Predigt zum 5. Fastensonntag A
am 13. März 2005
Zur 1. Lesung: Ez. 37, 12b - 14;
dazu die Vorgeschichte (Ez. 37, 1 ff) in der Übertragung von Wilhelm Willms;
Evangelium: Joh. 11, 1 - 45;
Autor. P.Heribert Graab S.J.
(teilweise nach Anregungen aus "Gottes Volk" 3/2005)
Wir alle befinden uns in dieser vorösterlichen Zeit
- jedenfalls hoffe ich das -
„auf dem Weg nach Ostern".
Die biblischen Texte dieser Vorbereitungszeit
konfrontieren uns jetzt schon Sonntag für Sonntag
mit dem auferstandenen Christus und mit Seiner Herrlichkeit.

Im Evangelium von der Frau am Jakobsbrunnen
vor vierzehn Tagen
wurde uns wieder zu Bewußtsein gebracht,
daß Er das „Wasser des Lebens" ist,
die sprudelnde Quelle auch unseres Lebens:
Was in unserem Lebensumfeld sonst noch als „Leben" bezeichnet wird,
verdient diesen Namen nicht,
weil es abgeschnitten ist von dieser einen Quelle
des wahren Lebens.

Am vergangenen Sonntag haben wir
von der Heilung des Blindgeborenen gehört.
Jesus begegnet uns dort
- natürlich wiederum aus dem österlichen Blickwinkel -
als das „Licht der Welt".
In unserer Zeit sind wir von Licht überflutet -
so sehr, daß diese Überfülle von Licht
sogar zu einem Thema des Umweltschutzes wurde.
Die meisten Umweltschützer wissen wahrscheinlich garnicht,
wie richtig sie damit liegen:
Die Fülle der Lichter und Irrlichter
verdunkelt das wahre Licht der Welt,
macht uns zu Blinden.
Jesus Christus aber ist in diese Welt gekommen,
damit die Blinden sehend
und die Sehenden blind werden.

Heute hören wir nun die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus.
Auch dies ein theologischer Text:
Es geht nicht in erster Linie um das,
was an Lazarus geschieht.
Vielmehr geht es darum,
daß durch den Tod und die Auferweckung des Lazarus
- im Vorgriff auf das Ostergeschehen -
Gottes Herrlichkeit offenbar wird -
und das im Blick auf Jesus, der von sich sagt:
„Ich bin die Auferstehung und das Leben."

Wie können wir an einer solch österlichen Erfahrung teilhaben?
Die Lazarusgeschichte ist eine Beziehungsgeschichte!
Zu Beginn wird in bemerkenswerter Ausführlichkeit
die freundschaftlich-liebevolle Beziehung Jesu
zu den drei Geschwistern herausgestellt.
Zu den Jüngern - und damit zu uns - sagt Jesus:
„Ich will, daß ihr glaubt",
und daß ihr verstehen lernt:
Glauben ist ein Beziehungsgeschehen.

Dieses Evangelium betont also die ungeheure,
ja sogar über Leben und Tod entscheidende Bedeutung
der ganz persönlichen Glaubensbeziehung zu Jesus
und die gewaltige Kraft,
die aus einem vorbehaltlosen Vertrauen in Ihn entspringt.

Das biblische und zumal das jesuanische Glaubensverständnis
ist weit entfernt von jenem folgenlosen „Für-wahr-halten",
das unseren Glauben vielfach charakterisiert.
Es geht vielmehr um eine im wörtlichen Sinne
not-wendende persönliche Bindung an Jesus Christus.

Auf diesem Hintergrund müssen auch kritische Anfragen
an eine Kirche gestattet sein,
die sich in Struktur- und Finanzfragen verhedert,
in Debatten um Amtsverständnis und Amtsträger,
in Debatten um Zulassunskriterien zur Weihe und um Frauenpriestertum,
in Debatten um liturgische Quisquilien.
Anfragen allerdings auch an einzelne Christen,
die in ihrem eigenen Glauben
ohne eine zutiefst persönliche Beziehung
zu Jesus Christus auszukommen meinen.

Noch auf einen weiteren Aspekt macht uns
die Lazarusgeschichte aufmerksam:
So sehr diese Geschichte auch auf Ostern bezogen ist,
so geht es hier doch um ein ganz und gar innerweltliches Geschehen
und nicht um eine visonäre Vorwegnahme
der Auferstehung der Toten am Ende der Zeiten.

„Auferstehung" aus der Kraft einer gelebten Glaubensbeziehung
ereignet sich hier und jetzt!
Diese Interpretation auf das hier und jetzt
wird sozusagen „offiziell" von der Kirche unterstützt
durch die Auswahl der alttestamentlichen Lesung.
Wilhelm Willms macht das mit seiner Übertragung
nur noch deutlicher.

Die Zeit, in die der Ezechieltext hineingesprochen ist,
war äußerlich gekennzeichnet durch die Vertreibung
des Gottesvolkes ins babylonische Exil.
Jerusalem und auch der Tempel als religiöses Zentrum
waren zerstört.
Dahinter stand der innerliche Zerfall des Jahwe-Glaubens.
Das, was das Wesen des Volkes Gottes ausmachte, war „tot".

Dagegen steht nun die Hoffnungsbotschaft Ezechiels:
Gott selbst wird Sein Volk aus den Gräbern herausholen
und es mit neuem Leben erfüllen.
Auch dieser Ezechieltext kann also nicht gelesen werden
als visionäre Darstellung der Auferstehung am Ende der Zeiten.
Er ist vielmehr ein Zeugnis
der diesseitigen Wiedererweckung des Volkes Israel.

Das Klagen und Jammern vieler Christen heute
über den Niedergang einer vergehenden Kirche
und das Selbstmitleid eben dieser Kirche
mag durchaus vergleichbar sein
mit dem Klagen und Jammern vieler Menschen
im Volke Israel zur damaligen Zeit.

Aus diesem Elend heraus gibt es nur einen einzigen Ausweg:
Einen lebendigen Beziehungsglauben,
der selbst Tote zu erwecken vermag;
das Vertrauen darauf,
daß Gott auch heute Seiner Glaubensgemeinde
neue Vitalität zu schenken vermag.

Amen.