Predigt zum 3. Fastensonntag A
am 27. Februar 2005
Lesung: Ex. 17, 3 - 7;
Evangelium: Joh. 4, 5 - 14;
"Aufhänger": nach einem Beitrag von Burkhard Jürgens "Wasser aus Gottes Hand" in der "Kirchenzeitung des Bistums Hildesheim" vom 27.02.2005
Autor. P.Heribert Graab S.J.
Dieser Tage habe ich gelesen:
„Wehe dem, der keinen Durst mehr spürt!"
Dieses Wort fand ich in einem Bericht
über den wohl mörderischsten Ultra-Marathonlauf.
Der geht über sage und schreibe 216 Kilometer
mit einem Höhenunterschied von nahezu 4000 Metern
durch eine Wüste mit Temperaturen bis zu 50° im Schatten.
Über Sinn und Unsinn eines solchen „Events"
mag man streiten.
Sicher ist, daß es Teilnehmer
an die Grenze von Leben und Tod führt.
An dieser Grenze ist das Problem scheint‘s nicht
der Mangel an Wasser, sondern der Mangel an Durst.
Und genau der führt zum Tod.

Bleiben wir für‘s erste mal auf dieser real-biologischen Ebene.
Wirklichen Durst kennen wir nicht!
An einem heißen Tag etwa verspüren wir zwar Durst,
aber der läßt sich umgehend und problemlos löschen:
Mangel an Wasser gibt‘s bei uns nicht.
Wasser kommt bei uns ganz einfach aus der Leitung.
Und dann gibt‘s da noch eine verwirrende Vielfalt
von Getränken und Durstlöschern.
„Durst wird durch Bier erst schön!" -
Dieser Werbeslogan sagt fast alles.

Auf diesem Erfahrungshintergrund lesen oder hören wir fast täglich,
daß weltweit unzählige Menschen und zumal Kinder
nicht in nur am Hunger, sondern auch am Durst zu Grunde gehen.
Wir lesen oder hören das,
aber es kann nicht wirklich in uns eindringen.

Und dann heißt es noch:
Zukünftige Kriege würden nicht mehr um Öl,
sondern um Wasser geführt.
Intellektuell können wir diese Befürchtung zwar nachvollziehen.
Nur: Wirklich verstehen tun wir auch die nicht.

Versuchen wir dennoch der Einsicht Raum zu geben:
Durst und der Mangel an Wasser - das geht an die Existenz.
Was wir allenfalls „einsehen" -
das Volk Israel hat es auf seiner Wüstenwanderung existentiell erfahren.

Verstehen Sie jetzt, warum diese Menschen „murren"?
Warum sie sogar drauf und dran sind,
„die Politiker" - konkret den Mose, den sie verantwortlich machen -
zu steinigen?
Nicht darin also kann ihre „Schuld" liegen.
Eher darin, daß sie in ihrer „zum Himmel schreienden" Not
denjenigen vergessen, der sie aus Ägypten herausgeführt
und damit aus noch größerer Not befreit hat.
Das war eben nicht Mose! Das war vielmehr Jahwe,
der als der befreiende und rettende Gott
angesichts der neuen Not
vollkommen aus der Erinnerung gelöscht zu sein scheint.

Und da können wir wieder mitreden;
da wird‘s auch für unsere Zeit hochaktuell.
Damals - in der Not des Jahres 1945 - haben sich viele
erinnert an den Gott Jesu Christi,
mit dem allein ein wirklicher Neuanfang gelingen konnte.
Diese Erinnerung ist uns jedoch weitgehend abhanden gekommen
in der langen Zeit von Frieden und Wohlstand,
mit der wir gesegnet waren.
Im Augenblick erleben wir einen wirtschaftlichen Rückschlag,
der wie immer vor allem „die Kleinen" in Not stürzt.
Die Erinnerung an den rettenden Gott
kehrt jedoch keineswegs wieder.
Wir suchen vielmehr - wie Israel damals in der Wüste -
nach „Sündenböcken",
bemühen uns individualistisch „unsere eigene Haut zu retten"
und setzen im Übrigen auf den gängigen Machbarkeitswahn.

Auf diesem aktuellen Hintergrund sollten wir unsere Aufmerksamkeit
auf eine kleine, leicht zu überehende Nuance
der heutigen Lesung richten:
Nicht von ungefähr ist dort vom Felsen am Horeb die Rede.
Aus diesem Felsen am Horeb wird durch Jahwes rettende Tat
Leben rettendes Wasser für Mensch und Vieh strömen.
Der Horeb aber ist der Berg
einer noch wesentlich bedeutsameren Gottesgabe:
der Gabe der Gebote, der „Weisung" Gottes.
Damit gewinnt das Wasser neben seiner realen
noch eine symbolische Bedeutung.
In Analogie zu einem anderen Bibelwort könnte man sagen:
„Der Mensch lebt nicht vom Wasser allein,
sondern wenigstens ebensosehr vom Wort Gottes."
Der Mensch bedarf - um seines Überlebens willen! -
der Sinn- und Wertorientierung.
Die aber ist uns in der „Weisung" Gottes geschenkt.
Sich darauf zu besinnen -
das ist auch heute angesagt.

Gottes Weisung und die von Ihm geschenkte Sinnorientierung
findet für uns als Christen ihren nicht mehr zu überbietenden
Höhepunkt in Jesus Christus.
Darauf weist uns der Künstler des indischen Hungertuches hin.
In seiner künstlerischen Interpretation
läßt er Mose mit seinem Stab
an den Felsen lebenspenden Wassers schlagen -
an die Gestalt Jesu Christi.
Im Evangelium erklärt Jesus das der samaritischen Frau:
Wer vom realen Wasser aus dem Jakobsbrunnen trinkt,
wird bald wieder durstig sein -
wie selbstverständlich auch das Volk Israel,
als es vom wasserspendenden Felsen weiterzog,
wieder Durst bekam.
Wer aber vom Wasser im übertragenen Sinn trinkt,
das Jesus Christus uns schenkt,
wird nicht mehr durstig sein.
Vielmehr wird das Wasser, das er uns gibt,
in uns selbst zur lebendigen Quelle werden,
die auch für andere und für die Gesellschaft, in der wir leben,
eine Quelle neuen Lebens sein kann.

Kehren wir nun noch einmal zurück an den Anfang,
zur Erfahrung jenes Ultra-Marathons im „Tal des Todes",
in dieser mörderischen Wüste Südkaliforniens:

Mangel an Wasser kann tödlich sein.
Aber weh dem, der keinen Durst mehr spürt!
Israel war sich am Horeb
seines Durstes nach realem Wasser durchaus bewußt
und schrie ihn hinaus.
Schlimmer aber war, daß dieses Volk
keinen Durst mehr verspürte
nach dem befreienden, rettenden und wegweisenden
Handeln Jahwes.
Dieser Mangel an Durst war die eigentliche Bedrohung.
Und er ist es auch heute.

Die Frau vom Jakobsbrunnen
war sich ihres Durstes nach realem Wasser durchaus bewußt.
Deshalb nahm sie täglich die Mühe des Wasserschleppens auf sich.
Aber der eigentliche Durst ihres Lebens blieb
- ohne daß es ihr überhaupt zu Bewußtsein kam -
ungestillt.
Erst die Begegnung mit Jesus läßt sie
diesen Durst im übertragenen Sinne spüren.
Diese Erfahrung wird für sie zu einem befreienden Erlebnis.
Eruptionsartig bricht neues Leben aus ihr hervor.
Sie stürzt davon,
um etwas von dieser neuen Lebensfülle den anderen mitzuteilen.
So beginnt für sie selbst, für ihre Familie und für ihre ganze Umgebung
erst jetzt das wirkliche Leben.

Solange wir Christen heute diesen Durst nicht verspüren,
und dementsprechend auch nichts mehr von der lebenspendenden Quelle wissen,
die uns in der Taufe geschenkt ist,
solange taumelt unsere Gesellschaft dahin am Abgrund des Todes -
und wir sind mitverantwortlich dafür!

Amen.