Predigt am 5. Ostersonntag (B) zur Feier der Goldenen Erstkommunion (18. Mai 2003)
Evangelium: Joh. 15, 1 - 8;
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Einige Anregungen zu dieser Predigt verdanke ich Herrn Bernhard Krautter in der Zeitschrift "Gottes Volk".
Vor Jahren feierte einer meiner Mitbrüder
seine „Goldene Priesterweihe".
Im Gespräch bei Tisch kam beiläufig die Frage auf:
„Wie oft hast du denn wohl in diesen fünfzig Jahren
die heilige Messe gefeiert?"
Seine schlichte Antwort: „Täglich!"

Diese Antwort wird von denen,
die vor fünfzig Jahren ihre erste heilige Kommunion gefeiert haben,
wohl kaum jemand geben können.
Dennoch ist es vielleicht sinnvoll,
sich selbst einmal diese Frage zu stellen:
Wie oft bin ich in diesen vielen Jahren
der Einladung Jesu an Seinen Tisch gefolgt?
Ob wohl jemand ähnlich schlicht und selbstverständlich
antworten kann wie jener Priester:
„An jedem Sonntag"?

Ich bin sicher:
Viele von denen, die vor fünfzig Jahren
mit Ihnen die erste heilige Kommunion gefeiert haben,
müßten sich eingestehen:
„Ich habe danach nur noch selten am Herrenmahl teilgenommen -
vielleicht nur an Weihnachten oder Ostern."
Und mancheiner müßte vielleicht sogar bekennen:
„Meine erste heilige Kommunion war zugleich auch meine letzte."

Ich freue mich immer wieder,
wenn ein Ehepaar seine Goldene Hochzeit feiert.
Oft habe ich den Eindruck,
deren Liebe ist in den fünfzig Jahren nicht abgeflacht,
sondern reifer und tiefer geworden.
Manchmal spüre ich förmlich:
Diese Beziehung ist gepflegt worden.
Aber ich habe noch nie erlebt,
daß ein Paar dieses Fest der Goldenen Hochzeit feiert,
obwohl es sich schon nach wenigen Jahre hatte scheiden lassen.

Ich möchte damit sagen:
Die Goldene Kommunion zu feiern, hat nur dann Sinn,
wenn für die Betreffenden die Gemeinschaft mit Jesus Christus
in der heiligen Kommunion
bis heute lebendig ist und gepflegt wird.

Das Evangelium dieses vierten Ostersonntags kann verdeutlichen,
welche Lebenskraft für uns selbst 
in der innigen und immer wieder erneuerten Verbindung
mit Jesus Christus steckt.

Jesus Christus ist der Weinstock,
und wir sind die Reben - heißt es.
Reben leben ganz und gar vom Weinstock,
durch ihn allein sind sie „voll Saft und Kraft",
durch ihn allein können sie auch Früchte tragen -
saftige und süße Trauben. 

Nur wir ach so „modernen" Menschen fahren nicht selten
auf dem Irrglauben ab,
der Mensch könne und müsse sein Leben 
aus eigener Kraft gestalten.
„Ich bin selbständig",
„Ich bin unabhängig",
„Ich möchte mich selbst verwirklichen - kraft eigener Energie".
Nicht nur im Berufsleben streben Zeitgenossen
das „Ideal" einer „Ich-AG" an -
eine neue Wortschöpfung, die sehr tief blicken läßt,
und die ein verräterisches Symptom
der Krankheit unserer Gesellschaft ist.

Das Denken, das hinter einer solchen Einstellung steckt,
ist die Konsequenz der Single-Gesellschaft,
zerstört das Miteinander und jedwede Solidarität.
Es überfordert aber auch den Einzelnen.
Gar zu viele Menschen sind deshalb heute ausgepowert,
ausgebrannt, enttäuscht und stecken in einer tiefen Sinnkrise.
Dann laufen sie zum Therapeuten,
der ihnen letztendlich auch nicht helfen kann.
Und ihr Körper reagiert mit Herz- und Kreislaufbeschwerden
und mit anderen psychosomatischen Erkrankungen.

Natürlich ist jeder Mensch ein „Original",
trägt für sich selbst Verantwortung
und muß auch in der Lage sein, selbständig zu entscheiden.
Zugleich aber sind wir alle auch nicht „Robinson" -
allein auf einer Insel.
Wir sind verwurzelt in der Menschheitsgeschichte.
Wir sind Rebzweige am Weinstock unserer Familie.
Wir leben von einem vielfältigen Beziehungsgeflecht
und sind auf lebendige und gepflegte Beziehungen angewiesen.

Vor allem aber stellt sich gerade in unseren Tagen
die Frage nach der grundlegenden Kraftquelle unseres Leben:
Was gibt meinem Leben Sinn?
Was kann mein Leben tragen - auch durch Krisen hindurch?
Woher beziehe ich meine Lebensenergie?

Auf diese für das Gelingen meines Lebens ganz entscheidenden Fragen
gibt das Evangelium heute mit dem Bild vom Weinstock und seinen Reben
die Antwort schlechthin:
Jesus Christus ist der Weinstock.
Wir sind die Reben.
Er ist unsere vitale Energie und Lebenskraft.
Sein Blut rollt in unseren Adern,
wenn wir das Mahl feiern, zu dem Er uns einlädt:
„Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt,
der bleibt in mir und ich bleibe in ihm."

So wie die Reben eines Weinstocks - gut gepflegt -
selbstverständlich herrliche Trauben tragen,
so wird auch aus der Lebenskraft Jesu Christi
mein eigenes Leben fruchtbar sein:
Ich werde fähig sein zu Liebe und Gerechtigkeit;
ich werde in der Lage sein, Frieden zu schaffen;
ich werde Menschen ihre Ängste nehmen
und sie glücklich machen können;
ich werde selbst ein sinnerfülltes Leben haben
und darin Glück und Zufriedenheit finden.

Es ist also gerade für uns Christen in dieser Zeit
eine wahrhaft frohmachende Botschaft,
wenn Jesus uns heute einlädt,
„in Ihm" zu bleiben und diese Beziehung zu Ihm zu pflegen.
Die regelmäßige Teilnahme an Seinem Mahl in der Kommunion,
immer wieder die Lesung in der Heiligen Schrift
und der lebendige Kontakt zu Seiner Gemeinde
sind sozusagen die „Pflegemittel" für diese Beziehung.
Das Bronzeantependium unseres Altares in St.Michael
kann uns ständig daran erinnern.

Amen.