Predigt zum Gründonnerstag 2001
Die Predigt von P.Heribert Graab S.J. geht ein auf das Bild "Das letzte Abendmahl" von Dirk Bouts:
Wenn von Osterbrauchtum die Rede ist,
wird eine Tradition kaum je erwähnt,
obwohl die sozusagen in allen katholischen Kirchen
ganz selbstverständlich praktiziert wird:

Überall nehmen in diesen Tagen katholische Christen
„Osterbildchen" mit nach Hause.
Wenigstens für ein Jahr bekommen sie ihren Platz
im persönlichen Gebetbuch
und erinnern immer wieder - ja woran eigentlich?

Ursprünglich waren diese Osterbildchen
Erinnerung an Osterbeichte und Osterkommunion.
In einer Zeit seltenen Sakramentenempfangs
war es sinnvoll, sich immer wieder bewußt zu machen,
daß diese Sakramente fortwirken
und ihre Konsequenzen haben für das leben im Alltag.

Inzwischen ist der Empfang des Sakramentes der Versöhnung
zwar eher noch seltener geworden,
der Empfang der Heiligen Kommunion gleichzeitig 
jedoch wesentlich häufiger.
So erinnern die Osterbildchen heute
vor allem an die jährliche Feier des Festes aller Feste,
an die Feier der „Mitte" unseres Glaubens.
Und im Laufe des Jahres können und sollen sie
uns immer wieder zu Bewußtsein bringen,
daß jeder Sonntag ein kleines Osterfest ist,
und daß wir in jeder Eucharistiefeier 
das eigentliche Geheimnis des Glaubens präsent ist:
„Deinen Tod, o Herr, verkünden wir,
und deine Auferstehung preisen wir,
bis du kommst in Herrlichkeit."

So ist auch das Thema unseres diesjährigen Osterbildchens
das österliche Abendmahl Jesu,
sozusagen die Keimzelle einer jeden Eucharistiefeier.
Der flämische Maler Dirk Bouts
hat dieses Abendmahl um 1450 gemalt.

Und er hat dies Abendmahl nicht historisierend gemalt.
Er hat es vielmehr ganz unbefangen 
in seine eigene Zeit und in sein gesellschaftliches Umfeld übertragen:
Jesus feiert das Abendmahl in der „guten Stube"
einer gut bürgerlichen Familie des 15. Jahrhunderts.
Konkret: Das, was sich damals in Jerusalem ereignete,
soll jeweils heute lebendig werden -
und das nicht nur in der Kirche,
sondern bei uns daheim!

Da sitzt also eine Tischgemeinschaft zusammen,
die einander offensichtlich in Freundschaft verbunden ist,
eine Gemeinschaft, deren Mittelpunkt Jesus Christus ist,
eine Gemeinschaft, die Geborgenheit und Frieden ausstrahlt,
eine Gemeinschaft, die sich - das deutet die offene Tür im Hintergrund an -
keineswegs abkapselt und einigelt.

Einer kommt sogar „von außen" dazu
und steht noch ein wenig unschlüssig am Rande:
Das ist der Maler selbst - Dirk Bouts.
Offenkundig hat er den Wunsch, dazu zu gehören
und teilzuhaben an dem großen Frieden,
den diese Szene ausstrahlt.

In unserer Zeit heute,
da an die Stelle des gemeinsamen, kommunikativen und friedvollen „Mahles"
häufig die bloße „Nahrungsaufnahme" getreten ist,
lohnt es sich, daran zu erinnern,
daß Mit-einander-Mahlzeit-halten Gemeinschaft und Frieden stiftet,
daß Jesus Christus selbst in unserer Mitte sein will,
wenn wir als Christen zum täglichen (!) Mahl zusammenkommen -
sei es in der Familie oder auch im Freundeskreis;
lohnt es sich, daran zu erinnern,
daß auch heute unsere Türen offen stehen sollten,
und daß der alte Brauch auch heute, 
und vielleicht gerade heute sinnvoll ist:
ein zusätzliches Gedeck bereitzustellen
„für den Herrn", wenn er kommt -
wenn er kommt vielleicht in der Gestalt eines Menschen,
der unsere Gastfreundschaft dringend braucht.

Damit kommt in diesem Abendmahlsbild des Dirk Bouts
der soziale und diakonische Aspekt 
des Abendmahles und jedes Mahles ins Spiel -
jener Aspekt, der uns ein wenig aus dem Gesichtsfeld geraten ist,
wenn wir uns zur Eucharistie versammeln,
aber auch wenn wir im Alltag oder bei einem Fest 
miteinander speisen.
Gerade diese Seite des Mahles hebt jedoch das heutige Evangelium hervor.

Für Matthäus, Markus und Lukas 
steht die Einsetzung der Eucharistie 
im Vordergrund ihrer Abendmahlsberichte:
„Tut dies zu meinem Gedächtnis!"
Johannes dagegen stellt die „Fußwaschung" in den Mittelpunkt.
Für ihn ist diese diakonische Zeichenhandlung 
das eigentliche Sakrament:
„Ich habe euch ein Beispiel gegeben,
damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe."

All denen, die Sonntag für Sonntag mit der Gemeinde 
das eucharistische Mahl feiern,
ist dessen christologische Dimension selbstverständlich.
Wenn wir heute jedoch neben dem Mahl mit Brot und Wein
auch das Zeichen der „Fußwaschung" lebendig werden lassen
in einer symbolischen „Schuhputzaktion", 
an der sich möglichst alle beteiligen sollten,
dann gewinnen wir vielleicht auch einen neuen Zugang
zur diakonischen Dimension dieser Feier.
Ich wünsche uns allen,
daß dies Verständnis von Eucharistie in uns nachwirkt
und sich bis hinein in unseren Alltag auswirkt.

Amen.