebaut hat, Ihn verleugnet.

Heute am Vorabend des Konklaves,
bei dem 115 Kardinäle einen neuen Papst wählen sollen,
sind also die Gleichnisse des heutigen Evangeliums hochaktuell.
Gerade haben wir Abschied genommen
von einem unter vieler Rücksicht bewundernswerten Papst.
Während der Tage nach seinem Tode
wurden überall auf dem Petersplatz, aber auch anderswo Spruchbänder gezeigt,
auf denen "Heiligsprechung sofort" gefordert wurde.
Inzwischen aber hat sich herausgestellt,
dass das keineswegs eine spontane Angelegenheit war.
Diese Spruchbänder hatten alle das gleiche Format,
den gleichen Inhalt und den gleichen Typ von Buchstaben.
Das heißt mit anderen Worten:
Die wurden schon lange vorher gemacht
und wurden dann ausgeteilt mit dem Wunsch,
sie an verschiedenen Orten gleichzeitig zu zeigen.
Das hat also mit einer spontanen Glaubensbekundung wenig tun,
sondern offenbart nur,
wie menschlich und allzumenschlich es auch in der Kirche zugeht.

Auch das Kardinalskollegium besteht - wie könnte es anders sein -
aus Menschen: mit allen Stärken und Schwächen.
Sicher sind sie alle im Glauben einig,
daß Jesus Christus die einzige Tür zum „Schafstall" ist.
Sicher möchten sie alle nur durch diese Tür hineingehen.
Aber vermutlich gehen ihre Meinungen schon deutlich auseinander
bei der Frage, wo sich denn diese „Tür" befindet:
etwa in der „Mitte", wo sich üblicherweise alle auf die Füße treten?
Oder vielleicht „links"?
Oder wahrscheinlich doch eher „rechts"?

Natürlich gibt es da keine Diebe,
die „kommen, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten".
Das gab‘s nur im späten Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein,
als man Menschen als Ketzer und Hexen brandmarkte,
um sie als solche auf den Scheiterhaufen zu bringen.
Heute geht man da subtiler vor
mit Lehr- und Schreibverboten,
mit Suspendierung und Exkommunikation.
Ob diese Art des „Hirteseins" wirklich dem „guten Hirten" entspricht,
den Jesus im Auge hatte,
und der kommt, „damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" -
das kann man und muß man durchaus fragen.

Es geht wohl jeder der möglichen Kandidaten davon aus,
daß er - mit Gottes Hilfe natürlich - ein „guter Hirte" sein wird.
Er möchte der Kirche vorausgehen
und erwartet selbstverständlich, daß die „Schafe" ihm folgen,
weil sie in seiner Stimme die des Herrn erkennen.
Was aber, wenn nicht?
Wieviel Selbstkritik ist dann angesagt?
Und wie weit wird die Selbsterkenntnis gehen,
die darum weiß, daß auch der Stellvertreter Christi auf Erden
ein fehlbarer Mensch bleibt
und nicht einfach identisch ist mit Christus selbst?

Natürlich bleibt auch ein Kardinal, selbst wenn er Papst wird,
eingebunden in seine familiäre und soziale Herkunft,
geprägt auch durch Erziehung und Kultur.
Wir haben‘s ja gerade erlebt:
Johannes Paul II. war ein Pole
und das ist er bis auf‘s Sterbebett geblieben -
mit allen positiven und wohl auch negativen Konsequenzen.
Wenn nun davon die Rede ist,
der nächste Papst sollte aus Lateinamerika kommen,
dann spielt da der soziale Faktor eine große Rolle:

Immer noch stammen dort nicht wenige Bischöfe
aus den oberen Bevölkerungsschichten.
Und hier und da geht‘s auch noch nach der alten Regel:
Der erste Sohn übernimmt den Großgrundbesitz,
der zweite wird General, der dritte Bischof.
Mit einer solchen Herkunft sind natürlich
entsprechende Denkweisen verbunden.
Allerdings: Bekehrung nicht ausgeschlossen!
Das gilt jedenfalls für Oscar Romero,
der als Bischof mit dem Elend der Massen konfrontiert wurde
und sich dann konsequent auf die Seite der Armen stellte.
Deshalb wurde er am Altar erschossen.
Und sein Seligsprechungsprozeß, den Papst Johannes Paul II.
selbst angestoßen hatte, wird offenkundig immer wieder ausgebremst
durch dieselben Kreise, die auch den Mord auf dem Gewissen haben.
Deren Einfluß reicht bis in den Vatikan hinein.

Sodann werden immer wieder Kurienkardinäle ins Gespräch gebracht.
Natürlich hat es gewisse Vorteile für den neuen Papst,
diese kuriale Behörde zu kennen.
Das erleichtert es ihm auf jeden Fall,
die auch wirklich zu leiten.
Aber wird ein Insider auch in der Lage sein,
notwendige Reformen durchzuführen?
Und um auf das Evangelium zurückzukommen:
Wird er ein „Hirte" von Menschen sein,
deren Nöte er wenigstens kennt,
wenn er schon nicht ihre Namen kennen kann?
Oder wird er eher Akten und Verwaltungsvorgänge
auf die „Weide" führen?

Diese wenigen Gedankengänge machen deutlich,
daß es bei der Papstwahl durchaus auch
um das Menschlich-Allzumenschliche in der Kirche geht.
Um so wichtiger ist,
daß darüber nicht die göttliche Seite von Kirche in Vergessenheit gerät.
Immer wieder wurde in der Vergangenheit
auch das Wirken des Heiligen Geistes im Konklave spürbar -
in besonders auffälliger Weise vielleicht
bei der Wahl von Johannes XXIII.

Eine besondere Form von Demokratie in der Kirche
ist die Demokratie des Gebetes:
Die Kardinäle werden den neuen Papst wählen;
wir alle aber können (und müssen!) im Gebet
den Heiligen Geist bestürmen,
Er möge Seinen Beitrag leisten zu einer guten Wahl.

Amen.