Predigt zum Ostersonntag am 31. März 2002
als Abschluß der diesjährigen Fastenpredigten: "O glückliche Schuld..."
Evangelium: Joh. 20, 1 - 18; 
Autor: P.HeribertGraab S.J.
„O glückliche Schuld,
welch großen Erlöser hast du gefunden!"
So jubelte das Osterlob der vergangenen Nacht.

Leider machen wir immer wieder
die genau gegenteilige Erfahrung:
Schuld findet keine „Erlösung".
Vielmehr multipliziert sich Schuld immer auf‘s neue.
Wir erfahren es gerade in diesen Tagen wieder
in Israel / Palästina,
in diesem Land, das wir das heilige Land nennen,
in diesem Land, in dem Jesus Christus 
den Kreuzestod gestorben ist 
- zur Erlösung der Welt,
- für den Frieden der Welt.

Wo nimmt die Schuld ihren Anfang?
In den Kreuzzügen?
Während der Zeit des britischen Mandates?
Durch den UNO-Beschluß,
dem Volk der Juden ein eigenes Land zu geben?
Oder beim Holocaust,
der den Hintergrund bildete 
für die Staatsgründung Israels?
Dann die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat.
Dann die mutwillig ungelöste Flüchtlingsfrage.
Und augenblicklich Staatsterror auf der einen Seite,
Guerillaterror auf der anderen Seite.
Eskalation von Schuld.
Eskalation von Leid und Tod.

„O glückliche Schuld" ??? 
Schauen wir uns das Osterevangelium 
ein wenig genauer an:
Geschildert werden Menschen vor den Trümmern ihres Lebens.
Petrus, Johannes, Maria von Magdala -
Ihnen allen wurde das tragende Fundament ihrer Existenz
sozusagen unter den Füßen weggezogen.
Und das durch den Staatsterrorismus
eines diktatorischen Regimes
und durch die Intrigen ideologiebesessener Kallaborateure.
Kurz: Durch einen verbrecherischen Mord.

Am Ostermorgen nun geschieht etwas Erstaunliches:
Diese Menschen machen die Erfahrung einer Begegnung,
die sie später mit dem knappen Bekenntnis umschreiben:
„Er ist auferstanden."
Natürlich ist das ein Glaubensbekenntnis.
Aber da gibt es handfeste Fakten:
Aus den Trümmern gewinnen diese Menschen
an diesem Morgen eine neue Kraft und neue Perspektiven.
Ihre Erstarrung löst sich.
Vor allem bei Maria können wir es noch heute
aus dem hervorragend beobachteten
und psychologisch feinfühligen Bericht herauslesen:
Wie sie zunächst durch die Ereignisse des Karfreitags
regelrecht zugemauert ist - nichts mehr sieht
und nichts mehr wahrnehmen kann.
Und dann sagt dieser Fremde ihren Namen.
Er tut es auf eine so persönliche Art und Weise,
daß sie aufhorcht,
daß sie sich umwendet und ihn erkennt: „Rabbuni".
Wieder diese ganz persönliche Anrede.
Augenblick einer verwandelnden Begegnung.
In diesem Augenblick beginnt für Maria der Weg zurück ins Leben.
In diesem Augenblick wird ihr die Kraft geschenkt,
gemeinsam mit den anderen den Weg Jesu weiterzugehen.
Es ist dennoch nichts mehr wie früher.
Sie kann, was gewesen ist, nicht festhalten.
Aber auf einmal ist da der Mut,
sich auf Neues einzulassen,
die Zukunft in den Blick zu nehmen.
Auf einmal ist da wieder Sinn in ihrem Leben -
allen Schuld-, Leid- und Todeserfahrungen zum Trotz.

Das ist Ostern!
Eine befreiende Begegnung,
eine befreiende Erfahrung.
Eine Umwandlung von Schuld und Leid und Tod
in neue Lebensenergie.

Gewiß geht es dabei in letzter Konsequenz 
um den Glauben daran, daß der Gott des Lebens
einmal endgültig den Sieg davon tragen wird
über alle Mächte des Todes
und auch über den Tod, der einmal unser eigenes Schicksal sein wird. 
Zunächst und vor allem aber geht es• um den Glauben an einen Gott, der die unschuldig Ermordeten ins Recht setzt,
• der die Täter nicht auf immer über die Opfer triumphieren läßt,
• um den Glauben an einen Gott, der das Tote lebendig macht.
Es geht um einenGlauben,
• der auf das Leben hier und jetzt pocht,
• der Protest ist gegen alles, was Menschen nicht leben läßt.

Das ist wahrhaft österlicher Glaube,
der die Kraft gibt,
hier und heute darauf zu bestehen, 
• daß es solche Verwandlungen auch heute geben kann,
wie sie sich damals am Ostermorgen abspielten,
• daß es „ein Leben vor dem Tod" gibt
• und daß dieses Leben einen Sinn hat.

Ein solcher Osterglaube hebt diese Welt aus den Angeln.
Es wird nichts mehr sein, wie es bisher war:
Nicht in Israel / Palästina,
nicht in einer zerstrittenen Berliner Politik,
nicht in einer zerbrechenden Ehe...

„O glückliche Schuld!",
wenn daraus die österliche Botschaft folgt:
„Siehe, ich mache alles neu!"
Laßt uns daran glauben - gegen allen Unglauben in uns selbst.
Laßt uns immer wieder beten:
„Herr, ich glauben; hilf meinem Unglauben."

Amen.