Predigt zu Christi Himmelfahrt 2003
Lesung: Apg. 1, 1 - 11;
Evangelium: Mk. 16, 15 - 20;
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Die vielfältigen Aspekte des Osterfestes
einigermaßen angemessen ins Bewußtsein zu rücken und zu feiern -
dazu reicht ein Festtag bei weitem nicht aus.

Am Ostertag selbst stand ganz im Vordergrund

• der Sieg des Auferstandenen über den Tod
- als sprechendes Zeichen dafür das „leere Grab" -

• und die Erfahrung der Jüngerinnen und Jünger Jesu:
„Jesus lebt!"
Und der Auferstandene ist der, 
den wir als unseren Meister und Freund kennen.
Die nachösterlichen Begegnungsgeschichten
bezeugen genau dies,
bezeugen die Kontinuität der Jesusgeschichte
in der Christuserfahrung.

Heute nun feiern wir Ostern noch einmal 
unter einer ganz anderen Rücksicht:
Heute - am Fest Christi Himmelfahrt -
geht es um die „Erhöhung" des Auferstandenen.
Er „kehrt heim zum Vater".
Er wird hineingenommen in Gottes Herrlichkeit.
Er geht uns dorthin voraus,
um uns „eine Wohnung zu bereiten".
Er richtet unseren Blick auf die Zukunft,
auf die Erfüllung auch unseres Lebens
„im Himmel" - d.h. in der vollendeten Gemeinschaft mit Gott.

Das Fest Christi Himmelfahrt hebt darüber hinaus
noch einen weiteren Aspekt heraus,
der ebenfalls Teil der österlichen Botschaft ist:
Da geht es nicht um einen „Blick zurück"
- um die Identität des historischen Jesus 
mit dem auferstandenen Christus also -
da geht es auch nicht um einen „Blick in die Zukunft"
- um die neue Existenz in der Herrlichkeit Gottes also -
da geht es vielmehr um unsere Gegenwart heute:
„Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem
und in ganz Judäa und Samarien
und bis an die Grenzen der Erde."
Das Markusevangelium weitet die Dimension 
dieser Sendung noch weiter aus:
„Geht hinaus in die ganze Welt,
und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!"

Gerade dieser Aspekt der Osterbotschaft
ist lange an uns abgelaufen wie Regenwasser am Pflasterstein.
Wir waren vielleicht zu lange der volkskirchlichen Überzeugung,
in unseren abendländischen Gesellschaften 
sei der Sendungsauftrag Jesu erfüllt;
da gebe es nichts Wesentliches mehr zu tun;
wir könnten uns auf unseren Lorbeeren ausruhen.

So langsam kapieren wir:
Das war eine folgenschwere Illusion.
Wir sind ganz schön auf die Nase gefallen.
Das christliche Abendland ist passé.
Die Säkularisierung schreitet voran.
In Deutschland holen wir uns unsere Priester aus Polen.
In Göttingen werden allenfalls 50 % der Kinder christlich getauft.
Unsere Mitbürger suchen sich in ihrer Mehrzahl 
Antworten auf die grundlegenden Fragen ihres Lebens
nicht bei den christlichen Kirchen,
sondern auf dem breitgefächerten Esoterikmarkt
oder in den Verheißungen einer globalisierten Marktwirtschaft.
Nicht einmal die Enttäuschten suchen noch „Trost"
in der Botschaft des Christentums.

Wo sollen sie den auch finden,
wenn wir nicht glaubwürdige Zeugen dieser frohen Botschaft sind?
wenn wir „den Schatz", „die Perle" unseres Glaubens vergraben haben?
wenn wir unseren Glauben privatisiert haben?
wenn wir den österlichen Sendungsauftrag Jesu Christi
nicht auf uns beziehen?

Das Fest Christi Himmelfahrt, 
das für viele zum „Vatertag" verkommen ist,
könnte eine Herausforderung sein,
endlich umzudenken,
uns endlich darauf zu besinnen,
was das für uns heute bedeutet:
„Ihr sollt meine Zeugen sein!"

Wer aufmerksam Entwicklungen in der Kirche verfolgt,
kann entdecken, daß da wenigstens hier und da
- manchmal verdeckt durch unfruchtbares Wehklagen -
ein Umdenken beginnt:
Situationsbeschreibungen und Analysen werden realistischer.
Von einer neuen Evangelisierung Europas ist die Rede.
Immer häufiger spricht man von der Notwendigkeit,
„missionarisch" Kirche zu sein.
Noch vor wenigen Wochen hat Bischof Wanke aus Erfurt
hier bei uns darüber gesprochen 
und mit diesem Thema diese Kirche gefüllt.

Jetzt käme es darauf an,
den Worten, die wir gehört haben, Taten folgen zu lassen
und Einstellungen praktisch zu ändern.
Es geht wohlgemerkt nicht darum,
so etwas wie Hydepark-Corner in Göttingen zu schaffen
und auf Straßen und Plätzen zu predigen.

Wohl aber sollten wir uns zunächst einige Fragen stellen:
Was bedeutet eigentlich mir selbst der christliche Glaube?
Schöpfe ich selbst aus meinem Glauben
Freude, Trost und Zuversicht für mein Leben?
Und bin ich wirklich der Überzeugung,
in meinem Glauben liege ein Schatz verborgen,
den ich gar nicht für mich selbst behalten kann und darf?
Bin ich überhaupt bereit,
meinen Glauben aus den eigenen vier Wänden heraus zu lassen?
Kann und will ich anderen davon etwas mitteilen?

Oder laufe ich mit der unausgesprochenen Botschaft
in der Welt herum:
„Entschuldigt, daß ich Christ bin.
Nehmt‘s nicht so ernst, ich selber tue das auch nicht"?

Fragen Sie sich auch einmal:
Wer in meiner beruflichen Umgebung weiß überhaupt,
daß ich ein gläubiger Christ bin?
Wer weiß, daß ich sonntags und zum Beispiel heute abend
den Gottesdienst in einer katholischen Kirche mitfeiere?
Ich habe mehr als einmal erlebt,
daß sich unverhofft Kollegen hier in St.Michael trafen,
und dann die höchst erstaunte Frage gehört:
„Wie? Du auch?"

Natürlich kann man auch hören:
„Du bist katholisch???
Du bist doch sonst ganz vernünftig!"
Würden Sie sich durch eine solche Bemerkung 
aus der Fassung bringen lassen?
Oder wären Sie in der Lage,
eine liebenswürdige Antwort zu geben,
die den anderen aus der Fassung
und vielleicht sogar zum Nachdenken bringt?

Vielfach geht es bei dem von Jesus geforderten Zeugnis
um Kleinigkeiten:
In unsere Kirche zum Beispiel werfen immer wieder
Passanten einen Blick - oft aus purer Neugier.
Und dann kann es geschehen,
daß sie an einem ganz normalen Werktag
gleich zehn oder zwölf Menschen entdecken,
die versunken da knien und ganz einfach beten.
Sie sind nicht selten erstaunt:
Daß es so etwas heute noch gibt!
Glaubenszeugnis der Beterinnen und Beter in St.Michael.
Gehören Sie des öfteren dazu???
Selbst die vielen Kerzen vor der Marienikone,
oder besser: Diejenigen, die sie angezündet haben,
geben ein Glaubenszeugnis.
Sie bekunden, daß diese Kirche kein Museum ist,
daß hier vielmehr lebendiger Glaube zu Hause ist.

Es lohnt sich, länger darüber nachzudenken,
in welchen anderen Situationen 
- auch unseres ganz und gar alltäglichen Lebens -
unser Glaube zum Zeugnis für andere werden kann.
Diese Chancen, anderen durch unser Glaubenszeugnis 
„etwas Gutes" zu tun, gilt es bewußt zu nutzen -
solange bis uns das „in Fleisch und Blut" übergeht
und zur puren Selbstverständlichkeit wird.

Wir haben neben dem Missionsauftrag Jesu
auch Seine Zusage:
„Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt."
Diese Verheißung ist auch noch ein Aspekt von Ostern.
Sie steht im Mittelpunkt eines weiteren österlichen Festes,
das wir bald feiern werden: 
Pfingsten - das Fest des Geistes Gottes,
durch den der Auferstandene auch heute wirkt:
in dieser Welt und in uns selbst.

Amen.